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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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getreten; wie Goethe der größte Dichter, Hegel der größte Metaphysiker. so
stehe A. v. Humboldt als die größte Manifestation des synthetischen Genies
Deutschlands in der Naturwissenschaft da, und schließe seine große Bahn wür¬
dig durch den Kosmos, "cet, iuvcmwire et<z l'univers". Der Mangel an Plan,
die Ausschreitungen der Jünger dieser drei großen Meister werden getadelt,
und schließlich auf Kuno Fischers Baco von Verulam. der die experimentale
Philosophie wiederherstellen wolle, als auf ein günstiges Zeichen der Zeit
hingewiesen. Baco werde an die Stelle von Spinoza treten, und Mikroskop
und Wage die Synthese zurückdrängen oder ihr doch einen bescheidnern Play
anweisen. In der Schilderung dessen, was Deutschland für die Geschicht¬
schreibung geleistet, vermissen wir bei der Anerkennung der Verdienste von
Ranke, Hauffer, Gervinus, unter deren Händen die Geschichte eine lebens¬
wärmere Gestalt angenommen, doch eine Erwähnung der ältern historischen
Schule. Niebuhr ist vielleicht noch bedeutender durch die Methode seiner Ge¬
schichtschreibung, als durch seine Kritik. Savigny. Böckh, die Grimms verdienten
selbst in einem so allgemeinen Ueberblick genannt zu werden. Anerkannt wird
der reale Zug, der jetzt durch das ganze deutsche Leben gehe, und der sich auch
in den neuesten poetischen Leistungen von Auerbach, Keller, Freytag u. s. w.
bekunde.

Der Vortheil, welchen die Revue aus den zahlreichen deutschen Fach¬
zeitschriften gewinnen könne, wird in einem besondern Briefe von E. Renan
an die Herausgeber auseinandergesetzt. Dankenswert!) ist die warme Anerken¬
nung der Stellung und des Einflusses der deutschen Gelehrsamkeit im Auslande,
wir können in der That darauf stolz sein, daß fast alle Ausgaben der großen
Sammlung der Klassiker von Firmin Didvt von deutschen Gelehrten besorgt sind,
der erste Director der kaiserlichen Bibliothek in Paris, H. Hase, ist ein Deutscher.
Zwei Dinge sind noch in dein Briefe Renans näherer Beachtung werth. Er
findet ein Uebel in der großen Zahl von jungen Leuten, die sich, meist ohne
genügende Subsistenzmittel, in Deutschland zur akademischen Laufbahn drängen.
Hierin müssen wir ihm ganz Recht geben, unsre gelehrte Production
übersteigt die Konsumtion zu sehr und der Wunsch oder die Nothwendigkeit
sich rasch hervorzuthun ruft eine Menge neuer Systeme und Versuche hervor,
welche sich oft mehr durch Paradoxie als durch innern Werth auszeichnen.
Hoffen wir, daß der reale Zug unsers neuen Lebens jenen geistigen Ueberwuchs
allmcilig beseitige. Die andere Bemerkung Renans ist. daß Deutschland keine
Revuen habe, d. h. Zeitschriften, welche die Interessen der Nation in gedieg¬
ner und doch gemeinverständlicher Weise besprechen. Es ist nun richtig, daß
wir keine Zeitschrift wie die Revue des deux Mondes besitzen, aber das ist
mehr eine Folge der deutschen Decentralisation als einer Abneigung gegen
die Art der englischen oder französischen Revuen, man darf nicht schließen, daß


getreten; wie Goethe der größte Dichter, Hegel der größte Metaphysiker. so
stehe A. v. Humboldt als die größte Manifestation des synthetischen Genies
Deutschlands in der Naturwissenschaft da, und schließe seine große Bahn wür¬
dig durch den Kosmos, „cet, iuvcmwire et<z l'univers". Der Mangel an Plan,
die Ausschreitungen der Jünger dieser drei großen Meister werden getadelt,
und schließlich auf Kuno Fischers Baco von Verulam. der die experimentale
Philosophie wiederherstellen wolle, als auf ein günstiges Zeichen der Zeit
hingewiesen. Baco werde an die Stelle von Spinoza treten, und Mikroskop
und Wage die Synthese zurückdrängen oder ihr doch einen bescheidnern Play
anweisen. In der Schilderung dessen, was Deutschland für die Geschicht¬
schreibung geleistet, vermissen wir bei der Anerkennung der Verdienste von
Ranke, Hauffer, Gervinus, unter deren Händen die Geschichte eine lebens¬
wärmere Gestalt angenommen, doch eine Erwähnung der ältern historischen
Schule. Niebuhr ist vielleicht noch bedeutender durch die Methode seiner Ge¬
schichtschreibung, als durch seine Kritik. Savigny. Böckh, die Grimms verdienten
selbst in einem so allgemeinen Ueberblick genannt zu werden. Anerkannt wird
der reale Zug, der jetzt durch das ganze deutsche Leben gehe, und der sich auch
in den neuesten poetischen Leistungen von Auerbach, Keller, Freytag u. s. w.
bekunde.

Der Vortheil, welchen die Revue aus den zahlreichen deutschen Fach¬
zeitschriften gewinnen könne, wird in einem besondern Briefe von E. Renan
an die Herausgeber auseinandergesetzt. Dankenswert!) ist die warme Anerken¬
nung der Stellung und des Einflusses der deutschen Gelehrsamkeit im Auslande,
wir können in der That darauf stolz sein, daß fast alle Ausgaben der großen
Sammlung der Klassiker von Firmin Didvt von deutschen Gelehrten besorgt sind,
der erste Director der kaiserlichen Bibliothek in Paris, H. Hase, ist ein Deutscher.
Zwei Dinge sind noch in dein Briefe Renans näherer Beachtung werth. Er
findet ein Uebel in der großen Zahl von jungen Leuten, die sich, meist ohne
genügende Subsistenzmittel, in Deutschland zur akademischen Laufbahn drängen.
Hierin müssen wir ihm ganz Recht geben, unsre gelehrte Production
übersteigt die Konsumtion zu sehr und der Wunsch oder die Nothwendigkeit
sich rasch hervorzuthun ruft eine Menge neuer Systeme und Versuche hervor,
welche sich oft mehr durch Paradoxie als durch innern Werth auszeichnen.
Hoffen wir, daß der reale Zug unsers neuen Lebens jenen geistigen Ueberwuchs
allmcilig beseitige. Die andere Bemerkung Renans ist. daß Deutschland keine
Revuen habe, d. h. Zeitschriften, welche die Interessen der Nation in gedieg¬
ner und doch gemeinverständlicher Weise besprechen. Es ist nun richtig, daß
wir keine Zeitschrift wie die Revue des deux Mondes besitzen, aber das ist
mehr eine Folge der deutschen Decentralisation als einer Abneigung gegen
die Art der englischen oder französischen Revuen, man darf nicht schließen, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/518>, abgerufen am 15.05.2024.