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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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welche für Palmerston und die Whigführer um so empfindlicher war, weil
hier einmal das natürliche Gefühl die Schranke der Parteidisciplin durch¬
brach. Die Führer der Torypartei nun sind nicht dazu angethan, dem fran¬
zösischen Kaiser weniger Courtoisie zu zeigen. Sie werden in der Lage sein,
ihm alsbald ein Unterpfand ihrer geneigten Stimmung zu geben, und sie werden
dies mit dem besten Rechte thun, denn in der That ist gutes Einvernehmen
mit Frankreich gegenwärtig noch für England unentbehrlich. Sie werden also
die Bill ihrer Vorgänger nach parlamentarischem Brauch mit unwesentlichen
Veränderungen wieder aufnehmen. Aber die kleinste Veränderung wird den er¬
bitterten Whigs willkommenen Vorwand geben, jetzt gegen dieselbe Bill zu poliren.
und da die öffentliche Meinung durch die letzten Ereignisse in England und
Frankreich noch mehr dagegen gestimmt ist. so ist durchaus nicht abzusehn,
wie die neuen Minister dieselbe jetzt in dem mürrischen Haus der Gemeinen
durchbringen und nach einer Niederlage in dieser Frage eine Auslosung des
Parlaments wagen wollen. Ihre einzige Aussicht, eine zweifelhafte, demüthige
und gefährliche Aussicht ist die, den Kaiser von Frankreich in irgend einer
Form zu beschwichtigen und das Einbringen der Bill auf einen günstigern
Zeitpunkt zu schieben.

Es liegt nahe, bei dieser großen englischen Frage an den Kaiser zu denken.
Wie hat sich seine Stellung in der Meinung Europas seit dem Attentat geändert!
Was seitdem in Frankreich geschehn, berechtigt zu der Ansicht, daß er von der
Sicherheit und Mäßigung verloren hat, welche allein ihn auf seiner steilen Höhe
erhalten konnte. Auch dort ist die Rachegöttin beschäftigt, eine große Vergel¬
tung vorzubereiten. Nicht ohne ein tiefes, tragisches Interesse sehn wir aus
der Ferne, wie der rücksichtslose Egoismus eines ungewöhnlichen Mannes
das Großartige verliert, und zu den politisch bedenklichsten Mitteln greift.
Alles was er beschließt, um im Wege der Gewalt seine Dynastie zu erhalten,
bereitet, so scheint uns, derselben in den Zukunft ein Verhängnis;. Seiner
eignen Seele ist der Trotz und die Verachtung der öffentlichen Meinung gefahr¬
voll. Wie eisern auch die Banden sind, mit denen er Frankreich an sich
schließt, es ist doch vorauszusehen, daß eine plötzliche Erplosion des Zornes
sie sprengen wird. .Und endlich die Theilung Frankreichs unter fünf Generale!
Sie läßt fast mit Sicherheit voraussagen, daß wenigstens nach dem Tode
des neuen Augustus seinem Hause einer oder mehre der fünf Legivncnführer
gegenübertreten werden, unter eignem Zeichen oder denen eines fremden Hauses.




welche für Palmerston und die Whigführer um so empfindlicher war, weil
hier einmal das natürliche Gefühl die Schranke der Parteidisciplin durch¬
brach. Die Führer der Torypartei nun sind nicht dazu angethan, dem fran¬
zösischen Kaiser weniger Courtoisie zu zeigen. Sie werden in der Lage sein,
ihm alsbald ein Unterpfand ihrer geneigten Stimmung zu geben, und sie werden
dies mit dem besten Rechte thun, denn in der That ist gutes Einvernehmen
mit Frankreich gegenwärtig noch für England unentbehrlich. Sie werden also
die Bill ihrer Vorgänger nach parlamentarischem Brauch mit unwesentlichen
Veränderungen wieder aufnehmen. Aber die kleinste Veränderung wird den er¬
bitterten Whigs willkommenen Vorwand geben, jetzt gegen dieselbe Bill zu poliren.
und da die öffentliche Meinung durch die letzten Ereignisse in England und
Frankreich noch mehr dagegen gestimmt ist. so ist durchaus nicht abzusehn,
wie die neuen Minister dieselbe jetzt in dem mürrischen Haus der Gemeinen
durchbringen und nach einer Niederlage in dieser Frage eine Auslosung des
Parlaments wagen wollen. Ihre einzige Aussicht, eine zweifelhafte, demüthige
und gefährliche Aussicht ist die, den Kaiser von Frankreich in irgend einer
Form zu beschwichtigen und das Einbringen der Bill auf einen günstigern
Zeitpunkt zu schieben.

