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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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druck desselben absichtlich oder unabsichtlich zuweilen weiter geht, als es die
Sache grade erfordern würde, so fühlt der Getroffene sehr wohl, daß er ent¬
weder schuldig ist, oder daß eine klare Rechtfertigung die Sache wieder ins
Gleiche bringen wird. Die ungeheuren Erfolge Napoleons waren nur da¬
durch möglich, daß er in allen seinen Feldlagern zugleich gegenwärtig war,
daß alle seine Untergebenen, ohnehin zu willkürlichem Handeln geneigt, seine
Gegenwart gewahr wurden. Sodann zeigt sich Napoleon überall als strengen
Herrn, der, wie er Großes gibt auch Großes verlangt und dieses unerbittlich
verlangt, aber nicht wie der Gott, der den Wurm in den Staub zurückstoßt,
aus dem er ihn hervorgezogen hat. Nur in den seltensten Fällen ist es vor¬
gekommen, daß, er die Werkzeuge, denen er viel schuldig war, ganz verstieß,
und in diesen Fällen wußte er sie, wie es -mit Talleyrand geschah, fürstlich
zu entschädigen. Da der Bonapartismus durch die neuesten Ereignisse wie¬
der hie große Frage des Tages geworden zu sein scheint, so ist es nicht
müßig, auf seine ältere, mächtigere Erscheinung einen Blick zu werfen.

Wenn man Napoleon I. in Beziehung auf Staatenbildung ein schöpfe¬
risches Princip zugesteht, so thut man ihm zu viel Ehre an. In den schon
häufig angeführten Tagebüchern von Röderer gesteht er ganz unumwunden
ein, sein eigentliches Metier sei der Krieg, dieses verstehe er aus dem Grunde
und er kenne keine Lectüre, die ihn stärker und dauernder beschäftige als die
seiner Regimentslisten. Seine Staatsverwaltung ni Frankreich selbst und
das Lehrsystem, welches er in den eroberten Provinzen aufrichtete, hatte als
letzten Zweck immer das Bedürfniß im Auge, die Armee auf eine zweckmäßige
Art zu recrutiren. Die centralisirte Staatsmaschine hat er nicht erfunden, er
überkam sie als eiR Erbtheil der alten Monarchie und der Revolution; aber,
freilich wußte er sie mit seinem genialen Blick und seinem durchgreifenden
Willen ganz anders anzuwenden, als es früher geschehen war. Welchen
Zweig der Staatsverwaltung er auch in Angriff nahm, er hatte von all sei¬
nen Umgebungen immer den klarsten Blick. Nur daß er in der Gesetzgebung
wie in der Anordnung der Verwaltung immer mit dein Hintergedanken ans
Werk ging. Frankreich so zu organisiren, daß es tüchtige Offiziere, zahlreiche
Neunten und die zu den Armeen nöthigen Geldmittel liefern konnte. Er
hatte Frankreich anch in bürgerlicher Beziehung besser verwaltet, als die zu-
nächst vorhergegangenen sinnlosen Regierungen, aber das bürgerliche Frank-"
reich war ihm nur Mittel, nicht Zweck, währen!) seine Armee ihm wirklich
ans Herz gewachsen war. Er hörte am liebsten, wenn man ihn den Bater
der Soldaten nannte, und das war auch in der That die richtigste Bezeich¬
nung für ihn.

Noch ist ein zweiter Umstand zu bemerken. Er hat das neue Frankreich
nicht aus dem Nichts geschaffen, er hat es in seine" wesentlichsten Momen-


druck desselben absichtlich oder unabsichtlich zuweilen weiter geht, als es die
Sache grade erfordern würde, so fühlt der Getroffene sehr wohl, daß er ent¬
weder schuldig ist, oder daß eine klare Rechtfertigung die Sache wieder ins
Gleiche bringen wird. Die ungeheuren Erfolge Napoleons waren nur da¬
durch möglich, daß er in allen seinen Feldlagern zugleich gegenwärtig war,
daß alle seine Untergebenen, ohnehin zu willkürlichem Handeln geneigt, seine
Gegenwart gewahr wurden. Sodann zeigt sich Napoleon überall als strengen
Herrn, der, wie er Großes gibt auch Großes verlangt und dieses unerbittlich
verlangt, aber nicht wie der Gott, der den Wurm in den Staub zurückstoßt,
aus dem er ihn hervorgezogen hat. Nur in den seltensten Fällen ist es vor¬
gekommen, daß, er die Werkzeuge, denen er viel schuldig war, ganz verstieß,
und in diesen Fällen wußte er sie, wie es -mit Talleyrand geschah, fürstlich
zu entschädigen. Da der Bonapartismus durch die neuesten Ereignisse wie¬
der hie große Frage des Tages geworden zu sein scheint, so ist es nicht
müßig, auf seine ältere, mächtigere Erscheinung einen Blick zu werfen.

