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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Ausstellung verfolgt eingeständlich auch didaktische Zwecke; sie nennt sich eine
historische Ausstellung, sie will den "Entwicklungsgang und den Zusammen¬
hang der gegenwärtigen Kunst mit den ihr vorhergehenden Bestrebungen"
versinnlichen. Kann man glauben, um concrete Beispiele anzuführen, daß die
düsseldorfer Künstler sich beeilen werden, der Welt anschaulich zu machen, wie
unlebendig ihre Phantasie, wie schwächlich ihre Farbe, wie beschränkt ihr
Formensinn vor etwa fünfundzwanzig und dreißig Jahren waren? Als Künst¬
ler sind sie in ihrem vollen Rechte, wenn sie sich nicht weiter mit ihren, wie
sie jetzt überzeugt sind, unreifen Leistungen belasten wollen. Der bekehrte
Paulus hört nicht länger auf den Namen Saulus. Und doch müßten wir
es in hohem Grade beklagen, wenn in der historischen Ausstellung die alte
düsseldorfer Schule unvollständig vertreten bliebe. Ihre Schwächen waren
Mängel der deutschen Kunstbildung, in ihrer Vorliebe für das Schmachtende,
Leidende, Kränkliche spiegelten sich nationale Zustände ab. Sie besitzt trotz
aller Fehler mit einem Worte dennoch eine große culturgeschichtliche Bedeutung.
Ohne ihre Kenntniß ferner sind wir nicht im Stande, ein richtiges Urtheil,
welche Fortschritte wir seitdem in der Kunstbildung gethan, zu fällen.

Gesetzt aber auch, unsere Künstler übten eine so überirdische Entsagung
und nähmen an der eignen Persönlichkeit ein bloßes historisches Interesse,
kann man von ihnen billigerweise die äußeren Anstrengungen erwarten, welche
nöthig sind, um einem unbekannten, vielleicht erst mühselig zu entdeckenden
Besitzer liebgewordene Werke zu entreißen? Wenn ich erst eine weitläufige
Correspondenz anfangen soll, hörten wir einen der größten deutschen Künstler
sagen, um meine alten Bilder nach München zu bringen, da bleibe ich lieber
unvertreten. Bei der leicht erklärlichen Schreibunlust der Künstlerwelt dürfte
dieser Entschluß nicht vereinzelt stehen, zumal in gar vielen Fällen zweifelhaft
bliebe, an wen der Brief zu richten sei. Ein Bild wurde vor Jahrzehnten
durch die Vermittlung eines Kunsthändlers gekauft, oder auf einer entfernten
Ausstellung verlooft. Soll der Künstler Buch führen über die aufeinander¬
folgenden Besitzer seines Werkes, kann er die Schicksale desselben Schritt für
Schritt verfolgen? Wir stoßen da aus den Grundmängel des Münchner Pro¬
gramms, daß die Bilderbesitzer nicht zur unmittelbaren Theilnahme heran¬
gezogen sind. In der allgemeinen Einladung zwar wird der Patriotismus
der Fürsten und des Volkes aufgerufen, sich des Besitzes ihrer Kunstwerke für
eine Zeitlang zu entäußern. Das Programm aber enthält auch nach der ge¬
nauesten Erwägung seiner 24 Paragraphen nur eine aus die Besitzer bezügliche
nähere Bestimmung. Es heißt § 23: "Oeffnen und Wiederverpacken der
Kunstwerke geschieht unter Aufsicht einer Commission." Wenn das die ganze
Versicherung bedeuten soll, die den ausgestellten Werken zu Theil wird, so
fürchten wir, werden sich die Besitzer mit der Entäußerung ihrer Schätze nicht


Ausstellung verfolgt eingeständlich auch didaktische Zwecke; sie nennt sich eine
historische Ausstellung, sie will den „Entwicklungsgang und den Zusammen¬
hang der gegenwärtigen Kunst mit den ihr vorhergehenden Bestrebungen"
versinnlichen. Kann man glauben, um concrete Beispiele anzuführen, daß die
düsseldorfer Künstler sich beeilen werden, der Welt anschaulich zu machen, wie
unlebendig ihre Phantasie, wie schwächlich ihre Farbe, wie beschränkt ihr
Formensinn vor etwa fünfundzwanzig und dreißig Jahren waren? Als Künst¬
ler sind sie in ihrem vollen Rechte, wenn sie sich nicht weiter mit ihren, wie
sie jetzt überzeugt sind, unreifen Leistungen belasten wollen. Der bekehrte
Paulus hört nicht länger auf den Namen Saulus. Und doch müßten wir
es in hohem Grade beklagen, wenn in der historischen Ausstellung die alte
düsseldorfer Schule unvollständig vertreten bliebe. Ihre Schwächen waren
Mängel der deutschen Kunstbildung, in ihrer Vorliebe für das Schmachtende,
Leidende, Kränkliche spiegelten sich nationale Zustände ab. Sie besitzt trotz
aller Fehler mit einem Worte dennoch eine große culturgeschichtliche Bedeutung.
Ohne ihre Kenntniß ferner sind wir nicht im Stande, ein richtiges Urtheil,
welche Fortschritte wir seitdem in der Kunstbildung gethan, zu fällen.

