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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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den sehr übel berichtenden Rathgeber des berliner Cabinets hingestellt haben.
Weit schlimmer als auf die Preußen, unsre damals ausgesprochenen Feinde,
war man hierseits auf die "Schwaben" zu sprechen, unter welchem Ausdruck
man in der Schweiz schlechtweg alle Süddeutschen begreift. Auch hier
mußten, trotz einiger uns günstigen Manifestationen in Stuttgart, die Völker
für das Verhalten der Regierungen büßen. Borden Preußen sagte man sich:
Je nun, wenn der König befiehlt, so müssen sie halt mnrschiren; geht auch
das Fürstenthum Neuenburg das Königreich Preußen blutwenig an, so ist der
Fürst von Neuenburg nun einmal der König der Preußen und daß diese,
wenn auch nur in reinen Hausangelegenheiten ihrem König folgen, ist
im Grunde ganz in der Ordnung; unsere republikanischen Regierungen würden
mit widerspenstigen Provinzen auch nicht sehr gnädig umspringen. Allein
Baden, Würtemberg und Baiern -- so sagte man sich hier darüber -- was hat
die Schweiz gegen diese verbrochen? Was verpflichtet diese, ihr Land als
Feindesland herzugeben, da ja der Fürst von Neuenburg kein deutscher
Bundesfürst ist? Daneben zerbrach man sich den Kopf über die Raison, die
namentlich der Politik des Großherzogthums Baden zu Grunde liegen mochte,
da es alle Aussicht hatte, beim Ausbruch des Krieges der Schauplatz wenig¬
stens der ersten Feindseligkeiten zu werden.

Welche Stimmung bei diesen und ähnlichen Betrachtungen anwuchs, können
Sie sich leicht denken. Und da die berührte Politik eigentlich nur einen neuen
Ring in einer Jahrzehnte und Jahrhunderte lang gezogenen Kette von nach¬
barlichen Mißliebigkeiten bildete, so haben Sie auch den Schlüssel zu dem
Räthsel, warum der Rhein von Constanz bis Basel die anliegenden Bölkerschas-
ten nicht weniger schroff trennt, als der Rhein zwischen Basel und Lauterburg,
trotzdem daß uns starke Bande der Sprache, Literatur und eines reichen Han"
delsverkehrs eng anemandcrknüpfen sollten.

Es war hohe Zeit, daß die bandwurmartigen diplomatischen Unterhand¬
lungen in Paris über die neucnburger Frage ihre Endschaft erreichten.
Das eidgenössische Schützenfest nahte, und da duldet der Zug des repu¬
blikanischen Souveräns keine Fesseln. Seine nur durch das Vertrauen in den
Bundesrath im Zaum gehaltene Ungeduld war auf dem Siedpunkt angelangt und
würde sich, wenn Napoleon III. und die pariser Konferenz nicht vor dem Juli
fertig geworden Wären, unfehlbar von der Tribune der Sckützen in einer Weise
entladen haben, die für die politische Zukunft mehr als einer Koryphäe des Ta¬
ges gefährlich werden konnte. Dann wäre nach Noten radicalisirt worden, so
laut, daß man dieses Geräusch auch außerhalb unsrer Grenzen vernommen
haben würde. Daß die aufs Höchste gespannte Ungeduld denn doch bei Zeiten
ihre Erlösung fand -und die ganze Frage selbst eine dem Schweizervolk zu¬
sagende Lösung, das hat dem eidgenössischen Schützenfest von 1857 einen spe-


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den sehr übel berichtenden Rathgeber des berliner Cabinets hingestellt haben.
Weit schlimmer als auf die Preußen, unsre damals ausgesprochenen Feinde,
war man hierseits auf die „Schwaben" zu sprechen, unter welchem Ausdruck
man in der Schweiz schlechtweg alle Süddeutschen begreift. Auch hier
mußten, trotz einiger uns günstigen Manifestationen in Stuttgart, die Völker
für das Verhalten der Regierungen büßen. Borden Preußen sagte man sich:
Je nun, wenn der König befiehlt, so müssen sie halt mnrschiren; geht auch
das Fürstenthum Neuenburg das Königreich Preußen blutwenig an, so ist der
Fürst von Neuenburg nun einmal der König der Preußen und daß diese,
wenn auch nur in reinen Hausangelegenheiten ihrem König folgen, ist
im Grunde ganz in der Ordnung; unsere republikanischen Regierungen würden
mit widerspenstigen Provinzen auch nicht sehr gnädig umspringen. Allein
Baden, Würtemberg und Baiern — so sagte man sich hier darüber — was hat
die Schweiz gegen diese verbrochen? Was verpflichtet diese, ihr Land als
Feindesland herzugeben, da ja der Fürst von Neuenburg kein deutscher
Bundesfürst ist? Daneben zerbrach man sich den Kopf über die Raison, die
namentlich der Politik des Großherzogthums Baden zu Grunde liegen mochte,
da es alle Aussicht hatte, beim Ausbruch des Krieges der Schauplatz wenig¬
stens der ersten Feindseligkeiten zu werden.

Welche Stimmung bei diesen und ähnlichen Betrachtungen anwuchs, können
Sie sich leicht denken. Und da die berührte Politik eigentlich nur einen neuen
Ring in einer Jahrzehnte und Jahrhunderte lang gezogenen Kette von nach¬
barlichen Mißliebigkeiten bildete, so haben Sie auch den Schlüssel zu dem
Räthsel, warum der Rhein von Constanz bis Basel die anliegenden Bölkerschas-
ten nicht weniger schroff trennt, als der Rhein zwischen Basel und Lauterburg,
trotzdem daß uns starke Bande der Sprache, Literatur und eines reichen Han»
delsverkehrs eng anemandcrknüpfen sollten.

Es war hohe Zeit, daß die bandwurmartigen diplomatischen Unterhand¬
lungen in Paris über die neucnburger Frage ihre Endschaft erreichten.
Das eidgenössische Schützenfest nahte, und da duldet der Zug des repu¬
blikanischen Souveräns keine Fesseln. Seine nur durch das Vertrauen in den
Bundesrath im Zaum gehaltene Ungeduld war auf dem Siedpunkt angelangt und
würde sich, wenn Napoleon III. und die pariser Konferenz nicht vor dem Juli
fertig geworden Wären, unfehlbar von der Tribune der Sckützen in einer Weise
entladen haben, die für die politische Zukunft mehr als einer Koryphäe des Ta¬
ges gefährlich werden konnte. Dann wäre nach Noten radicalisirt worden, so
laut, daß man dieses Geräusch auch außerhalb unsrer Grenzen vernommen
haben würde. Daß die aufs Höchste gespannte Ungeduld denn doch bei Zeiten
ihre Erlösung fand -und die ganze Frage selbst eine dem Schweizervolk zu¬
sagende Lösung, das hat dem eidgenössischen Schützenfest von 1857 einen spe-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/411>, abgerufen am 29.05.2024.