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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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und füraus die heiligen Gesänge einübeten. Was sie in der Schule gelernt haben,
habn sie eh (d. i. ohnehin) vergessen! -- Da schau ich mich um, und wann
es sich trifft, daß accurat die richtigen Burschen genug vorhanden seint"), da
ruf ich sie halt zu mir. Ein jeder, der mitspielen will, darf 1. nicht zu'n
Diemen gehen, 2. keine Schelmliedel singen die ganze heilige Zeit über.
3. muß er ein ehrsames Leben führen, 4. muß er mir folgen. Für alles ist
eine Geldstrafe, auch für jeden Gedächtnißfehler u. tgi. im Spiel."

Von nun an wird abgeschrieben, gelernt, gesungen Tag und Nacht. In
dem Dorf wird keine Musik gelitten. Wenn die Spieler über Land gehn, um
in einem benachbarten Ort zu spielen und es ist Musik da. so ziehn sie wei¬
ter. Als man. ihnen zu Ehren, in einem Orte einmal die Dorfmusicanten
aufspielen ließ, fragten sie entrüstet: ob man sie für Komödianten halte?

Die Spiele dauern nun vom ersten Advent bis heiligen Dreikönig.
Alle Sonntag und Feiertag wird gespielt; jeden Mittwoch ist eine Aufführung
zur Uebung. An den übrigen Werktagen ziehn die Spieler über Land auf
benachbarte Dörfer, wo gespielt wird.^> Der Eintritt für jeden Zuschauer
kostet zwei Kreuzer; Kinder zahlen die Hälfte. Das Geld, das einkommt,
reicht grade hin, um die Auslagen der Aufführung. Kleider und tgi. zu be-
streiten. Denn alles ist immer im besten Stand.

Ich halte die Erwähnung dieser Umstände deshalb für wichtig, weil aus
ihnen ersichtlich wird, wie auch gegenwärtig noch eine gewisse Weihe mit der
Sache verbunden ist. Die Aufführung beginnt gewöhnlich schon um drei Uhr
Nachmittag und dauert zwei Stunden. Wenn jedoch Publicum vorhanden
ist, so fangen sie dann noch einmal von vorne an u. s. f. so lange jemand
zuhören will. Aufgeführt werden jedoch drei Stücke: i. Christi Geburt.
2. Adam und Eva. 3. (wie nach den Trilogien des antiken Trauerspiels das
Satyrspiel) ein Fastnachtspiel. --

Der ersten Aufführung geht ein feierlicher Auszug der Spieler, ge¬
wöhnlich "Singer" und zusammen Kumpanei, Companie genannt, aus dem
Hause des Lehrmeisters bevor. Voran trägt einer den Baum des Paradieses,
wozu ein sechs Schuh hoher schöner "KrZ,newit" (Wachholdcrbaum) ausge¬
sucht wird, der mit großen flatternden Bändern geschmückt und ganz mit
Aepfeln behängen ist. Neben dem Baum wird beziehungsvoll der Stern ein¬
hergetragen. Er ist von Holz, zum großen Theil vergoldet und hat über zwei
Schuh im Durchmesser. Eine sogenannte hölzerne Schere, an der er befestigt
ist, kann über eine Klafter verlängert werden. Der Stern selbst ist so be-




") Nicht alle Jahre ist es thunlich. In diesem Jahrhundert spielte man: 1809? 1817.
1827. 1836. 1841, 1853. 1856. --
") Es ergehn da an die Obcruftrcr förmliche Einladungen von den benachbarten Orte aus

und füraus die heiligen Gesänge einübeten. Was sie in der Schule gelernt haben,
habn sie eh (d. i. ohnehin) vergessen! — Da schau ich mich um, und wann
es sich trifft, daß accurat die richtigen Burschen genug vorhanden seint"), da
ruf ich sie halt zu mir. Ein jeder, der mitspielen will, darf 1. nicht zu'n
Diemen gehen, 2. keine Schelmliedel singen die ganze heilige Zeit über.
3. muß er ein ehrsames Leben führen, 4. muß er mir folgen. Für alles ist
eine Geldstrafe, auch für jeden Gedächtnißfehler u. tgi. im Spiel."

Von nun an wird abgeschrieben, gelernt, gesungen Tag und Nacht. In
dem Dorf wird keine Musik gelitten. Wenn die Spieler über Land gehn, um
in einem benachbarten Ort zu spielen und es ist Musik da. so ziehn sie wei¬
ter. Als man. ihnen zu Ehren, in einem Orte einmal die Dorfmusicanten
aufspielen ließ, fragten sie entrüstet: ob man sie für Komödianten halte?

Die Spiele dauern nun vom ersten Advent bis heiligen Dreikönig.
Alle Sonntag und Feiertag wird gespielt; jeden Mittwoch ist eine Aufführung
zur Uebung. An den übrigen Werktagen ziehn die Spieler über Land auf
benachbarte Dörfer, wo gespielt wird.^> Der Eintritt für jeden Zuschauer
kostet zwei Kreuzer; Kinder zahlen die Hälfte. Das Geld, das einkommt,
reicht grade hin, um die Auslagen der Aufführung. Kleider und tgi. zu be-
streiten. Denn alles ist immer im besten Stand.

Ich halte die Erwähnung dieser Umstände deshalb für wichtig, weil aus
ihnen ersichtlich wird, wie auch gegenwärtig noch eine gewisse Weihe mit der
Sache verbunden ist. Die Aufführung beginnt gewöhnlich schon um drei Uhr
Nachmittag und dauert zwei Stunden. Wenn jedoch Publicum vorhanden
ist, so fangen sie dann noch einmal von vorne an u. s. f. so lange jemand
zuhören will. Aufgeführt werden jedoch drei Stücke: i. Christi Geburt.
2. Adam und Eva. 3. (wie nach den Trilogien des antiken Trauerspiels das
Satyrspiel) ein Fastnachtspiel. —

Der ersten Aufführung geht ein feierlicher Auszug der Spieler, ge¬
wöhnlich „Singer" und zusammen Kumpanei, Companie genannt, aus dem
Hause des Lehrmeisters bevor. Voran trägt einer den Baum des Paradieses,
wozu ein sechs Schuh hoher schöner „KrZ,newit" (Wachholdcrbaum) ausge¬
sucht wird, der mit großen flatternden Bändern geschmückt und ganz mit
Aepfeln behängen ist. Neben dem Baum wird beziehungsvoll der Stern ein¬
hergetragen. Er ist von Holz, zum großen Theil vergoldet und hat über zwei
Schuh im Durchmesser. Eine sogenannte hölzerne Schere, an der er befestigt
ist, kann über eine Klafter verlängert werden. Der Stern selbst ist so be-




") Nicht alle Jahre ist es thunlich. In diesem Jahrhundert spielte man: 1809? 1817.
1827. 1836. 1841, 1853. 1856. —
") Es ergehn da an die Obcruftrcr förmliche Einladungen von den benachbarten Orte aus
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/364>, abgerufen am 28.05.2024.