Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

man noch in den fünfziger Jahren zu irgend welchen erklecklichen Summen
gelangt. Dagegen haben sie sich als vortreffliche Versvrgungsnnstalten für
die betreffenden Verwaltungen bewahrt. Renten und Tontinen sind aus-
nehmend auf Egoismus berechnete Einrichtungen, indem man zur großem
Bequemlichkeit der eigenen Existenz sich jeder Möglichkeit für Familie und An¬
gehörige zu sorgen begibt; sie sind auch, in Deutschland mindestens, meist der
Zufluchtsort der Hagestolzen und anderer kinderlosen Personen.

Ueber den Grundgedanken und die Einrichtungen der allgemein bekannten
Feuerversicherungsanstalten brauchen wir uns hier nicht erst weitläufig
einzulassen; die Durchschnittszahl der vorkommende" Brände hängt aufs in¬
nigste mit dem Bau der Häuser, mit den in denselben betriebenen Beschäf¬
tigungen und den Vorkehrungen zum Löschen ab. und wird danach auch der
Procentsatz der zu übernehmenden Gefahr, die Prämie, abgemessen. Daß
kein Kaufmann irgendwo Waaren lagert, ohne sie gleichzeitig zu versichern,
ist bekannt genug, und begleitet diese Versicherung sie auf Frachtwagen und
Eisenbahn; es wäre höchster Leichtsinn bei ihm, wollte er sich den Zufällig¬
keiten eines Eredit und Geschüft gefährdenden Unfalls aussetzen, und ist auch
bei der Allgemeinheit dieser Versicherungen die zu bezahlende Prämie äußerst
gering. Dagegen wird in unsern mittlern und noch mehr in den untern
Ständen die Versicherung oft als ein Luxus betrachtet, und ziehn sie vor. bei
eingetretenen Feuersbrünsten sich an die öffentliche Wohlthätigkeit zu wenden.
Dann erfolgen, in den Zeitungen Aufrufe zur Wohlthätigkeit mit herzbrechen¬
den Beschreibungen des hereingebrochenen Unglücks. Die Wohlthätigkeit ist
nun zwar recht wol angebracht bei unberechenbaren und unversicherbaren Er¬
eignissen, wie Überschwemmungen. Pulverexplosionen. Erdbeben u. tgi. in.,
aber sie in Anspruch nehmen, wo die kleinste Voraussicht, wo die Gabe, ein
zeitiges geringes Opfer für die Abwendung eines größern möglichen Unfalls
zu bringen, so ganz gefehlt hat, heißt nur die Fähigkett mindern, dem un¬
verdienten Unglück beizustehen. Die Erfahrung lehrt zudem, daß die Gaben
auch der ausgedehntesten Wohlthätigkeit lange nicht den Betrag der geschäfts¬
mäßig durch die Versicherungsanstalten zu erhaltenden Summen erreichen. Wir
geben diese letztere Betrachtung namentlich solchen, welche unsere Bedenken
gegen einen Wohlthätigkeitsact ungemüthlich finden, und dieselben vielleicht
gar mit einer obligaten Verurtheilung des Vorwiegens materieller Anschau¬
ungen vor dem Gefühl verurtheilen möchten. Wir wollen auch das Wohl¬
thun, wenn es in der rechten Weise und am rechten Orte geschieht, nicht ver¬
urtheilen. aber wirthschaftlich und auch sittlich stellen wir es höher, wenn der
Einzelne so weit, als nur in seinen Kräften steht, sich in die Lage versetzt, die
Wohlthaten anderer möglichst wenig in Anspruch zu nehmen.-

Man kann nicht grade sagen, daß die deutschen Regierungen dem so


man noch in den fünfziger Jahren zu irgend welchen erklecklichen Summen
gelangt. Dagegen haben sie sich als vortreffliche Versvrgungsnnstalten für
die betreffenden Verwaltungen bewahrt. Renten und Tontinen sind aus-
nehmend auf Egoismus berechnete Einrichtungen, indem man zur großem
Bequemlichkeit der eigenen Existenz sich jeder Möglichkeit für Familie und An¬
gehörige zu sorgen begibt; sie sind auch, in Deutschland mindestens, meist der
Zufluchtsort der Hagestolzen und anderer kinderlosen Personen.

