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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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zosen die Sprache, oder vielmehr der Mangel der Kenntniß fremder Sprachen.
So viele ihrer ausgezeichneten Schriftsteller z. V. über England geschrieben, so
ist doch mit Gewißheit zu sagen, daß die Mehrzahl der Gebildeten sehr un¬
klare Ideen über großbritannische Verhältnisse hat. Tocquevilles Werk über
Nordamerika ward von der Akademie gekrönt und ist überall als classisch an¬
erkannt, aber wie viele Franzosen werden auch nur eine oberflächliche Kennt¬
niß von den Zuständen der Union haben? In gleichem, wenn nicht stärkerem
Maße gilt dies von Deutschland. Wir wollen nicht einmal betonen, daß Thiers,
der die letzten großen deutsch-französischen Kriege geschrieben, des Deutschen
unkundig ist, aber man erwäge, was es sagen will, daß der Publicist, der
gewöhnlich die politischen Artikel über Deutschland im Journal des D6half
schreibt, kein Deutsch kann. Frau von Staöls Buch war bekanntlich die erste
Kunde, welche der französischen Welt über das viel bekriegte, aber ungekannte
Nachbarland zukam; seitdem hat. wie wir bereitwillig anerkennen, das Stu¬
dium deutscher Verhältnisse in wachsendem Maße zugenommen, eine Reihe
ausgezeichneter Köpfe, die mit Cousin beginnt, haben sich mit unsern Zustäm
den beschäftigt; mehr noch vielleicht haben talentvolle Deutsche, die sich in
Paris niederließen und der französischen Sprache vollkommen mächtig waren,
als Dolmetscher unsrer Anschauungen und Interessen gethan. Hierher gehört
z. B. auch Heine, so sehr er sich durch seine Schriften gegen das Vaterland
versündigt. Eine andere Brücke zwischen den beiden Ländern wurde durch die
ausgezeichneten Elsasser wie Bartolmeß, Dollfuß u. a. geschlagen. Aber die
vielfachen schiefen und unkundigen Urtheile, denen wir selbst in den beiden
ausgezeichnetsten Organen der französischen Intelligenz, dem Journal des Du¬
bais und der Revue des deux Mondes begegnen, konnten es nur als sehr
wünschenswert!) erscheinen lassen, daß ein besonderes Blatt der Vermittlung
deutscher Literatur, Kunst. Wissenschaft, deutschen Lebens überhaupt gewidmet
würde. Es besteht bekanntlich seit einer Reihe von Jahren eine recht gute der¬
artige Monatsschrift sür England, die in Brüssel bei Schnöc erscheinende Revue
Britcmnique, die namentlich Übersetzungen aus englischen Werken, Reviews und
andern Blättern mittheilt, um so ohne Zugabe eines kritischen Apparates ven
französischen Leser in Stand zu setzen, über englische Verhältnisse zu urtheilen.
Nach diesem Muster haben einige Männer, welche sich schon seit längerer
Zeit durch ihre Theilnahme an deutscher Literatur und öffentlichem Leben
bekannt gemacht haben, die Revue Germaniaue gegründet; sie wird sich gleich¬
falls hauptsächlich mit Uebersetzung und Analyse deutscher Werke und Auf¬
sätze beschäftigen und kurze Anzeigen und Kritiken von Büchern und Korrespon¬
denzen aus verschiednen Theilen Deutschlands bringen; die eigentliche Tages¬
politik ist ausgeschlossen.

Das erste Heft bringt einen Aufsatz der Herausgeber HH. Nefftzer und Doll-


zosen die Sprache, oder vielmehr der Mangel der Kenntniß fremder Sprachen.
So viele ihrer ausgezeichneten Schriftsteller z. V. über England geschrieben, so
ist doch mit Gewißheit zu sagen, daß die Mehrzahl der Gebildeten sehr un¬
klare Ideen über großbritannische Verhältnisse hat. Tocquevilles Werk über
Nordamerika ward von der Akademie gekrönt und ist überall als classisch an¬
erkannt, aber wie viele Franzosen werden auch nur eine oberflächliche Kennt¬
niß von den Zuständen der Union haben? In gleichem, wenn nicht stärkerem
Maße gilt dies von Deutschland. Wir wollen nicht einmal betonen, daß Thiers,
der die letzten großen deutsch-französischen Kriege geschrieben, des Deutschen
unkundig ist, aber man erwäge, was es sagen will, daß der Publicist, der
gewöhnlich die politischen Artikel über Deutschland im Journal des D6half
schreibt, kein Deutsch kann. Frau von Staöls Buch war bekanntlich die erste
Kunde, welche der französischen Welt über das viel bekriegte, aber ungekannte
Nachbarland zukam; seitdem hat. wie wir bereitwillig anerkennen, das Stu¬
dium deutscher Verhältnisse in wachsendem Maße zugenommen, eine Reihe
ausgezeichneter Köpfe, die mit Cousin beginnt, haben sich mit unsern Zustäm
den beschäftigt; mehr noch vielleicht haben talentvolle Deutsche, die sich in
Paris niederließen und der französischen Sprache vollkommen mächtig waren,
als Dolmetscher unsrer Anschauungen und Interessen gethan. Hierher gehört
z. B. auch Heine, so sehr er sich durch seine Schriften gegen das Vaterland
versündigt. Eine andere Brücke zwischen den beiden Ländern wurde durch die
ausgezeichneten Elsasser wie Bartolmeß, Dollfuß u. a. geschlagen. Aber die
vielfachen schiefen und unkundigen Urtheile, denen wir selbst in den beiden
ausgezeichnetsten Organen der französischen Intelligenz, dem Journal des Du¬
bais und der Revue des deux Mondes begegnen, konnten es nur als sehr
wünschenswert!) erscheinen lassen, daß ein besonderes Blatt der Vermittlung
deutscher Literatur, Kunst. Wissenschaft, deutschen Lebens überhaupt gewidmet
würde. Es besteht bekanntlich seit einer Reihe von Jahren eine recht gute der¬
artige Monatsschrift sür England, die in Brüssel bei Schnöc erscheinende Revue
Britcmnique, die namentlich Übersetzungen aus englischen Werken, Reviews und
andern Blättern mittheilt, um so ohne Zugabe eines kritischen Apparates ven
französischen Leser in Stand zu setzen, über englische Verhältnisse zu urtheilen.
Nach diesem Muster haben einige Männer, welche sich schon seit längerer
Zeit durch ihre Theilnahme an deutscher Literatur und öffentlichem Leben
bekannt gemacht haben, die Revue Germaniaue gegründet; sie wird sich gleich¬
falls hauptsächlich mit Uebersetzung und Analyse deutscher Werke und Auf¬
sätze beschäftigen und kurze Anzeigen und Kritiken von Büchern und Korrespon¬
denzen aus verschiednen Theilen Deutschlands bringen; die eigentliche Tages¬
politik ist ausgeschlossen.

