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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Volkskraft durchgesetzt, Der Sandmann konnte Bürger werden, der erfahrene
Bürger konnte zum Regiment seiner Stadt, eines Bundes von Städten, zum
Leiter großer Interessen aufsteigen, eine dauernde und wohl temperirte Menschen¬
kraft fand immer Gelegenheit, bei Verfolgung des eigenen Interesses auch
das Gedeihn von hunderttausend andern zu fordern. Der adlige Landbesitzer
aber war seit dem Anfange des 13. Jahrhunderts allmälig in anspruchsvolle
Jsolirung versunken, Arbeit war ihm Schande, den Acker bauten ihm ab¬
hängige Hintersassen in verschiedenem Grade von Unfreiheit, Sein natür¬
liches Bestreben war, so viel als möglich von ihnen zu erhalten. Immer
größer wurde der Druck, durch den er sie niederhielt, immer stärker die An¬
sprüche, weiche er als Herr des Grund und Bodens gegen die eigenen Leute,
wie gegen die fremden Reisenden erhob. Bis zum 72. Jahrhundert muß der
freie Bauernstand im damaligen Deutschland stark und zahlreich gewesen sein.
Bon da ab beförderte der Druck der verwilderten Gutsherrn eine massenhafte
Auswanderung in die slawischen Eid- und Oberländer. Aber dem deutschen
Bauer folgte auch dorthin das deutsche Feudalunwesen. Aus dem adligen
Schulzen wurde in tausend deutschen Colonistendörfern allmälig ein tyranni¬
scher Gutsherr und seit dem Ende des 14. Jahrhunderts verfiel auch an Elbe
und Oder die aufblühende Landkraft den Dämonen des deutscheu Mittelalters.

Aber der Druck des Landbaues war noch nicht die schlimmste Folge der
Kastenstellung des Adels, Wenn er sei" Nutzthier, den Bauer, immer noch
mit einer gewissen Müßigung zu deha'übeln vortheilhaft fand, so war er um
so eifriger, seine Grundrechte nach andern Richtungen auszunutzen. Die Land¬
straße, der Fluß, welche an seinem Schlosse vorbeiliefen, boten ihm Gelegen¬
heit, von dem Eigenthum Fremder sür sich zu nehmen. Er erhob Zoll von
Waaren und Reisenden, er drang sein schützendes Geleit auf und beraubte
solche, welche dies Geleit nicht für nöthig hielten, er baute wol gar
eine Brücke, wo kein Fluß war, um Brückenzoll zu erheben, er erhielt die
Landstraße absichtlich in schlechtem Zustand, denn die Waaren des reisenden
Kaufmanns zogen zwar unter des Kaisers Schutz, so lange sie im Wagen oder
im flotten Schiffe waren, wenn der Wagen aber umfiel oder das Schiff auf
den Grund stieß, gehörten -- so behauptete er -- nach Boden- und Ruhrrecht die
Waaren dem Eigenthümer des Grundes. Zuletzt wurde er selbst Räuber und
überfiel mit seinen Spießgesellen, was er erreichen konnte; die Waaren führte
er nach seinem Hause, die Reisenden plünderte er und hielt sie gefangen, bis
^sie sich durch Lösegeld frei machten. Allerdings waren auch bei diesen Räu-
bereien bestimmte Observanzen, nach denen der gewissenhaftere Junker ehren¬
hafte und unehrenhafte Beute unterschied. Aber dieser Moralcodex hatte kaum
höhere Berechtigung, als ähnliche Traditionen bei bestimmten Classen von
Dieben. Es gab im > 4. und 15. Jahrhundert wenig adlige Häuser, welche


Volkskraft durchgesetzt, Der Sandmann konnte Bürger werden, der erfahrene
Bürger konnte zum Regiment seiner Stadt, eines Bundes von Städten, zum
Leiter großer Interessen aufsteigen, eine dauernde und wohl temperirte Menschen¬
kraft fand immer Gelegenheit, bei Verfolgung des eigenen Interesses auch
das Gedeihn von hunderttausend andern zu fordern. Der adlige Landbesitzer
aber war seit dem Anfange des 13. Jahrhunderts allmälig in anspruchsvolle
Jsolirung versunken, Arbeit war ihm Schande, den Acker bauten ihm ab¬
hängige Hintersassen in verschiedenem Grade von Unfreiheit, Sein natür¬
liches Bestreben war, so viel als möglich von ihnen zu erhalten. Immer
größer wurde der Druck, durch den er sie niederhielt, immer stärker die An¬
sprüche, weiche er als Herr des Grund und Bodens gegen die eigenen Leute,
wie gegen die fremden Reisenden erhob. Bis zum 72. Jahrhundert muß der
freie Bauernstand im damaligen Deutschland stark und zahlreich gewesen sein.
Bon da ab beförderte der Druck der verwilderten Gutsherrn eine massenhafte
Auswanderung in die slawischen Eid- und Oberländer. Aber dem deutschen
Bauer folgte auch dorthin das deutsche Feudalunwesen. Aus dem adligen
Schulzen wurde in tausend deutschen Colonistendörfern allmälig ein tyranni¬
scher Gutsherr und seit dem Ende des 14. Jahrhunderts verfiel auch an Elbe
und Oder die aufblühende Landkraft den Dämonen des deutscheu Mittelalters.

