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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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feit, daß das Mi>nsterium von der Majorität des Parlaments gestützt wird,
das; beide in den Hauptfragen miteinander einig sind, Die Form war in
England von der Art, daß der Amtsadel sich in zwei gewissermaßen erbliche
Fraktionen theilte, die um die Gunst der Unbetheiligten wetteifern, so daß der
Wechsel zwischen einem Tory- und Whigministerium den Wechsel der öffentlichen
Stimmung ausdrückte. Es hatte sich jetzt seit der Reformbill in das Parla¬
ment eine neue Schicht eingeführt, die außerhalb des Amtsadcis steht und
von demselben unabhängig bald der einen, bald der andern Partei den Aus¬
schlag gibt. Das Ministerium,-des Lord Palmerston war durch eine Appel¬
lation an das Volk und durch eine daraus hervorgegangene ungewöhnliche
Majorität constituirt worden; jetzt sahen wir plötzlich, daß diese Majorität
ihren Führer verläßt und die Gewalt seinen Gegnern in die Hände spielt.
Warum? Ist sie mit den Principien seiner Politik unzufrieden? erwartet sie
von seinen Gegnern ein anderes Princip? -- In, Gegentheil. Es handelt
sich hier angeblich nur um eine Ungeschicklichkeit in der Form, welche Lord
Palmerston begange" haben soll, eine Ungeschicklichkeit, über die wir uns hier
jedes Urtheils enthalten, da uns die feinern diplomatischen Beziehungen ver¬
borgen sind. Im Princip erklären sich die Mitglieder des neuen Eabinets
mit dem alten einverstanden; sie loben es und versprechen aus dieselbe Weise
fortzufahren. Der eigentliche Grund, daß man Lord Palmerston fallen ließ,
war, wie schon in diesen Blättern bemerkt, seine persönliche Unliebenswürdig-
keit, sein juntcrhaftes Wesen. Man wollte ihm einen Denkzettel geben, wie
die Pariser >850 der reactionüren Nationalversammlung dadurch einen Denk¬
zettel gaben, daß sie drei Socialisten wählten.

Leider wird man dadurch aber nicht blos die Person los, man entfernt
mit ihm die ganze Partei und macht dieselbe zu den bittersten Feinden der
neuen Regierung. Diese tritt mit einer entschiedenen Minorität auf, sie hängt
von ver Gnade ihrer Gegner ab und ist daher im besten Fall eine schwache
Regierung. Nun sind wir überzeugt, daß es außerhalb des whighistischen und
torystischcu Amtsadels an Kandidaten für das Ministerium nicht fehlen würde,
vielleicht Herr Milner Gibson selbst. Die Sache ist aber die, daß in Eng¬
land ein Ministerium, um zu regieren, die Majorität des Parlaments haben
muß. Die Wahrscheinlichkeit ist. daß die Tones Nächstens fallen, dann ist die'
Königin durch den Gebrauch verpflichtet, den officiellen Führer der Opposition
zu berufen d. h. Lord Palmerston. Dieser bildet ein neues Ministerium, er
begeht wieder eine Ungezogenheit, man gibt ihm wieder einen Denkzettel,
d. h. ein Mißtrauensvotum.

Vielleicht ist dann die Folge, daß er es ruhig einsteckt, daß die Königin,
in der Ueberzeugung, man könne die Regierung nicht alle halbe Jahr wechseln
(es handelt sich nicht um ein paar Minister, sondern um ein ungeheures


feit, daß das Mi>nsterium von der Majorität des Parlaments gestützt wird,
das; beide in den Hauptfragen miteinander einig sind, Die Form war in
England von der Art, daß der Amtsadel sich in zwei gewissermaßen erbliche
Fraktionen theilte, die um die Gunst der Unbetheiligten wetteifern, so daß der
Wechsel zwischen einem Tory- und Whigministerium den Wechsel der öffentlichen
Stimmung ausdrückte. Es hatte sich jetzt seit der Reformbill in das Parla¬
ment eine neue Schicht eingeführt, die außerhalb des Amtsadcis steht und
von demselben unabhängig bald der einen, bald der andern Partei den Aus¬
schlag gibt. Das Ministerium,-des Lord Palmerston war durch eine Appel¬
lation an das Volk und durch eine daraus hervorgegangene ungewöhnliche
Majorität constituirt worden; jetzt sahen wir plötzlich, daß diese Majorität
ihren Führer verläßt und die Gewalt seinen Gegnern in die Hände spielt.
Warum? Ist sie mit den Principien seiner Politik unzufrieden? erwartet sie
von seinen Gegnern ein anderes Princip? — In, Gegentheil. Es handelt
sich hier angeblich nur um eine Ungeschicklichkeit in der Form, welche Lord
Palmerston begange» haben soll, eine Ungeschicklichkeit, über die wir uns hier
jedes Urtheils enthalten, da uns die feinern diplomatischen Beziehungen ver¬
borgen sind. Im Princip erklären sich die Mitglieder des neuen Eabinets
mit dem alten einverstanden; sie loben es und versprechen aus dieselbe Weise
fortzufahren. Der eigentliche Grund, daß man Lord Palmerston fallen ließ,
war, wie schon in diesen Blättern bemerkt, seine persönliche Unliebenswürdig-
keit, sein juntcrhaftes Wesen. Man wollte ihm einen Denkzettel geben, wie
die Pariser >850 der reactionüren Nationalversammlung dadurch einen Denk¬
zettel gaben, daß sie drei Socialisten wählten.

