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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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ging sich in den wunderlichsten Passionen, wie viele Schriftsteller wußte er
nicht zu sprechen, seine Unterhaltung war ein lebhafter, bizarrer Monolog,
der nur von ihm selbst handelte.

Die Salons, welche in sich selbst eine unwillkürliche Anziehungskraft be¬
saßen, stellt die Verfasserin einem gegenüber, der mit Berechnung und Mühe
gegründet und erhalten ward / den der Madame Rücamier, jeuer einst so be¬
rühmten Schönheit. Dies eine Specimen ist das Bild eines ganzen Genres
in Paris. Es ist kaum glaublich, welche Künste eine Dame anwenden kann,
um sich ihren Salon zu bilden, oder gewisse Personen für denselben zu ge¬
winnen , alle Hebel des weiblichen Ehrgeizes werden in Bewegung gesetzt, die
Intriguen eines Ministercandidaten sind nichts dagegen, man hat ein großes
Borbild, das erreicht werden soll, wie vielen haben die Lorbeeren der Fürstin
Lieven schlaflose Nächte gekostet! Das Opfer wird mit tausend Fäden geschickt
umsponnen, und glaubt wol zu triumphiren, während es zum Triumph seiner
Nachsteller" dient. Selten ist uns so lebendig entgegengetreten, daß^man die
Menschen doch am sichersten regiert, wenn man auf ihre Schwächen und vor
allem auf ihre Eitelkeit speculirt. Der Kunst der feinen Schmeichelei verdankte
Madame Nöcamier das, was ihr Geist oder vielmehr ihr Mangel an Geist
nicht erreichen konnte. Wenn sie einen berühmten Mann zum erstenmal
empfing, sagte sie ihm: "Die Bewegung, die mich vor einem so ausgezeich¬
neten Dichter (Maler oder je nach Umständen) ergreift, erlaubt mir nicht
Ihnen, wie ich es wünschte, meine ganze Verehrung und Bewunderung aus-
zudrücken -- aber Sie errathen -- Sie verstehen -- meine Bewegung sagt
Ihnen genug." Und sie fingirte diese Bewegung so vortrefflich, daß die Ge¬
schmeichelten doch in die Falle gingen. Ani einen berühmten Staatsmann
für ihren Salon zu gewinnen, miethete sie eigens seiner Villa gegenüber ein
Landhaus, und bat dann um Erlaubniß, in seinem Park spazieren zu dürfen,
um so mit ihm anzuknüpfen. -- Man wird in manchen Salons auf eine
berühmte Person eingeladen, da flattern eine Menge Billets umher, daran
zu erinnern, daß morgen der Empfangsabend von Madame R, sei und in
einer unschuldigen, ganz beiläufigen Nachschrift heißt es: "Sie werden Herrn
Beranger, oder -- Mad. Ristori, oder -- den Hospodar der Walachei bei mir
sehen," ein Hauptgott soll die cui minvrum goutiren herbeiführen. Bei
Madame Nvcamier war dieser Hauptgott, dieser Dalai-Lama, wie Beyle sagte,
Chateaubriand, um ihn zu sehen, ging man zu ihr. Der große Mann saß
unveränderlich auf der linken Seite des Kamins und spielte mit einer kleinen
Katze, nur aus seinem Minenspiel errieth man, ob die Unterhaltung ihn inter-
essirte. je weniger sie ihm gefiel, desto lebhafter liebkoste er die Katze, nur
zuweilen konnte sich sein etwas großer, aber edler Kopf beleben, die Augen blitzten,
und seine sonore Stimme, welche gewissen Worten einen unnachahmlichen


ging sich in den wunderlichsten Passionen, wie viele Schriftsteller wußte er
nicht zu sprechen, seine Unterhaltung war ein lebhafter, bizarrer Monolog,
der nur von ihm selbst handelte.

Die Salons, welche in sich selbst eine unwillkürliche Anziehungskraft be¬
saßen, stellt die Verfasserin einem gegenüber, der mit Berechnung und Mühe
gegründet und erhalten ward / den der Madame Rücamier, jeuer einst so be¬
rühmten Schönheit. Dies eine Specimen ist das Bild eines ganzen Genres
in Paris. Es ist kaum glaublich, welche Künste eine Dame anwenden kann,
um sich ihren Salon zu bilden, oder gewisse Personen für denselben zu ge¬
winnen , alle Hebel des weiblichen Ehrgeizes werden in Bewegung gesetzt, die
Intriguen eines Ministercandidaten sind nichts dagegen, man hat ein großes
Borbild, das erreicht werden soll, wie vielen haben die Lorbeeren der Fürstin
Lieven schlaflose Nächte gekostet! Das Opfer wird mit tausend Fäden geschickt
umsponnen, und glaubt wol zu triumphiren, während es zum Triumph seiner
Nachsteller» dient. Selten ist uns so lebendig entgegengetreten, daß^man die
Menschen doch am sichersten regiert, wenn man auf ihre Schwächen und vor
allem auf ihre Eitelkeit speculirt. Der Kunst der feinen Schmeichelei verdankte
Madame Nöcamier das, was ihr Geist oder vielmehr ihr Mangel an Geist
nicht erreichen konnte. Wenn sie einen berühmten Mann zum erstenmal
empfing, sagte sie ihm: „Die Bewegung, die mich vor einem so ausgezeich¬
neten Dichter (Maler oder je nach Umständen) ergreift, erlaubt mir nicht
Ihnen, wie ich es wünschte, meine ganze Verehrung und Bewunderung aus-
zudrücken — aber Sie errathen — Sie verstehen — meine Bewegung sagt
Ihnen genug." Und sie fingirte diese Bewegung so vortrefflich, daß die Ge¬
schmeichelten doch in die Falle gingen. Ani einen berühmten Staatsmann
für ihren Salon zu gewinnen, miethete sie eigens seiner Villa gegenüber ein
Landhaus, und bat dann um Erlaubniß, in seinem Park spazieren zu dürfen,
um so mit ihm anzuknüpfen. — Man wird in manchen Salons auf eine
berühmte Person eingeladen, da flattern eine Menge Billets umher, daran
zu erinnern, daß morgen der Empfangsabend von Madame R, sei und in
einer unschuldigen, ganz beiläufigen Nachschrift heißt es: „Sie werden Herrn
Beranger, oder — Mad. Ristori, oder — den Hospodar der Walachei bei mir
sehen," ein Hauptgott soll die cui minvrum goutiren herbeiführen. Bei
Madame Nvcamier war dieser Hauptgott, dieser Dalai-Lama, wie Beyle sagte,
Chateaubriand, um ihn zu sehen, ging man zu ihr. Der große Mann saß
unveränderlich auf der linken Seite des Kamins und spielte mit einer kleinen
Katze, nur aus seinem Minenspiel errieth man, ob die Unterhaltung ihn inter-
essirte. je weniger sie ihm gefiel, desto lebhafter liebkoste er die Katze, nur
zuweilen konnte sich sein etwas großer, aber edler Kopf beleben, die Augen blitzten,
und seine sonore Stimme, welche gewissen Worten einen unnachahmlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/461>, abgerufen am 14.05.2024.