Das erste Heft bringt einen Aufsatz der Herausgeber HH. Nefftzer und Doll-


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[0514] zosen die Sprache, oder vielmehr der Mangel der Kenntniß fremder Sprachen. So viele ihrer ausgezeichneten Schriftsteller z. V. über England geschrieben, so ist doch mit Gewißheit zu sagen, daß die Mehrzahl der Gebildeten sehr un¬ klare Ideen über großbritannische Verhältnisse hat. Tocquevilles Werk über Nordamerika ward von der Akademie gekrönt und ist überall als classisch an¬ erkannt, aber wie viele Franzosen werden auch nur eine oberflächliche Kennt¬ niß von den Zuständen der Union haben? In gleichem, wenn nicht stärkerem Maße gilt dies von Deutschland. Wir wollen nicht einmal betonen, daß Thiers, der die letzten großen deutsch-französischen Kriege geschrieben, des Deutschen unkundig ist, aber man erwäge, was es sagen will, daß der Publicist, der gewöhnlich die politischen Artikel über Deutschland im Journal des D6half schreibt, kein Deutsch kann. Frau von Staöls Buch war bekanntlich die erste Kunde, welche der französischen Welt über das viel bekriegte, aber ungekannte Nachbarland zukam; seitdem hat. wie wir bereitwillig anerkennen, das Stu¬ dium deutscher Verhältnisse in wachsendem Maße zugenommen, eine Reihe ausgezeichneter Köpfe, die mit Cousin beginnt, haben sich mit unsern Zustäm den beschäftigt; mehr noch vielleicht haben talentvolle Deutsche, die sich in Paris niederließen und der französischen Sprache vollkommen mächtig waren, als Dolmetscher unsrer Anschauungen und Interessen gethan. Hierher gehört z. B. auch Heine, so sehr er sich durch seine Schriften gegen das Vaterland versündigt. Eine andere Brücke zwischen den beiden Ländern wurde durch die ausgezeichneten Elsasser wie Bartolmeß, Dollfuß u. a. geschlagen. Aber die vielfachen schiefen und unkundigen Urtheile, denen wir selbst in den beiden ausgezeichnetsten Organen der französischen Intelligenz, dem Journal des Du¬ bais und der Revue des deux Mondes begegnen, konnten es nur als sehr wünschenswert!) erscheinen lassen, daß ein besonderes Blatt der Vermittlung deutscher Literatur, Kunst. Wissenschaft, deutschen Lebens überhaupt gewidmet würde. Es besteht bekanntlich seit einer Reihe von Jahren eine recht gute der¬ artige Monatsschrift sür England, die in Brüssel bei Schnöc erscheinende Revue Britcmnique, die namentlich Übersetzungen aus englischen Werken, Reviews und andern Blättern mittheilt, um so ohne Zugabe eines kritischen Apparates ven französischen Leser in Stand zu setzen, über englische Verhältnisse zu urtheilen. Nach diesem Muster haben einige Männer, welche sich schon seit längerer Zeit durch ihre Theilnahme an deutscher Literatur und öffentlichem Leben bekannt gemacht haben, die Revue Germaniaue gegründet; sie wird sich gleich¬ falls hauptsächlich mit Uebersetzung und Analyse deutscher Werke und Auf¬ sätze beschäftigen und kurze Anzeigen und Kritiken von Büchern und Korrespon¬ denzen aus verschiednen Theilen Deutschlands bringen; die eigentliche Tages¬ politik ist ausgeschlossen. Das erste Heft bringt einen Aufsatz der Herausgeber HH. Nefftzer und Doll-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/514>, abgerufen am 13.05.2024.