Es liegt nahe, bei dieser großen englischen Frage an den Kaiser zu denken.
Wie hat sich seine Stellung in der Meinung Europas seit dem Attentat geändert!
Was seitdem in Frankreich geschehn, berechtigt zu der Ansicht, daß er von der
Sicherheit und Mäßigung verloren hat, welche allein ihn auf seiner steilen Höhe
erhalten konnte. Auch dort ist die Rachegöttin beschäftigt, eine große Vergel¬
tung vorzubereiten. Nicht ohne ein tiefes, tragisches Interesse sehn wir aus
der Ferne, wie der rücksichtslose Egoismus eines ungewöhnlichen Mannes
das Großartige verliert, und zu den politisch bedenklichsten Mitteln greift.
Alles was er beschließt, um im Wege der Gewalt seine Dynastie zu erhalten,
bereitet, so scheint uns, derselben in den Zukunft ein Verhängnis;. Seiner
eignen Seele ist der Trotz und die Verachtung der öffentlichen Meinung gefahr¬
voll. Wie eisern auch die Banden sind, mit denen er Frankreich an sich
schließt, es ist doch vorauszusehen, daß eine plötzliche Erplosion des Zornes
sie sprengen wird. .Und endlich die Theilung Frankreichs unter fünf Generale!
Sie läßt fast mit Sicherheit voraussagen, daß wenigstens nach dem Tode
des neuen Augustus seinem Hause einer oder mehre der fünf Legivncnführer
gegenübertreten werden, unter eignem Zeichen oder denen eines fremden Hauses.




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[0373] welche für Palmerston und die Whigführer um so empfindlicher war, weil hier einmal das natürliche Gefühl die Schranke der Parteidisciplin durch¬ brach. Die Führer der Torypartei nun sind nicht dazu angethan, dem fran¬ zösischen Kaiser weniger Courtoisie zu zeigen. Sie werden in der Lage sein, ihm alsbald ein Unterpfand ihrer geneigten Stimmung zu geben, und sie werden dies mit dem besten Rechte thun, denn in der That ist gutes Einvernehmen mit Frankreich gegenwärtig noch für England unentbehrlich. Sie werden also die Bill ihrer Vorgänger nach parlamentarischem Brauch mit unwesentlichen Veränderungen wieder aufnehmen. Aber die kleinste Veränderung wird den er¬ bitterten Whigs willkommenen Vorwand geben, jetzt gegen dieselbe Bill zu poliren. und da die öffentliche Meinung durch die letzten Ereignisse in England und Frankreich noch mehr dagegen gestimmt ist. so ist durchaus nicht abzusehn, wie die neuen Minister dieselbe jetzt in dem mürrischen Haus der Gemeinen durchbringen und nach einer Niederlage in dieser Frage eine Auslosung des Parlaments wagen wollen. Ihre einzige Aussicht, eine zweifelhafte, demüthige und gefährliche Aussicht ist die, den Kaiser von Frankreich in irgend einer Form zu beschwichtigen und das Einbringen der Bill auf einen günstigern Zeitpunkt zu schieben. Es liegt nahe, bei dieser großen englischen Frage an den Kaiser zu denken. Wie hat sich seine Stellung in der Meinung Europas seit dem Attentat geändert! Was seitdem in Frankreich geschehn, berechtigt zu der Ansicht, daß er von der Sicherheit und Mäßigung verloren hat, welche allein ihn auf seiner steilen Höhe erhalten konnte. Auch dort ist die Rachegöttin beschäftigt, eine große Vergel¬ tung vorzubereiten. Nicht ohne ein tiefes, tragisches Interesse sehn wir aus der Ferne, wie der rücksichtslose Egoismus eines ungewöhnlichen Mannes das Großartige verliert, und zu den politisch bedenklichsten Mitteln greift. Alles was er beschließt, um im Wege der Gewalt seine Dynastie zu erhalten, bereitet, so scheint uns, derselben in den Zukunft ein Verhängnis;. Seiner eignen Seele ist der Trotz und die Verachtung der öffentlichen Meinung gefahr¬ voll. Wie eisern auch die Banden sind, mit denen er Frankreich an sich schließt, es ist doch vorauszusehen, daß eine plötzliche Erplosion des Zornes sie sprengen wird. .Und endlich die Theilung Frankreichs unter fünf Generale! Sie läßt fast mit Sicherheit voraussagen, daß wenigstens nach dem Tode des neuen Augustus seinem Hause einer oder mehre der fünf Legivncnführer gegenübertreten werden, unter eignem Zeichen oder denen eines fremden Hauses.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/373>, abgerufen am 13.05.2024.