Aber der Druck des Landbaues war noch nicht die schlimmste Folge der
Kastenstellung des Adels, Wenn er sei» Nutzthier, den Bauer, immer noch
mit einer gewissen Müßigung zu deha'übeln vortheilhaft fand, so war er um
so eifriger, seine Grundrechte nach andern Richtungen auszunutzen. Die Land¬
straße, der Fluß, welche an seinem Schlosse vorbeiliefen, boten ihm Gelegen¬
heit, von dem Eigenthum Fremder sür sich zu nehmen. Er erhob Zoll von
Waaren und Reisenden, er drang sein schützendes Geleit auf und beraubte
solche, welche dies Geleit nicht für nöthig hielten, er baute wol gar
eine Brücke, wo kein Fluß war, um Brückenzoll zu erheben, er erhielt die
Landstraße absichtlich in schlechtem Zustand, denn die Waaren des reisenden
Kaufmanns zogen zwar unter des Kaisers Schutz, so lange sie im Wagen oder
im flotten Schiffe waren, wenn der Wagen aber umfiel oder das Schiff auf
den Grund stieß, gehörten — so behauptete er — nach Boden- und Ruhrrecht die
Waaren dem Eigenthümer des Grundes. Zuletzt wurde er selbst Räuber und
überfiel mit seinen Spießgesellen, was er erreichen konnte; die Waaren führte
er nach seinem Hause, die Reisenden plünderte er und hielt sie gefangen, bis
^sie sich durch Lösegeld frei machten. Allerdings waren auch bei diesen Räu-
bereien bestimmte Observanzen, nach denen der gewissenhaftere Junker ehren¬
hafte und unehrenhafte Beute unterschied. Aber dieser Moralcodex hatte kaum
höhere Berechtigung, als ähnliche Traditionen bei bestimmten Classen von
Dieben. Es gab im > 4. und 15. Jahrhundert wenig adlige Häuser, welche


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[0390] Volkskraft durchgesetzt, Der Sandmann konnte Bürger werden, der erfahrene Bürger konnte zum Regiment seiner Stadt, eines Bundes von Städten, zum Leiter großer Interessen aufsteigen, eine dauernde und wohl temperirte Menschen¬ kraft fand immer Gelegenheit, bei Verfolgung des eigenen Interesses auch das Gedeihn von hunderttausend andern zu fordern. Der adlige Landbesitzer aber war seit dem Anfange des 13. Jahrhunderts allmälig in anspruchsvolle Jsolirung versunken, Arbeit war ihm Schande, den Acker bauten ihm ab¬ hängige Hintersassen in verschiedenem Grade von Unfreiheit, Sein natür¬ liches Bestreben war, so viel als möglich von ihnen zu erhalten. Immer größer wurde der Druck, durch den er sie niederhielt, immer stärker die An¬ sprüche, weiche er als Herr des Grund und Bodens gegen die eigenen Leute, wie gegen die fremden Reisenden erhob. Bis zum 72. Jahrhundert muß der freie Bauernstand im damaligen Deutschland stark und zahlreich gewesen sein. Bon da ab beförderte der Druck der verwilderten Gutsherrn eine massenhafte Auswanderung in die slawischen Eid- und Oberländer. Aber dem deutschen Bauer folgte auch dorthin das deutsche Feudalunwesen. Aus dem adligen Schulzen wurde in tausend deutschen Colonistendörfern allmälig ein tyranni¬ scher Gutsherr und seit dem Ende des 14. Jahrhunderts verfiel auch an Elbe und Oder die aufblühende Landkraft den Dämonen des deutscheu Mittelalters. Aber der Druck des Landbaues war noch nicht die schlimmste Folge der Kastenstellung des Adels, Wenn er sei» Nutzthier, den Bauer, immer noch mit einer gewissen Müßigung zu deha'übeln vortheilhaft fand, so war er um so eifriger, seine Grundrechte nach andern Richtungen auszunutzen. Die Land¬ straße, der Fluß, welche an seinem Schlosse vorbeiliefen, boten ihm Gelegen¬ heit, von dem Eigenthum Fremder sür sich zu nehmen. Er erhob Zoll von Waaren und Reisenden, er drang sein schützendes Geleit auf und beraubte solche, welche dies Geleit nicht für nöthig hielten, er baute wol gar eine Brücke, wo kein Fluß war, um Brückenzoll zu erheben, er erhielt die Landstraße absichtlich in schlechtem Zustand, denn die Waaren des reisenden Kaufmanns zogen zwar unter des Kaisers Schutz, so lange sie im Wagen oder im flotten Schiffe waren, wenn der Wagen aber umfiel oder das Schiff auf den Grund stieß, gehörten — so behauptete er — nach Boden- und Ruhrrecht die Waaren dem Eigenthümer des Grundes. Zuletzt wurde er selbst Räuber und überfiel mit seinen Spießgesellen, was er erreichen konnte; die Waaren führte er nach seinem Hause, die Reisenden plünderte er und hielt sie gefangen, bis ^sie sich durch Lösegeld frei machten. Allerdings waren auch bei diesen Räu- bereien bestimmte Observanzen, nach denen der gewissenhaftere Junker ehren¬ hafte und unehrenhafte Beute unterschied. Aber dieser Moralcodex hatte kaum höhere Berechtigung, als ähnliche Traditionen bei bestimmten Classen von Dieben. Es gab im > 4. und 15. Jahrhundert wenig adlige Häuser, welche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/390>, abgerufen am 28.05.2024.