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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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und namentlich mit kluger Berechnung der Gefühle und Vorurtheile des
französischen Volkes gehalten waren; das Interesse, das sie erregen, ist ein
kleiner Ersatz für die sonstige Farblosigkeit und Stille in der politischen Presse,
und dafür kann die kaiserliche Regierung schon das Schmollen dieser oder
jener auswärtigen Macht über diesen oder jenen Passus hinnehmen. Die
neueste ossiciöse Flugschrift: "Der Kaiser Napoleon III. und England" hat
einen andern Charakter, wir halten sie vom napoleonischen Standpunkt für
einen Fehler. Bisher sprach man entweder zu Frankreich im Allgemeinen oder
seiner Vertretung in den großen Staatskörpern, zu einem uncivilisirten Feinde
wie Rußland, oder kleinern Staaten, welchen Verweise ertheilt wurden, dies¬
mal spricht man zu einem mächtigen, freien und gereizten Volke, freilich mit
der Absicht es zu beruhigen und aufzuklären; eine schwierige Aufgabe, zumal
da dies Volk sehr wohl weiß, daß die Aufreizung und die Beschwichtigung
aus demselben Lager kommen. Und war dann diese Flugschrift nöthig?
wäre sie nicht besser ungeschrieben geblieben?

Der Vorgang der Sache war einfach dieser. Nach dem Attentat
versucht die französische Regierung von der englischen Maßregeln gegen die
Flüchtlinge zu erreichen. Lord Palmerston zeigt sich ungemein willfährig und
verheißt die Einbringung einer bezüglichen Bill. Da man so guten Willen
jenseit des Kanals sieht, denkt man diesseits auch etwas weiter gehen zu können
und die Obersten halten ihre drohenden Reden, allmülig aber fängt der Un¬
wille an sich in Englaud zu regen. Das Ministerium fordert eine besänftigende
Depesche von Frankreich, diese wird verabfolgt, aber nichts desto weniger Lord
Palmerston gestürzt, weil er die erste Depesche vorn 20. Jan. nicht sofort be¬
antwortet hat. Damit war die Lage, wesentlich geändert, aller Welt ward
gezeigt, daß England aufgebracht und nicht gesonnen sei, sich eine Belei¬
digung oder Verkümmerung seiner Institutionen gefallen zu lassen. Der
Kaiser Napoleon erkannte diese Sachlage wohl, er kennt auch England zu gut,
um nicht zu wissen, daß er, da ihm die Aufrechthaltung des guten Vernehmens
nothwendig ist, einlenken müsse und er thut es; man erklärt, auf die Einbrin¬
gung der verworfenen Bill komme es nicht an, ti'e kaiserliche Negierung habe
nur die Thatsache des Uebels dem englischen Ministerium signalisirt, das
Mittel der Abhilfe bleibe letzterem natürlich vorbehalten und könne Frankreich
gleichgiltig sein. Ans der andern Seite thut Lord Derbys Cabinet das
Möglichste, die Allianz zu bewahren, zwar die Murdcrbill muß bei Seite ge¬
legt und eine Antwort nach Paris gesandt werden, aber man thut letzteres
in den höflichsten Formen, die beiden Regierungen zeigen sich gegenseitig erst
die Entwürfe der Depeschen, man streicht und ändert nach gemeinsamer Be¬
rathung, man erwähnt in den Wahlreden des Kaisers nur mit der größten
Auszeichnung und am 12. März zeigt Disraeli im Unterhause an, daß soeben


und namentlich mit kluger Berechnung der Gefühle und Vorurtheile des
französischen Volkes gehalten waren; das Interesse, das sie erregen, ist ein
kleiner Ersatz für die sonstige Farblosigkeit und Stille in der politischen Presse,
und dafür kann die kaiserliche Regierung schon das Schmollen dieser oder
jener auswärtigen Macht über diesen oder jenen Passus hinnehmen. Die
neueste ossiciöse Flugschrift: „Der Kaiser Napoleon III. und England" hat
einen andern Charakter, wir halten sie vom napoleonischen Standpunkt für
einen Fehler. Bisher sprach man entweder zu Frankreich im Allgemeinen oder
seiner Vertretung in den großen Staatskörpern, zu einem uncivilisirten Feinde
wie Rußland, oder kleinern Staaten, welchen Verweise ertheilt wurden, dies¬
mal spricht man zu einem mächtigen, freien und gereizten Volke, freilich mit
der Absicht es zu beruhigen und aufzuklären; eine schwierige Aufgabe, zumal
da dies Volk sehr wohl weiß, daß die Aufreizung und die Beschwichtigung
aus demselben Lager kommen. Und war dann diese Flugschrift nöthig?
wäre sie nicht besser ungeschrieben geblieben?

Der Vorgang der Sache war einfach dieser. Nach dem Attentat
versucht die französische Regierung von der englischen Maßregeln gegen die
Flüchtlinge zu erreichen. Lord Palmerston zeigt sich ungemein willfährig und
verheißt die Einbringung einer bezüglichen Bill. Da man so guten Willen
jenseit des Kanals sieht, denkt man diesseits auch etwas weiter gehen zu können
und die Obersten halten ihre drohenden Reden, allmülig aber fängt der Un¬
wille an sich in Englaud zu regen. Das Ministerium fordert eine besänftigende
Depesche von Frankreich, diese wird verabfolgt, aber nichts desto weniger Lord
Palmerston gestürzt, weil er die erste Depesche vorn 20. Jan. nicht sofort be¬
antwortet hat. Damit war die Lage, wesentlich geändert, aller Welt ward
gezeigt, daß England aufgebracht und nicht gesonnen sei, sich eine Belei¬
digung oder Verkümmerung seiner Institutionen gefallen zu lassen. Der
Kaiser Napoleon erkannte diese Sachlage wohl, er kennt auch England zu gut,
um nicht zu wissen, daß er, da ihm die Aufrechthaltung des guten Vernehmens
nothwendig ist, einlenken müsse und er thut es; man erklärt, auf die Einbrin¬
gung der verworfenen Bill komme es nicht an, ti'e kaiserliche Negierung habe
nur die Thatsache des Uebels dem englischen Ministerium signalisirt, das
Mittel der Abhilfe bleibe letzterem natürlich vorbehalten und könne Frankreich
gleichgiltig sein. Ans der andern Seite thut Lord Derbys Cabinet das
Möglichste, die Allianz zu bewahren, zwar die Murdcrbill muß bei Seite ge¬
legt und eine Antwort nach Paris gesandt werden, aber man thut letzteres
in den höflichsten Formen, die beiden Regierungen zeigen sich gegenseitig erst
die Entwürfe der Depeschen, man streicht und ändert nach gemeinsamer Be¬
rathung, man erwähnt in den Wahlreden des Kaisers nur mit der größten
Auszeichnung und am 12. März zeigt Disraeli im Unterhause an, daß soeben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/463>, abgerufen am 14.05.2024.