Leider wird man dadurch aber nicht blos die Person los, man entfernt
mit ihm die ganze Partei und macht dieselbe zu den bittersten Feinden der
neuen Regierung. Diese tritt mit einer entschiedenen Minorität auf, sie hängt
von ver Gnade ihrer Gegner ab und ist daher im besten Fall eine schwache
Regierung. Nun sind wir überzeugt, daß es außerhalb des whighistischen und
torystischcu Amtsadels an Kandidaten für das Ministerium nicht fehlen würde,
vielleicht Herr Milner Gibson selbst. Die Sache ist aber die, daß in Eng¬
land ein Ministerium, um zu regieren, die Majorität des Parlaments haben
muß. Die Wahrscheinlichkeit ist. daß die Tones Nächstens fallen, dann ist die'
Königin durch den Gebrauch verpflichtet, den officiellen Führer der Opposition
zu berufen d. h. Lord Palmerston. Dieser bildet ein neues Ministerium, er
begeht wieder eine Ungezogenheit, man gibt ihm wieder einen Denkzettel,
d. h. ein Mißtrauensvotum.

Vielleicht ist dann die Folge, daß er es ruhig einsteckt, daß die Königin,
in der Ueberzeugung, man könne die Regierung nicht alle halbe Jahr wechseln
(es handelt sich nicht um ein paar Minister, sondern um ein ungeheures


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[0454] feit, daß das Mi>nsterium von der Majorität des Parlaments gestützt wird, das; beide in den Hauptfragen miteinander einig sind, Die Form war in England von der Art, daß der Amtsadel sich in zwei gewissermaßen erbliche Fraktionen theilte, die um die Gunst der Unbetheiligten wetteifern, so daß der Wechsel zwischen einem Tory- und Whigministerium den Wechsel der öffentlichen Stimmung ausdrückte. Es hatte sich jetzt seit der Reformbill in das Parla¬ ment eine neue Schicht eingeführt, die außerhalb des Amtsadcis steht und von demselben unabhängig bald der einen, bald der andern Partei den Aus¬ schlag gibt. Das Ministerium,-des Lord Palmerston war durch eine Appel¬ lation an das Volk und durch eine daraus hervorgegangene ungewöhnliche Majorität constituirt worden; jetzt sahen wir plötzlich, daß diese Majorität ihren Führer verläßt und die Gewalt seinen Gegnern in die Hände spielt. Warum? Ist sie mit den Principien seiner Politik unzufrieden? erwartet sie von seinen Gegnern ein anderes Princip? — In, Gegentheil. Es handelt sich hier angeblich nur um eine Ungeschicklichkeit in der Form, welche Lord Palmerston begange» haben soll, eine Ungeschicklichkeit, über die wir uns hier jedes Urtheils enthalten, da uns die feinern diplomatischen Beziehungen ver¬ borgen sind. Im Princip erklären sich die Mitglieder des neuen Eabinets mit dem alten einverstanden; sie loben es und versprechen aus dieselbe Weise fortzufahren. Der eigentliche Grund, daß man Lord Palmerston fallen ließ, war, wie schon in diesen Blättern bemerkt, seine persönliche Unliebenswürdig- keit, sein juntcrhaftes Wesen. Man wollte ihm einen Denkzettel geben, wie die Pariser >850 der reactionüren Nationalversammlung dadurch einen Denk¬ zettel gaben, daß sie drei Socialisten wählten. Leider wird man dadurch aber nicht blos die Person los, man entfernt mit ihm die ganze Partei und macht dieselbe zu den bittersten Feinden der neuen Regierung. Diese tritt mit einer entschiedenen Minorität auf, sie hängt von ver Gnade ihrer Gegner ab und ist daher im besten Fall eine schwache Regierung. Nun sind wir überzeugt, daß es außerhalb des whighistischen und torystischcu Amtsadels an Kandidaten für das Ministerium nicht fehlen würde, vielleicht Herr Milner Gibson selbst. Die Sache ist aber die, daß in Eng¬ land ein Ministerium, um zu regieren, die Majorität des Parlaments haben muß. Die Wahrscheinlichkeit ist. daß die Tones Nächstens fallen, dann ist die' Königin durch den Gebrauch verpflichtet, den officiellen Führer der Opposition zu berufen d. h. Lord Palmerston. Dieser bildet ein neues Ministerium, er begeht wieder eine Ungezogenheit, man gibt ihm wieder einen Denkzettel, d. h. ein Mißtrauensvotum. Vielleicht ist dann die Folge, daß er es ruhig einsteckt, daß die Königin, in der Ueberzeugung, man könne die Regierung nicht alle halbe Jahr wechseln (es handelt sich nicht um ein paar Minister, sondern um ein ungeheures

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/454>, abgerufen am 15.05.2024.