Wenn man Napoleon I. in Beziehung auf Staatenbildung ein schöpfe¬
risches Princip zugesteht, so thut man ihm zu viel Ehre an. In den schon
häufig angeführten Tagebüchern von Röderer gesteht er ganz unumwunden
ein, sein eigentliches Metier sei der Krieg, dieses verstehe er aus dem Grunde
und er kenne keine Lectüre, die ihn stärker und dauernder beschäftige als die
seiner Regimentslisten. Seine Staatsverwaltung ni Frankreich selbst und
das Lehrsystem, welches er in den eroberten Provinzen aufrichtete, hatte als
letzten Zweck immer das Bedürfniß im Auge, die Armee auf eine zweckmäßige
Art zu recrutiren. Die centralisirte Staatsmaschine hat er nicht erfunden, er
überkam sie als eiR Erbtheil der alten Monarchie und der Revolution; aber,
freilich wußte er sie mit seinem genialen Blick und seinem durchgreifenden
Willen ganz anders anzuwenden, als es früher geschehen war. Welchen
Zweig der Staatsverwaltung er auch in Angriff nahm, er hatte von all sei¬
nen Umgebungen immer den klarsten Blick. Nur daß er in der Gesetzgebung
wie in der Anordnung der Verwaltung immer mit dein Hintergedanken ans
Werk ging. Frankreich so zu organisiren, daß es tüchtige Offiziere, zahlreiche
Neunten und die zu den Armeen nöthigen Geldmittel liefern konnte. Er
hatte Frankreich anch in bürgerlicher Beziehung besser verwaltet, als die zu-
nächst vorhergegangenen sinnlosen Regierungen, aber das bürgerliche Frank-"
reich war ihm nur Mittel, nicht Zweck, währen!) seine Armee ihm wirklich
ans Herz gewachsen war. Er hörte am liebsten, wenn man ihn den Bater
der Soldaten nannte, und das war auch in der That die richtigste Bezeich¬
nung für ihn.

Noch ist ein zweiter Umstand zu bemerken. Er hat das neue Frankreich
nicht aus dem Nichts geschaffen, er hat es in seine» wesentlichsten Momen-


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[0335] druck desselben absichtlich oder unabsichtlich zuweilen weiter geht, als es die Sache grade erfordern würde, so fühlt der Getroffene sehr wohl, daß er ent¬ weder schuldig ist, oder daß eine klare Rechtfertigung die Sache wieder ins Gleiche bringen wird. Die ungeheuren Erfolge Napoleons waren nur da¬ durch möglich, daß er in allen seinen Feldlagern zugleich gegenwärtig war, daß alle seine Untergebenen, ohnehin zu willkürlichem Handeln geneigt, seine Gegenwart gewahr wurden. Sodann zeigt sich Napoleon überall als strengen Herrn, der, wie er Großes gibt auch Großes verlangt und dieses unerbittlich verlangt, aber nicht wie der Gott, der den Wurm in den Staub zurückstoßt, aus dem er ihn hervorgezogen hat. Nur in den seltensten Fällen ist es vor¬ gekommen, daß, er die Werkzeuge, denen er viel schuldig war, ganz verstieß, und in diesen Fällen wußte er sie, wie es -mit Talleyrand geschah, fürstlich zu entschädigen. Da der Bonapartismus durch die neuesten Ereignisse wie¬ der hie große Frage des Tages geworden zu sein scheint, so ist es nicht müßig, auf seine ältere, mächtigere Erscheinung einen Blick zu werfen. Wenn man Napoleon I. in Beziehung auf Staatenbildung ein schöpfe¬ risches Princip zugesteht, so thut man ihm zu viel Ehre an. In den schon häufig angeführten Tagebüchern von Röderer gesteht er ganz unumwunden ein, sein eigentliches Metier sei der Krieg, dieses verstehe er aus dem Grunde und er kenne keine Lectüre, die ihn stärker und dauernder beschäftige als die seiner Regimentslisten. Seine Staatsverwaltung ni Frankreich selbst und das Lehrsystem, welches er in den eroberten Provinzen aufrichtete, hatte als letzten Zweck immer das Bedürfniß im Auge, die Armee auf eine zweckmäßige Art zu recrutiren. Die centralisirte Staatsmaschine hat er nicht erfunden, er überkam sie als eiR Erbtheil der alten Monarchie und der Revolution; aber, freilich wußte er sie mit seinem genialen Blick und seinem durchgreifenden Willen ganz anders anzuwenden, als es früher geschehen war. Welchen Zweig der Staatsverwaltung er auch in Angriff nahm, er hatte von all sei¬ nen Umgebungen immer den klarsten Blick. Nur daß er in der Gesetzgebung wie in der Anordnung der Verwaltung immer mit dein Hintergedanken ans Werk ging. Frankreich so zu organisiren, daß es tüchtige Offiziere, zahlreiche Neunten und die zu den Armeen nöthigen Geldmittel liefern konnte. Er hatte Frankreich anch in bürgerlicher Beziehung besser verwaltet, als die zu- nächst vorhergegangenen sinnlosen Regierungen, aber das bürgerliche Frank-" reich war ihm nur Mittel, nicht Zweck, währen!) seine Armee ihm wirklich ans Herz gewachsen war. Er hörte am liebsten, wenn man ihn den Bater der Soldaten nannte, und das war auch in der That die richtigste Bezeich¬ nung für ihn. Noch ist ein zweiter Umstand zu bemerken. Er hat das neue Frankreich nicht aus dem Nichts geschaffen, er hat es in seine» wesentlichsten Momen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/335>, abgerufen am 31.05.2024.