Ueber den Grundgedanken und die Einrichtungen der allgemein bekannten
Feuerversicherungsanstalten brauchen wir uns hier nicht erst weitläufig
einzulassen; die Durchschnittszahl der vorkommende» Brände hängt aufs in¬
nigste mit dem Bau der Häuser, mit den in denselben betriebenen Beschäf¬
tigungen und den Vorkehrungen zum Löschen ab. und wird danach auch der
Procentsatz der zu übernehmenden Gefahr, die Prämie, abgemessen. Daß
kein Kaufmann irgendwo Waaren lagert, ohne sie gleichzeitig zu versichern,
ist bekannt genug, und begleitet diese Versicherung sie auf Frachtwagen und
Eisenbahn; es wäre höchster Leichtsinn bei ihm, wollte er sich den Zufällig¬
keiten eines Eredit und Geschüft gefährdenden Unfalls aussetzen, und ist auch
bei der Allgemeinheit dieser Versicherungen die zu bezahlende Prämie äußerst
gering. Dagegen wird in unsern mittlern und noch mehr in den untern
Ständen die Versicherung oft als ein Luxus betrachtet, und ziehn sie vor. bei
eingetretenen Feuersbrünsten sich an die öffentliche Wohlthätigkeit zu wenden.
Dann erfolgen, in den Zeitungen Aufrufe zur Wohlthätigkeit mit herzbrechen¬
den Beschreibungen des hereingebrochenen Unglücks. Die Wohlthätigkeit ist
nun zwar recht wol angebracht bei unberechenbaren und unversicherbaren Er¬
eignissen, wie Überschwemmungen. Pulverexplosionen. Erdbeben u. tgi. in.,
aber sie in Anspruch nehmen, wo die kleinste Voraussicht, wo die Gabe, ein
zeitiges geringes Opfer für die Abwendung eines größern möglichen Unfalls
zu bringen, so ganz gefehlt hat, heißt nur die Fähigkett mindern, dem un¬
verdienten Unglück beizustehen. Die Erfahrung lehrt zudem, daß die Gaben
auch der ausgedehntesten Wohlthätigkeit lange nicht den Betrag der geschäfts¬
mäßig durch die Versicherungsanstalten zu erhaltenden Summen erreichen. Wir
geben diese letztere Betrachtung namentlich solchen, welche unsere Bedenken
gegen einen Wohlthätigkeitsact ungemüthlich finden, und dieselben vielleicht
gar mit einer obligaten Verurtheilung des Vorwiegens materieller Anschau¬
ungen vor dem Gefühl verurtheilen möchten. Wir wollen auch das Wohl¬
thun, wenn es in der rechten Weise und am rechten Orte geschieht, nicht ver¬
urtheilen. aber wirthschaftlich und auch sittlich stellen wir es höher, wenn der
Einzelne so weit, als nur in seinen Kräften steht, sich in die Lage versetzt, die
Wohlthaten anderer möglichst wenig in Anspruch zu nehmen.-

