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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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wenige Fälle abgerechnet, ausschließlich in den Händen der einzelnen Re¬
gierungen, Das hat die Nationälversanunlung um 1848 auch gefühlt und
sich deshalb nach Auflösung des Bundestags eine eigene Executive gesetzt, auf
die sie freilich Einfluß ausübte, aber nur so weit diese Executive im Stande
war sich geltend zu machen, und das war nicht weit.

Zweitens wird, wie Herr von Beust mit Recht bemerkt, die Sache dadurch
wesentlich geändert, daß die verbündeten Staaten Deutschlands monarchisch
sind. Der deutsche Bund ist nicht eine Föderation der verschiedenen deutschen
"Stämme", des östreichischen, des preußischen, des hannöverschen, des hessi-
schen u. s. w., sondern eine Föderation der durch die Luudesacte für souverän
erklärten Fürsten und Städte, wobei den ehemaligen Neichsunmittelbnren ge¬
wisse Rechte garantirt sind. Eine Abschwächung des monarchischen Princips
in den einzelnen deutschen Ländern durch ein allgemeines deutsches Parlament,
welches die Souveränetät in ihren wichtigsten Funcrioneu beschränken würde,
kann der Bundestag seiner Natur nach nicht dulden. Die Sache wird noch
verwickelter durch die außerordentliche Ungleichheit der in den Bund aufge¬
nommenen Fürsten oder Staaten, die zur nothwendigen Folge hat, daß die
Stimmen nicht gezählt, sondern gewogen werden müssen.

Wir stimmen mit Herrn von Beust vollkommen darin überein, daß dem
Bundestag in seiner gegenwärtigen Einrichtung gegenüber ein deutsches Parla¬
ment eine vollkommene Absurdität sein würde, ganz davon abgesehen, daß
der mächtigste der deutschen Staaten in seiner innern Verfassung das Re-
präsentativsystem nicht kennt, und daß er seit mehren Jahren eifrig beschäftigt
ist, sich seine Nebenländer, die nicht mit zum deutscheu Bunde gehören,
in der Form des Einheitsstaats anzugliedern. Allein wir müssen noch
weiter gehn.

Nicht blos die parlamentarische Reform des deutschen Bundes wird durch
die Eigenthümlichkeit des monarchischen Princips ausgeschlossen, sondern jede
Reform überhaupt. Die Bundesacte hatte den großen Vorzug, unumwunden
und staatsrechtlich auszusprechen, was es factisch mit dem deutschen Reich für
eine Bewandtnis; hatte; aber damit war der Uebelstand verknüpft, daß die
früher flüssigen Momente sich fixirten und damit jede Aussicht aus eine Ver¬
änderung unendlich hinausgeschoben wurde.

Man hat der Periode von 1815--1848 viele und nicht ungegründete
Vorwürfe gemacht; die Stagnation des deutschen Lebens war in der That
krankhafter Art. Sie war aber nicht so schlimm als die Periode von 1648
bis 1800, wo gleichfalls die Anarchie gesetzlich sixirt war, aber zugleich mit
einem eitlen Schein der alten Reichsherrlichkeit umgeben, die zu beständigen
Conflicten führen mußte. Die Reichsgewalt, dem Namen nach mit großer
Macht ausgerüstet, war damals im Grnnde von noch geringerem Inhalt, als


wenige Fälle abgerechnet, ausschließlich in den Händen der einzelnen Re¬
gierungen, Das hat die Nationälversanunlung um 1848 auch gefühlt und
sich deshalb nach Auflösung des Bundestags eine eigene Executive gesetzt, auf
die sie freilich Einfluß ausübte, aber nur so weit diese Executive im Stande
war sich geltend zu machen, und das war nicht weit.

Zweitens wird, wie Herr von Beust mit Recht bemerkt, die Sache dadurch
wesentlich geändert, daß die verbündeten Staaten Deutschlands monarchisch
sind. Der deutsche Bund ist nicht eine Föderation der verschiedenen deutschen
„Stämme", des östreichischen, des preußischen, des hannöverschen, des hessi-
schen u. s. w., sondern eine Föderation der durch die Luudesacte für souverän
erklärten Fürsten und Städte, wobei den ehemaligen Neichsunmittelbnren ge¬
wisse Rechte garantirt sind. Eine Abschwächung des monarchischen Princips
in den einzelnen deutschen Ländern durch ein allgemeines deutsches Parlament,
welches die Souveränetät in ihren wichtigsten Funcrioneu beschränken würde,
kann der Bundestag seiner Natur nach nicht dulden. Die Sache wird noch
verwickelter durch die außerordentliche Ungleichheit der in den Bund aufge¬
nommenen Fürsten oder Staaten, die zur nothwendigen Folge hat, daß die
Stimmen nicht gezählt, sondern gewogen werden müssen.

Wir stimmen mit Herrn von Beust vollkommen darin überein, daß dem
Bundestag in seiner gegenwärtigen Einrichtung gegenüber ein deutsches Parla¬
ment eine vollkommene Absurdität sein würde, ganz davon abgesehen, daß
der mächtigste der deutschen Staaten in seiner innern Verfassung das Re-
präsentativsystem nicht kennt, und daß er seit mehren Jahren eifrig beschäftigt
ist, sich seine Nebenländer, die nicht mit zum deutscheu Bunde gehören,
in der Form des Einheitsstaats anzugliedern. Allein wir müssen noch
weiter gehn.

Nicht blos die parlamentarische Reform des deutschen Bundes wird durch
die Eigenthümlichkeit des monarchischen Princips ausgeschlossen, sondern jede
Reform überhaupt. Die Bundesacte hatte den großen Vorzug, unumwunden
und staatsrechtlich auszusprechen, was es factisch mit dem deutschen Reich für
eine Bewandtnis; hatte; aber damit war der Uebelstand verknüpft, daß die
früher flüssigen Momente sich fixirten und damit jede Aussicht aus eine Ver¬
änderung unendlich hinausgeschoben wurde.

Man hat der Periode von 1815—1848 viele und nicht ungegründete
Vorwürfe gemacht; die Stagnation des deutschen Lebens war in der That
krankhafter Art. Sie war aber nicht so schlimm als die Periode von 1648
bis 1800, wo gleichfalls die Anarchie gesetzlich sixirt war, aber zugleich mit
einem eitlen Schein der alten Reichsherrlichkeit umgeben, die zu beständigen
Conflicten führen mußte. Die Reichsgewalt, dem Namen nach mit großer
Macht ausgerüstet, war damals im Grnnde von noch geringerem Inhalt, als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/450>, abgerufen am 14.05.2024.