Gesetzt aber auch, unsere Künstler übten eine so überirdische Entsagung
und nähmen an der eignen Persönlichkeit ein bloßes historisches Interesse,
kann man von ihnen billigerweise die äußeren Anstrengungen erwarten, welche
nöthig sind, um einem unbekannten, vielleicht erst mühselig zu entdeckenden
Besitzer liebgewordene Werke zu entreißen? Wenn ich erst eine weitläufige
Correspondenz anfangen soll, hörten wir einen der größten deutschen Künstler
sagen, um meine alten Bilder nach München zu bringen, da bleibe ich lieber
unvertreten. Bei der leicht erklärlichen Schreibunlust der Künstlerwelt dürfte
dieser Entschluß nicht vereinzelt stehen, zumal in gar vielen Fällen zweifelhaft
bliebe, an wen der Brief zu richten sei. Ein Bild wurde vor Jahrzehnten
durch die Vermittlung eines Kunsthändlers gekauft, oder auf einer entfernten
Ausstellung verlooft. Soll der Künstler Buch führen über die aufeinander¬
folgenden Besitzer seines Werkes, kann er die Schicksale desselben Schritt für
Schritt verfolgen? Wir stoßen da aus den Grundmängel des Münchner Pro¬
gramms, daß die Bilderbesitzer nicht zur unmittelbaren Theilnahme heran¬
gezogen sind. In der allgemeinen Einladung zwar wird der Patriotismus
der Fürsten und des Volkes aufgerufen, sich des Besitzes ihrer Kunstwerke für
eine Zeitlang zu entäußern. Das Programm aber enthält auch nach der ge¬
nauesten Erwägung seiner 24 Paragraphen nur eine aus die Besitzer bezügliche
nähere Bestimmung. Es heißt § 23: „Oeffnen und Wiederverpacken der
Kunstwerke geschieht unter Aufsicht einer Commission." Wenn das die ganze
Versicherung bedeuten soll, die den ausgestellten Werken zu Theil wird, so
fürchten wir, werden sich die Besitzer mit der Entäußerung ihrer Schätze nicht


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[0509] Ausstellung verfolgt eingeständlich auch didaktische Zwecke; sie nennt sich eine historische Ausstellung, sie will den „Entwicklungsgang und den Zusammen¬ hang der gegenwärtigen Kunst mit den ihr vorhergehenden Bestrebungen" versinnlichen. Kann man glauben, um concrete Beispiele anzuführen, daß die düsseldorfer Künstler sich beeilen werden, der Welt anschaulich zu machen, wie unlebendig ihre Phantasie, wie schwächlich ihre Farbe, wie beschränkt ihr Formensinn vor etwa fünfundzwanzig und dreißig Jahren waren? Als Künst¬ ler sind sie in ihrem vollen Rechte, wenn sie sich nicht weiter mit ihren, wie sie jetzt überzeugt sind, unreifen Leistungen belasten wollen. Der bekehrte Paulus hört nicht länger auf den Namen Saulus. Und doch müßten wir es in hohem Grade beklagen, wenn in der historischen Ausstellung die alte düsseldorfer Schule unvollständig vertreten bliebe. Ihre Schwächen waren Mängel der deutschen Kunstbildung, in ihrer Vorliebe für das Schmachtende, Leidende, Kränkliche spiegelten sich nationale Zustände ab. Sie besitzt trotz aller Fehler mit einem Worte dennoch eine große culturgeschichtliche Bedeutung. Ohne ihre Kenntniß ferner sind wir nicht im Stande, ein richtiges Urtheil, welche Fortschritte wir seitdem in der Kunstbildung gethan, zu fällen. Gesetzt aber auch, unsere Künstler übten eine so überirdische Entsagung und nähmen an der eignen Persönlichkeit ein bloßes historisches Interesse, kann man von ihnen billigerweise die äußeren Anstrengungen erwarten, welche nöthig sind, um einem unbekannten, vielleicht erst mühselig zu entdeckenden Besitzer liebgewordene Werke zu entreißen? Wenn ich erst eine weitläufige Correspondenz anfangen soll, hörten wir einen der größten deutschen Künstler sagen, um meine alten Bilder nach München zu bringen, da bleibe ich lieber unvertreten. Bei der leicht erklärlichen Schreibunlust der Künstlerwelt dürfte dieser Entschluß nicht vereinzelt stehen, zumal in gar vielen Fällen zweifelhaft bliebe, an wen der Brief zu richten sei. Ein Bild wurde vor Jahrzehnten durch die Vermittlung eines Kunsthändlers gekauft, oder auf einer entfernten Ausstellung verlooft. Soll der Künstler Buch führen über die aufeinander¬ folgenden Besitzer seines Werkes, kann er die Schicksale desselben Schritt für Schritt verfolgen? Wir stoßen da aus den Grundmängel des Münchner Pro¬ gramms, daß die Bilderbesitzer nicht zur unmittelbaren Theilnahme heran¬ gezogen sind. In der allgemeinen Einladung zwar wird der Patriotismus der Fürsten und des Volkes aufgerufen, sich des Besitzes ihrer Kunstwerke für eine Zeitlang zu entäußern. Das Programm aber enthält auch nach der ge¬ nauesten Erwägung seiner 24 Paragraphen nur eine aus die Besitzer bezügliche nähere Bestimmung. Es heißt § 23: „Oeffnen und Wiederverpacken der Kunstwerke geschieht unter Aufsicht einer Commission." Wenn das die ganze Versicherung bedeuten soll, die den ausgestellten Werken zu Theil wird, so fürchten wir, werden sich die Besitzer mit der Entäußerung ihrer Schätze nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/509>, abgerufen am 05.06.2024.