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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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wirkliche Bedeutung zu huben, desto mehr büßten sie von ihrem ursprünglichen
Charakter ein, wovon sogleich die Rede sein wird. Die neue Rangordnung
der Stände war im Wesentlichen weder auf Geburt noch auf amtlicher Stel¬
lung, sondern auf den Besitz basirt. In der Grachenzeit hatte sich ein aus
Census basirter Ritterstand gebildet, durch Festsetzung eines senatorischen
Census, der von August ausging, bildete sich ein Senatorenstand. Das erforder¬
liche Minimum von Vermögen betrug für jenen gegen 30,000, für diesen
über 70,000 Thaler. Sank das Vermögen einer noch so edeln und alten
Familie unter diese Summe herab, so verlor sie den ersten Rang, falls sie
nicht durch kaiserliche Unterstützung darin erhalten wurde; so wie andererseits
eine Frau, die ihrem Mann eine Mitgift von dieser Höhe mitbrachte, ihn
dadurch zum senatorischen Range erhob. Daher eine Menge von Familien
schon im ersten Jahrhundert zu den beiden ersten Stünden gehörten, die
von niedriger Herkunft waren, selbst von Freigelassenen stammten; und
wenn die Freigelassenen selbst freilich durch ihre Geburt von der Erhebung
in den ersten Stand ausgeschlossen waren, so war ihnen doch die Theil¬
nahme an den Vorrechten des zweiten nicht versagt. Während also,
wie Horaz klagt, jeder, dem einige Hundert von den 30,000 fehlten, trotz
Rechtschaffenheit und Bildung zum Pöbel gerechnet wurde, sah man viele
Menschen, die aus eine' mehr oder minder anständige Weise jene für die
damalige Zeit sehr mäßige Summe zusammengebracht hatten, sich als Ritter
geriren. Unter Tiberius (im Jahre 21) kam der Gegenstand im Senat
zur Sprache und es wurde Klage geführt, daß sogar Kneipwirthe häufig
den goldenen Ring trügen, zu dessen Anlegung nur die beiden ersten
Stände berechtigt waren: worauf man beschloß, daß fortan hierzu nicht
nur der ritterliche Census, sondern auch freie Geburt und Abstammung von
einem freigebornen Vater und Großvater erforderlich sein sollte. Aber diese
Bestimmung scheint wenig gefruchtet zu haben. Denn erstens wurde sie durch
die Kaiser selbst umgestoßen, die Freigelassenen häufig den goldenen Ring und da¬
mit das Recht der freien Abstammung verliehen, theils erwies sich ohne
Zweifel das Geld mächtiger als das Gesetz, und verschaffte den Freigelassenen
factijch Rechte, die ihnen gesetzlich nicht zukamen. Aus den Sitzen der Ritter
saßen im Theater Elegants, deren Väter Kuppler, Ausrufer, Gladiatoren und
Fechtmeister gewesen waren. Der Kerl, der vom Euphrat als Sklave nach
Rom gekommen war, und dessen durchlöcherte Ohrläppchen seine Herkunft
verriethen, verlangte und erhielt den Vortritt vor dem Manne von sena¬
torischer Abkunft, weil ihm seine fünf Kramläden die dreißigtausend abgewor¬
fen hatten: da doch einmal, sagt Juvenal, die Majestät des Reichthums bei
uns die höchste ist, wenn auch dem unseligen Gelde noch kein Tempel gebaut,
noch keine Altäre errichtet sind.


wirkliche Bedeutung zu huben, desto mehr büßten sie von ihrem ursprünglichen
Charakter ein, wovon sogleich die Rede sein wird. Die neue Rangordnung
der Stände war im Wesentlichen weder auf Geburt noch auf amtlicher Stel¬
lung, sondern auf den Besitz basirt. In der Grachenzeit hatte sich ein aus
Census basirter Ritterstand gebildet, durch Festsetzung eines senatorischen
Census, der von August ausging, bildete sich ein Senatorenstand. Das erforder¬
liche Minimum von Vermögen betrug für jenen gegen 30,000, für diesen
über 70,000 Thaler. Sank das Vermögen einer noch so edeln und alten
Familie unter diese Summe herab, so verlor sie den ersten Rang, falls sie
nicht durch kaiserliche Unterstützung darin erhalten wurde; so wie andererseits
eine Frau, die ihrem Mann eine Mitgift von dieser Höhe mitbrachte, ihn
dadurch zum senatorischen Range erhob. Daher eine Menge von Familien
schon im ersten Jahrhundert zu den beiden ersten Stünden gehörten, die
von niedriger Herkunft waren, selbst von Freigelassenen stammten; und
wenn die Freigelassenen selbst freilich durch ihre Geburt von der Erhebung
in den ersten Stand ausgeschlossen waren, so war ihnen doch die Theil¬
nahme an den Vorrechten des zweiten nicht versagt. Während also,
wie Horaz klagt, jeder, dem einige Hundert von den 30,000 fehlten, trotz
Rechtschaffenheit und Bildung zum Pöbel gerechnet wurde, sah man viele
Menschen, die aus eine' mehr oder minder anständige Weise jene für die
damalige Zeit sehr mäßige Summe zusammengebracht hatten, sich als Ritter
geriren. Unter Tiberius (im Jahre 21) kam der Gegenstand im Senat
zur Sprache und es wurde Klage geführt, daß sogar Kneipwirthe häufig
den goldenen Ring trügen, zu dessen Anlegung nur die beiden ersten
Stände berechtigt waren: worauf man beschloß, daß fortan hierzu nicht
nur der ritterliche Census, sondern auch freie Geburt und Abstammung von
einem freigebornen Vater und Großvater erforderlich sein sollte. Aber diese
Bestimmung scheint wenig gefruchtet zu haben. Denn erstens wurde sie durch
die Kaiser selbst umgestoßen, die Freigelassenen häufig den goldenen Ring und da¬
mit das Recht der freien Abstammung verliehen, theils erwies sich ohne
Zweifel das Geld mächtiger als das Gesetz, und verschaffte den Freigelassenen
factijch Rechte, die ihnen gesetzlich nicht zukamen. Aus den Sitzen der Ritter
saßen im Theater Elegants, deren Väter Kuppler, Ausrufer, Gladiatoren und
Fechtmeister gewesen waren. Der Kerl, der vom Euphrat als Sklave nach
Rom gekommen war, und dessen durchlöcherte Ohrläppchen seine Herkunft
verriethen, verlangte und erhielt den Vortritt vor dem Manne von sena¬
torischer Abkunft, weil ihm seine fünf Kramläden die dreißigtausend abgewor¬
fen hatten: da doch einmal, sagt Juvenal, die Majestät des Reichthums bei
uns die höchste ist, wenn auch dem unseligen Gelde noch kein Tempel gebaut,
noch keine Altäre errichtet sind.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/50>, abgerufen am 15.05.2024.