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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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was diese Tugend sagen will -- ging doch auch der Verfasser der "I^iaisons
cliMAtZreusös" von moralischen Absichten aus.

In der Sprache, überhaupt in der äußern Form, scheint ein Fortschritt
stattzufinden. Der ältere Dumas plauderte mit höchster Ungenirtheit. wie
man in seinen Gesellschaften zu plaudern gewöhnt war, und sein Stil verrieth
fast in jeder Zeile den schlechten Umgang. Bei dem Sohn zeigt sich dagegen
das offenbare Streben, elegant und distinguirt zu sprechen, er wählt seine
Ausdrücke, er sucht so viel Feinheiten als möglich darin anzubringen, wobei
es ihm doch nicht gelingt, die angeborne Nüchternheit und Trockenheit zu
überwinden. Aber wir ziehn noch immer die freilich nicht selten brutale, ja
man-kann zuweilen gradezu sagen bestialische Form des ältern Dumas bei
weitem vor; denn in ihr hörte man wenigstens bis zu einer gewissen Grenze
die Stimme der Natur, er sprach wie es ihm ums Herz war, er war im
Stande die Leidenschaft zu schildern, weil er nur der Leidenschaftlichkeit seiner
eignen Natur Worte lieh. Von dieser Leidenschaft ist bei seinem Sohn keine
Spur. Es ist alles die kälteste raffinirte Berechnung, er weiß, was sein Pu-
blicum verlangt, und macht es ihm zurecht, theils durch gute Beobachtung,
theils durch frühere Lectüre dazu befähigt. Wie sehr er von den Reminiscenzen
älterer Dichter abhängig ist, zeigt am deutlichsten sein erstes Stück, die Camelien-
dame. Er hatte den Stoff früher in einer Novelle behandelt, die nichts
Anderes war, als eine Variation auf das Thema der Manon Lescaut, aber
eine Variation, die sich hauptsächlich an eure neuere Novelle von M6rim6e,
Arsvne Guillot, anlehnte. Wie Arsönc Guillot verband die Cmneliendame mit
der herkömmlichen Gemeinheit ihres Handwerks viel Gutherzigkeit und Liebens¬
würdigkeit, gleich ihr erregte sie die Theilnahme der Leser dadurch, daß sie
schwindsüchtig war, was sehr realistisch dargestellt wird, aber man muß diese
beiden Novellen miteinander vergleichen, um zu ermessen, wie tief die Kunst
gesunken ist. Mörimöes Darstellung war nicht blos von einer wunderbaren
Naturtreue, sondern auch wahrhaft poetisch, während in der Cameliendame die
häßliche, abschreckende Wirklichkeit mit einer nicht grade angenehmen falschen
Sentimentalität überkleidet ist. In jedem seiner Stücke sucht Alexander Du¬
mas die Neugier des Publicums dadurch zu reizen, daß er es in einen ver¬
steckten Winkel jenes von der sittlichen Welt geschiedenen, aus den gemeinsten
Motiven beruhenden Lebens einführt. Nähme man aber seinen Stücken die¬
sen Hautgout, so bliebe nichts übrig, als die gewöhnlichste Intrigue auf jene
rohe Weise skizzirt, wie die Franzosen es in ihren sogenannten Melodramen
gewöhnt sind.

Freilich hat der Dichter die Gabe der Beobachtung, er hat über seinen
Gegenstand viele Realstudien gemach-t und weiß das ganz Gemeine des
Lebens zuweilen mit einer erschreckenden Anschaulichkeit auszumalen. Aber er


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was diese Tugend sagen will — ging doch auch der Verfasser der „I^iaisons
cliMAtZreusös" von moralischen Absichten aus.

In der Sprache, überhaupt in der äußern Form, scheint ein Fortschritt
stattzufinden. Der ältere Dumas plauderte mit höchster Ungenirtheit. wie
man in seinen Gesellschaften zu plaudern gewöhnt war, und sein Stil verrieth
fast in jeder Zeile den schlechten Umgang. Bei dem Sohn zeigt sich dagegen
das offenbare Streben, elegant und distinguirt zu sprechen, er wählt seine
Ausdrücke, er sucht so viel Feinheiten als möglich darin anzubringen, wobei
es ihm doch nicht gelingt, die angeborne Nüchternheit und Trockenheit zu
überwinden. Aber wir ziehn noch immer die freilich nicht selten brutale, ja
man-kann zuweilen gradezu sagen bestialische Form des ältern Dumas bei
weitem vor; denn in ihr hörte man wenigstens bis zu einer gewissen Grenze
die Stimme der Natur, er sprach wie es ihm ums Herz war, er war im
Stande die Leidenschaft zu schildern, weil er nur der Leidenschaftlichkeit seiner
eignen Natur Worte lieh. Von dieser Leidenschaft ist bei seinem Sohn keine
Spur. Es ist alles die kälteste raffinirte Berechnung, er weiß, was sein Pu-
blicum verlangt, und macht es ihm zurecht, theils durch gute Beobachtung,
theils durch frühere Lectüre dazu befähigt. Wie sehr er von den Reminiscenzen
älterer Dichter abhängig ist, zeigt am deutlichsten sein erstes Stück, die Camelien-
dame. Er hatte den Stoff früher in einer Novelle behandelt, die nichts
Anderes war, als eine Variation auf das Thema der Manon Lescaut, aber
eine Variation, die sich hauptsächlich an eure neuere Novelle von M6rim6e,
Arsvne Guillot, anlehnte. Wie Arsönc Guillot verband die Cmneliendame mit
der herkömmlichen Gemeinheit ihres Handwerks viel Gutherzigkeit und Liebens¬
würdigkeit, gleich ihr erregte sie die Theilnahme der Leser dadurch, daß sie
schwindsüchtig war, was sehr realistisch dargestellt wird, aber man muß diese
beiden Novellen miteinander vergleichen, um zu ermessen, wie tief die Kunst
gesunken ist. Mörimöes Darstellung war nicht blos von einer wunderbaren
Naturtreue, sondern auch wahrhaft poetisch, während in der Cameliendame die
häßliche, abschreckende Wirklichkeit mit einer nicht grade angenehmen falschen
Sentimentalität überkleidet ist. In jedem seiner Stücke sucht Alexander Du¬
mas die Neugier des Publicums dadurch zu reizen, daß er es in einen ver¬
steckten Winkel jenes von der sittlichen Welt geschiedenen, aus den gemeinsten
Motiven beruhenden Lebens einführt. Nähme man aber seinen Stücken die¬
sen Hautgout, so bliebe nichts übrig, als die gewöhnlichste Intrigue auf jene
rohe Weise skizzirt, wie die Franzosen es in ihren sogenannten Melodramen
gewöhnt sind.

