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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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und seine Consequenz, der Zinseszins, zu der Absurdität führen würde, daß ein
zu Christi Geburt verzinslich angelegtes Capital von einem Pfennig heute eine
Silbernässe vorstellen müßte, welche unsern Erdkörper an Kubikinhalt weit
hinter sich läßt -- und ähnliche schlagende Argumente, für welche gewisse
Herren ein so grandioses Talent entwickeln. Consequenz würde in solcher
Stellung gegen den Zins als solchen jedenfalls liegen. Denn wenn der Reiche
von dem dürftigen Handwerker oder der verlassenen Witwe, welche an seine
Thür klopfen, sich zwei oder drei Procept für sein Darlehn versprechen läßt,
und diese dann mit Hilfe des Gesetzes beitreibt, so unterscheidet er sich offen¬
bar nur dem Grade nach von dem, welcher 8 bis 10 Procent von solchen
Personen nimmt.

Es gibt gewisse Verhältnisse, in denen jede Zinsverabredung von jedem
als eine Hartherzigkeit oder Unanständigkeit bezeichnet werden wird. Aber sie
fallen nicht in das Gebiet des Rechts und des wirthschaftlichen Verkehrs,
sondern in das des Mitgefühls, der Wohlthätigkeit, der Gefälligkeit. Auf
unsern Universitäten borgt ein Student vom andern, -- und nicht immer in
ganz unbedeutenden Quantitäten oder auf ganz kurze Zeit -- ohne daß an
einen Zins oder selbst an eine Schuldverschreibung auch nur gedacht werden
wird. Von Einzelnen und von Vereinen werden nicht blos unverzinsliche
Darlehne, sondern bedeutende Unterstützungen unentgeltlich an Dürftige ge¬
geben, unsere Aerzte widmen manchem Patienten ihre Zeit und Sorgfalt. von
dem sie gewiß wissen, daß er nicht im Stande ist, ihnen das Honorar der
Medicinaltaze zu zahlen. Deshalb weil dieses alles unzweifelhaft schön, edel
und lobenswerth ist, kann doch keine Gesetzgebung, welche die Sittlichkeit zu
ihrem Princip macht-, decretiren, daß diese Dienste und Leistungen unentgeltlich
geschehen sollen. Das kanonische Recht, welches seine religiös-sittlichen Ge¬
sichtspunkte in die Gesetzgebung zu mischen versuchte, that das beim Darlehn,
und was war die Folge? Da es zu unbillig gewesen wäre, dem Gläubiger
wider seinen Willen durch einen säumigen Schuldner den Genuß seines Ca¬
pitals vorenthalten zu lassen, waren Verzugszinsen von dem gesetzlichen Ver¬
bot nicht betroffen. Wer also Geld bekommen wollte, mußte es sich gefallen
lassen, daß der Gläubiger es ihm formell nur auf 24 Stunden lieh, nach
Ablauf derselben die Klage gegen seinen nunmehr im Verzug befindlichen
Schuldner einreichte, und so unter dem Namen von Verzugszinsen die Früchte
seines Capitals bezog, welche das unverständige Gesetz ihm im Wege des
Vertrags versagte.

Das muß das Schicksal jedes Gesetzes sein, welches den Zins ver¬
bietet. Denn es ist in der Natur des Capitals so tief und unumstößlich
begründet. Zinsen zu bringen, daß jenes ohne diese ebenso wenig gedacht wer¬
den kann, wie diese ohne jenes und bei jedem wirthschaftlichen Zustand, wo


und seine Consequenz, der Zinseszins, zu der Absurdität führen würde, daß ein
zu Christi Geburt verzinslich angelegtes Capital von einem Pfennig heute eine
Silbernässe vorstellen müßte, welche unsern Erdkörper an Kubikinhalt weit
hinter sich läßt — und ähnliche schlagende Argumente, für welche gewisse
Herren ein so grandioses Talent entwickeln. Consequenz würde in solcher
Stellung gegen den Zins als solchen jedenfalls liegen. Denn wenn der Reiche
von dem dürftigen Handwerker oder der verlassenen Witwe, welche an seine
Thür klopfen, sich zwei oder drei Procept für sein Darlehn versprechen läßt,
und diese dann mit Hilfe des Gesetzes beitreibt, so unterscheidet er sich offen¬
bar nur dem Grade nach von dem, welcher 8 bis 10 Procent von solchen
Personen nimmt.

Es gibt gewisse Verhältnisse, in denen jede Zinsverabredung von jedem
als eine Hartherzigkeit oder Unanständigkeit bezeichnet werden wird. Aber sie
fallen nicht in das Gebiet des Rechts und des wirthschaftlichen Verkehrs,
sondern in das des Mitgefühls, der Wohlthätigkeit, der Gefälligkeit. Auf
unsern Universitäten borgt ein Student vom andern, — und nicht immer in
ganz unbedeutenden Quantitäten oder auf ganz kurze Zeit — ohne daß an
einen Zins oder selbst an eine Schuldverschreibung auch nur gedacht werden
wird. Von Einzelnen und von Vereinen werden nicht blos unverzinsliche
Darlehne, sondern bedeutende Unterstützungen unentgeltlich an Dürftige ge¬
geben, unsere Aerzte widmen manchem Patienten ihre Zeit und Sorgfalt. von
dem sie gewiß wissen, daß er nicht im Stande ist, ihnen das Honorar der
Medicinaltaze zu zahlen. Deshalb weil dieses alles unzweifelhaft schön, edel
und lobenswerth ist, kann doch keine Gesetzgebung, welche die Sittlichkeit zu
ihrem Princip macht-, decretiren, daß diese Dienste und Leistungen unentgeltlich
geschehen sollen. Das kanonische Recht, welches seine religiös-sittlichen Ge¬
sichtspunkte in die Gesetzgebung zu mischen versuchte, that das beim Darlehn,
und was war die Folge? Da es zu unbillig gewesen wäre, dem Gläubiger
wider seinen Willen durch einen säumigen Schuldner den Genuß seines Ca¬
pitals vorenthalten zu lassen, waren Verzugszinsen von dem gesetzlichen Ver¬
bot nicht betroffen. Wer also Geld bekommen wollte, mußte es sich gefallen
lassen, daß der Gläubiger es ihm formell nur auf 24 Stunden lieh, nach
Ablauf derselben die Klage gegen seinen nunmehr im Verzug befindlichen
Schuldner einreichte, und so unter dem Namen von Verzugszinsen die Früchte
seines Capitals bezog, welche das unverständige Gesetz ihm im Wege des
Vertrags versagte.

Das muß das Schicksal jedes Gesetzes sein, welches den Zins ver¬
bietet. Denn es ist in der Natur des Capitals so tief und unumstößlich
begründet. Zinsen zu bringen, daß jenes ohne diese ebenso wenig gedacht wer¬
den kann, wie diese ohne jenes und bei jedem wirthschaftlichen Zustand, wo


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/420>, abgerufen am 15.05.2024.