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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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vereinbar ist. darf der Staatsmann Memoiren veröffentlichen, er sollte des¬
halb in der Regel die Genehmigung seiner Negierung vorher nachsuchen. Um¬
stände können davon allerdings dispensiren. Nehmen wir z. B. den Fall, daß
ein Gesandter, der unter einem Whigministerium diente, seine Memoiren unter
einem Toryministerium veröffentlichen wollte und sicher voraussähe, daß die
Genehmigung ihm aus bloßen Parteigründen verweigert würde, nichts desto
weniger aber glaubte, daß die Veröffentlichung für sein Land wichtig wäre.
Die Umstände entscheiden hier die Frage, es kommt erstens auf den Gegen¬
stand an, über den sich die Memoiren verbreiten. So findet es z. B. niemand
tadelnswerth, daß Sir Robert Peels Papiere über die Korngesetze heraus¬
gegeben sind, die Debatte war öffentlich, die persönlichen Gegensätze haben
sich verwischt, die Maßregel wird von niemand mehr in Frage gestellt. Ein
zweites wesentliches Moment ist die Art der Abfassung, die Schonung aller
persönlichen Beziehungen, mit einem Worte, der Takt. Das dritte und wich¬
tigste ist die Zeit der Veröffentlichung. Hier wie bei Ort und Gegenstand
ist alles relativ, es mag oft schwer sein den Punkt zu bestimmen, wo das
Unkunde und Persönliche in das Historische aufgeht, aber mau möge lieber
etwas an sich halten als zu früh sprechen. Daß ein Politiker Aufzeichnungen
über seine Erlebnisse macht, ist nicht nur in der Ordnung, sondern auch noth¬
wendig, man kann das Zartgefühl ehren, welches Papiere vernichtet, die dritte
Personen compromittiren, aber die Welt und die historische Wahrheit, die
doch über kurz oder lang um den Tag kommen soll, verliert dadurch und der
Discretion ist genügt, wenn Vorkehrungen gegen un zeitige Veröffentlichung
getroffen sind.

Von der Frage, ob man unter obigen Umständen unter seinem Namen
Memoiren herausgeben darf, ist die verschieden, ob ein Staatsbeamter anonym
in der Tagespresse schreiben dürfe? Dies ward im vorigen Jahre lebhaft in
England besprochen, da Lord Clarendon einige Angestellte des auswärtigen
Ministeriums entlassen hatte, weil er erfahren, daß sie und zwar nicht in sei¬
nem Sinne, ihre Feder brauchten. Wie, sagten einige, hat man damit, daß
man in Staatsdienst tritt, das Recht verloren, eine unabhängige Meinung
zu haben und zu äußern, steht es nicht jedem Engländer frei zu denken, zu
sprechen und zu schreiben, wie er will? -- Dies Raisonnement geht offenbar
ins Blaue. Allerdings hat jeder Engländer im Allgemeinen jene Freiheit,
so lange ihn nicht entgegenstehende Verpflichtungen binden. Ich habe das Recht
zu gehen wohin ich will, aber dies Recht wird beschränkt durch die entgegen¬
stehenden- Rechte andrer, auf meines Nachbars Blumenbeeten darf ich eben
nicht spazieren gehen. Wenn jene freien Engländer schreiben wollen, was sie
denken, so müssen sie sich dem Staate gegenüber nicht durch Annahme eines
Amtes binden, sie können auch in vielen Stellen schreiben, nämlich mit Vor-


vereinbar ist. darf der Staatsmann Memoiren veröffentlichen, er sollte des¬
halb in der Regel die Genehmigung seiner Negierung vorher nachsuchen. Um¬
stände können davon allerdings dispensiren. Nehmen wir z. B. den Fall, daß
ein Gesandter, der unter einem Whigministerium diente, seine Memoiren unter
einem Toryministerium veröffentlichen wollte und sicher voraussähe, daß die
Genehmigung ihm aus bloßen Parteigründen verweigert würde, nichts desto
weniger aber glaubte, daß die Veröffentlichung für sein Land wichtig wäre.
Die Umstände entscheiden hier die Frage, es kommt erstens auf den Gegen¬
stand an, über den sich die Memoiren verbreiten. So findet es z. B. niemand
tadelnswerth, daß Sir Robert Peels Papiere über die Korngesetze heraus¬
gegeben sind, die Debatte war öffentlich, die persönlichen Gegensätze haben
sich verwischt, die Maßregel wird von niemand mehr in Frage gestellt. Ein
zweites wesentliches Moment ist die Art der Abfassung, die Schonung aller
persönlichen Beziehungen, mit einem Worte, der Takt. Das dritte und wich¬
tigste ist die Zeit der Veröffentlichung. Hier wie bei Ort und Gegenstand
ist alles relativ, es mag oft schwer sein den Punkt zu bestimmen, wo das
Unkunde und Persönliche in das Historische aufgeht, aber mau möge lieber
etwas an sich halten als zu früh sprechen. Daß ein Politiker Aufzeichnungen
über seine Erlebnisse macht, ist nicht nur in der Ordnung, sondern auch noth¬
wendig, man kann das Zartgefühl ehren, welches Papiere vernichtet, die dritte
Personen compromittiren, aber die Welt und die historische Wahrheit, die
doch über kurz oder lang um den Tag kommen soll, verliert dadurch und der
Discretion ist genügt, wenn Vorkehrungen gegen un zeitige Veröffentlichung
getroffen sind.

Von der Frage, ob man unter obigen Umständen unter seinem Namen
Memoiren herausgeben darf, ist die verschieden, ob ein Staatsbeamter anonym
in der Tagespresse schreiben dürfe? Dies ward im vorigen Jahre lebhaft in
England besprochen, da Lord Clarendon einige Angestellte des auswärtigen
Ministeriums entlassen hatte, weil er erfahren, daß sie und zwar nicht in sei¬
nem Sinne, ihre Feder brauchten. Wie, sagten einige, hat man damit, daß
man in Staatsdienst tritt, das Recht verloren, eine unabhängige Meinung
zu haben und zu äußern, steht es nicht jedem Engländer frei zu denken, zu
sprechen und zu schreiben, wie er will? — Dies Raisonnement geht offenbar
ins Blaue. Allerdings hat jeder Engländer im Allgemeinen jene Freiheit,
so lange ihn nicht entgegenstehende Verpflichtungen binden. Ich habe das Recht
zu gehen wohin ich will, aber dies Recht wird beschränkt durch die entgegen¬
stehenden- Rechte andrer, auf meines Nachbars Blumenbeeten darf ich eben
nicht spazieren gehen. Wenn jene freien Engländer schreiben wollen, was sie
denken, so müssen sie sich dem Staate gegenüber nicht durch Annahme eines
Amtes binden, sie können auch in vielen Stellen schreiben, nämlich mit Vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/436>, abgerufen am 14.05.2024.