Freilich hat der Dichter die Gabe der Beobachtung, er hat über seinen
Gegenstand viele Realstudien gemach-t und weiß das ganz Gemeine des
Lebens zuweilen mit einer erschreckenden Anschaulichkeit auszumalen. Aber er


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[0353] was diese Tugend sagen will — ging doch auch der Verfasser der „I^iaisons cliMAtZreusös" von moralischen Absichten aus. In der Sprache, überhaupt in der äußern Form, scheint ein Fortschritt stattzufinden. Der ältere Dumas plauderte mit höchster Ungenirtheit. wie man in seinen Gesellschaften zu plaudern gewöhnt war, und sein Stil verrieth fast in jeder Zeile den schlechten Umgang. Bei dem Sohn zeigt sich dagegen das offenbare Streben, elegant und distinguirt zu sprechen, er wählt seine Ausdrücke, er sucht so viel Feinheiten als möglich darin anzubringen, wobei es ihm doch nicht gelingt, die angeborne Nüchternheit und Trockenheit zu überwinden. Aber wir ziehn noch immer die freilich nicht selten brutale, ja man-kann zuweilen gradezu sagen bestialische Form des ältern Dumas bei weitem vor; denn in ihr hörte man wenigstens bis zu einer gewissen Grenze die Stimme der Natur, er sprach wie es ihm ums Herz war, er war im Stande die Leidenschaft zu schildern, weil er nur der Leidenschaftlichkeit seiner eignen Natur Worte lieh. Von dieser Leidenschaft ist bei seinem Sohn keine Spur. Es ist alles die kälteste raffinirte Berechnung, er weiß, was sein Pu- blicum verlangt, und macht es ihm zurecht, theils durch gute Beobachtung, theils durch frühere Lectüre dazu befähigt. Wie sehr er von den Reminiscenzen älterer Dichter abhängig ist, zeigt am deutlichsten sein erstes Stück, die Camelien- dame. Er hatte den Stoff früher in einer Novelle behandelt, die nichts Anderes war, als eine Variation auf das Thema der Manon Lescaut, aber eine Variation, die sich hauptsächlich an eure neuere Novelle von M6rim6e, Arsvne Guillot, anlehnte. Wie Arsönc Guillot verband die Cmneliendame mit der herkömmlichen Gemeinheit ihres Handwerks viel Gutherzigkeit und Liebens¬ würdigkeit, gleich ihr erregte sie die Theilnahme der Leser dadurch, daß sie schwindsüchtig war, was sehr realistisch dargestellt wird, aber man muß diese beiden Novellen miteinander vergleichen, um zu ermessen, wie tief die Kunst gesunken ist. Mörimöes Darstellung war nicht blos von einer wunderbaren Naturtreue, sondern auch wahrhaft poetisch, während in der Cameliendame die häßliche, abschreckende Wirklichkeit mit einer nicht grade angenehmen falschen Sentimentalität überkleidet ist. In jedem seiner Stücke sucht Alexander Du¬ mas die Neugier des Publicums dadurch zu reizen, daß er es in einen ver¬ steckten Winkel jenes von der sittlichen Welt geschiedenen, aus den gemeinsten Motiven beruhenden Lebens einführt. Nähme man aber seinen Stücken die¬ sen Hautgout, so bliebe nichts übrig, als die gewöhnlichste Intrigue auf jene rohe Weise skizzirt, wie die Franzosen es in ihren sogenannten Melodramen gewöhnt sind. Freilich hat der Dichter die Gabe der Beobachtung, er hat über seinen Gegenstand viele Realstudien gemach-t und weiß das ganz Gemeine des Lebens zuweilen mit einer erschreckenden Anschaulichkeit auszumalen. Aber er Grenzboten I. 1SÜ8. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/353>, abgerufen am 14.05.2024.