Man kann nicht grade sagen, daß die deutschen Regierungen dem so


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0471" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105748"/>
            <p xml:id="ID_1225" prev="#ID_1224"> man noch in den fünfziger Jahren zu irgend welchen erklecklichen Summen<lb/>
gelangt. Dagegen haben sie sich als vortreffliche Versvrgungsnnstalten für<lb/>
die betreffenden Verwaltungen bewahrt. Renten und Tontinen sind aus-<lb/>
nehmend auf Egoismus berechnete Einrichtungen, indem man zur großem<lb/>
Bequemlichkeit der eigenen Existenz sich jeder Möglichkeit für Familie und An¬<lb/>
gehörige zu sorgen begibt; sie sind auch, in Deutschland mindestens, meist der<lb/>
Zufluchtsort der Hagestolzen und anderer kinderlosen Personen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1226"> Ueber den Grundgedanken und die Einrichtungen der allgemein bekannten<lb/>
Feuerversicherungsanstalten brauchen wir uns hier nicht erst weitläufig<lb/>
einzulassen; die Durchschnittszahl der vorkommende» Brände hängt aufs in¬<lb/>
nigste mit dem Bau der Häuser, mit den in denselben betriebenen Beschäf¬<lb/>
tigungen und den Vorkehrungen zum Löschen ab. und wird danach auch der<lb/>
Procentsatz der zu übernehmenden Gefahr, die Prämie, abgemessen. Daß<lb/>
kein Kaufmann irgendwo Waaren lagert, ohne sie gleichzeitig zu versichern,<lb/>
ist bekannt genug, und begleitet diese Versicherung sie auf Frachtwagen und<lb/>
Eisenbahn; es wäre höchster Leichtsinn bei ihm, wollte er sich den Zufällig¬<lb/>
keiten eines Eredit und Geschüft gefährdenden Unfalls aussetzen, und ist auch<lb/>
bei der Allgemeinheit dieser Versicherungen die zu bezahlende Prämie äußerst<lb/>
gering. Dagegen wird in unsern mittlern und noch mehr in den untern<lb/>
Ständen die Versicherung oft als ein Luxus betrachtet, und ziehn sie vor. bei<lb/>
eingetretenen Feuersbrünsten sich an die öffentliche Wohlthätigkeit zu wenden.<lb/>
Dann erfolgen, in den Zeitungen Aufrufe zur Wohlthätigkeit mit herzbrechen¬<lb/>
den Beschreibungen des hereingebrochenen Unglücks. Die Wohlthätigkeit ist<lb/>
nun zwar recht wol angebracht bei unberechenbaren und unversicherbaren Er¬<lb/>
eignissen, wie Überschwemmungen. Pulverexplosionen. Erdbeben u. tgi. in.,<lb/>
aber sie in Anspruch nehmen, wo die kleinste Voraussicht, wo die Gabe, ein<lb/>
zeitiges geringes Opfer für die Abwendung eines größern möglichen Unfalls<lb/>
zu bringen, so ganz gefehlt hat, heißt nur die Fähigkett mindern, dem un¬<lb/>
verdienten Unglück beizustehen. Die Erfahrung lehrt zudem, daß die Gaben<lb/>
auch der ausgedehntesten Wohlthätigkeit lange nicht den Betrag der geschäfts¬<lb/>
mäßig durch die Versicherungsanstalten zu erhaltenden Summen erreichen. Wir<lb/>
geben diese letztere Betrachtung namentlich solchen, welche unsere Bedenken<lb/>
gegen einen Wohlthätigkeitsact ungemüthlich finden, und dieselben vielleicht<lb/>
gar mit einer obligaten Verurtheilung des Vorwiegens materieller Anschau¬<lb/>
ungen vor dem Gefühl verurtheilen möchten. Wir wollen auch das Wohl¬<lb/>
thun, wenn es in der rechten Weise und am rechten Orte geschieht, nicht ver¬<lb/>
urtheilen. aber wirthschaftlich und auch sittlich stellen wir es höher, wenn der<lb/>
Einzelne so weit, als nur in seinen Kräften steht, sich in die Lage versetzt, die<lb/>
Wohlthaten anderer möglichst wenig in Anspruch zu nehmen.-</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1227" next="#ID_1228"> Man kann nicht grade sagen, daß die deutschen Regierungen dem so</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0471] man noch in den fünfziger Jahren zu irgend welchen erklecklichen Summen gelangt. Dagegen haben sie sich als vortreffliche Versvrgungsnnstalten für die betreffenden Verwaltungen bewahrt. Renten und Tontinen sind aus- nehmend auf Egoismus berechnete Einrichtungen, indem man zur großem Bequemlichkeit der eigenen Existenz sich jeder Möglichkeit für Familie und An¬ gehörige zu sorgen begibt; sie sind auch, in Deutschland mindestens, meist der Zufluchtsort der Hagestolzen und anderer kinderlosen Personen. Ueber den Grundgedanken und die Einrichtungen der allgemein bekannten Feuerversicherungsanstalten brauchen wir uns hier nicht erst weitläufig einzulassen; die Durchschnittszahl der vorkommende» Brände hängt aufs in¬ nigste mit dem Bau der Häuser, mit den in denselben betriebenen Beschäf¬ tigungen und den Vorkehrungen zum Löschen ab. und wird danach auch der Procentsatz der zu übernehmenden Gefahr, die Prämie, abgemessen. Daß kein Kaufmann irgendwo Waaren lagert, ohne sie gleichzeitig zu versichern, ist bekannt genug, und begleitet diese Versicherung sie auf Frachtwagen und Eisenbahn; es wäre höchster Leichtsinn bei ihm, wollte er sich den Zufällig¬ keiten eines Eredit und Geschüft gefährdenden Unfalls aussetzen, und ist auch bei der Allgemeinheit dieser Versicherungen die zu bezahlende Prämie äußerst gering. Dagegen wird in unsern mittlern und noch mehr in den untern Ständen die Versicherung oft als ein Luxus betrachtet, und ziehn sie vor. bei eingetretenen Feuersbrünsten sich an die öffentliche Wohlthätigkeit zu wenden. Dann erfolgen, in den Zeitungen Aufrufe zur Wohlthätigkeit mit herzbrechen¬ den Beschreibungen des hereingebrochenen Unglücks. Die Wohlthätigkeit ist nun zwar recht wol angebracht bei unberechenbaren und unversicherbaren Er¬ eignissen, wie Überschwemmungen. Pulverexplosionen. Erdbeben u. tgi. in., aber sie in Anspruch nehmen, wo die kleinste Voraussicht, wo die Gabe, ein zeitiges geringes Opfer für die Abwendung eines größern möglichen Unfalls zu bringen, so ganz gefehlt hat, heißt nur die Fähigkett mindern, dem un¬ verdienten Unglück beizustehen. Die Erfahrung lehrt zudem, daß die Gaben auch der ausgedehntesten Wohlthätigkeit lange nicht den Betrag der geschäfts¬ mäßig durch die Versicherungsanstalten zu erhaltenden Summen erreichen. Wir geben diese letztere Betrachtung namentlich solchen, welche unsere Bedenken gegen einen Wohlthätigkeitsact ungemüthlich finden, und dieselben vielleicht gar mit einer obligaten Verurtheilung des Vorwiegens materieller Anschau¬ ungen vor dem Gefühl verurtheilen möchten. Wir wollen auch das Wohl¬ thun, wenn es in der rechten Weise und am rechten Orte geschieht, nicht ver¬ urtheilen. aber wirthschaftlich und auch sittlich stellen wir es höher, wenn der Einzelne so weit, als nur in seinen Kräften steht, sich in die Lage versetzt, die Wohlthaten anderer möglichst wenig in Anspruch zu nehmen.- Man kann nicht grade sagen, daß die deutschen Regierungen dem so

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/471
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/471>, abgerufen am 31.05.2024.