Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wohin sie auch gehen würden. Er ging aus, unterdessen machte ich mich
über seinen Milchtopf und leerte ihn ganz aus. Hat mir mein Lebtag keine
Milch so wohl geschmeckt. Er kam nebst andern wieder, und brachte mir
einer ein Paar alte lederne Hosen, die von Wagentheer sehr übel star¬
ken; ein andrer ein Paar alte Ricmenschuhe,' ein andrer zwei Strümpfe,
einen grünen und weißen wollenen. Diese Livree schickte sich weder für einen
Reisenden noch für einen Pfarrer. Dennoch nahm ichs mit Dank an, konnte
aber in den Schuhen nicht gehen, denn sie waren hart gefroren. Die Strumpf¬
sohlen waren zerrissen und ging also mit ihnen mehr barfuß als beschuhet
gen Hildburghausen. Wenn wir uns umsahen, so sahen rar, wie es im Jtz-
grund an vielen Orten lichterloh aufbrannte. Damals ging auch Ummer-
stadt. Rodach. Eisfeld. Heldburg im Feuer zu Grunde. Ich machte mit
meiner Ankunft ein solches Spectakael, Schrecken und Furcht zu Hildburghausen,
daß sich niemand (da doch viel 1000 Fremde dahin gekommen waren) sicher
wußte, obgleich die Stadt starke Wache .hielt. Mir aber war nur
die Sorge, wie ich ein ehrlich Kleid, Strümpfe, Schuhe etc. bekommen mochte,
ehe wir da ausrissen. Ging deswegen unbeschuhet zu Herrn Burgemeister Paul
Waitz. zum Diaconus etc.. bat mir etwas zu schenken, damit ich mich ehrlich
bedecken möchte. H. Waitz schenkte mir einen alten Hut, war fast eine Elle
hoch, deformirte mich mehr, als etwas anderes, gleichwol setzte ich ihn auf.
H. Schmellers Eidam, jetzt Diaconus zu Römhild, sckenkte mir ein Paar
Hosen, die über den Knien zugingen, die waren noch gut. H. Dresse! ein
Paar schwarze Strümpfe, der Kirchner ein Paar Schuhe. Also war ich
stafsiret, daß ich ohne Scham unter so viel tausend fremden Leuten, die in der
Stadt Sicherheit suchten, und uuter deu Bürgern mich durste sehen lassen.
Der Hut aber deformirte mich gar sehr, drum trachtete ich aus Gelegenheit,
wie ich einen andern überkommen möchte. Es trug sich aber zu, daß das
ganze Ministerium, Schulcollegen und Rath heimlich sich vereinigt hatten, daß
sie Unwissend der gemeinen Bürgerschaft. Nachts v Uhr die Thore wollten
öffnen lassen, und davon gehen mit Weib und Kind. Dies erfuhr ich. ging
deswegen ur des H. Stadtschreibers Behausung, wo die Herren sich alle ver¬
sammelten, niemand aber wollte meiner achten noch mich kennen. Ich setzte
mich allein über einen Tisch im Finstern, wurde da gewahr, wie ein sein ein-
barer Hut am Nagel hing. Ich dachte, wenn dieser bei ihrem Aufbruch hangen
bliebe, so wäre es mir gut. Gehts doch ohnedies alles zu Boden nach dem
Abzug. Und was ich wünschte und gedachte, das gerieth mir. Es ging an
cur Scheiden. Heulen und Valcdiciren. ich legte den Kopf auf den Tisch als
um Schlafender. Als nun fast jedermann im Abziehen war. hängte ich den
langen Störcher an die Wand, that einen Tausch und ging mit den andern
Leuten vor in die Gasse. Da war diese Verabredung unter den Leuten offenbar


wohin sie auch gehen würden. Er ging aus, unterdessen machte ich mich
über seinen Milchtopf und leerte ihn ganz aus. Hat mir mein Lebtag keine
Milch so wohl geschmeckt. Er kam nebst andern wieder, und brachte mir
einer ein Paar alte lederne Hosen, die von Wagentheer sehr übel star¬
ken; ein andrer ein Paar alte Ricmenschuhe,' ein andrer zwei Strümpfe,
einen grünen und weißen wollenen. Diese Livree schickte sich weder für einen
Reisenden noch für einen Pfarrer. Dennoch nahm ichs mit Dank an, konnte
aber in den Schuhen nicht gehen, denn sie waren hart gefroren. Die Strumpf¬
sohlen waren zerrissen und ging also mit ihnen mehr barfuß als beschuhet
gen Hildburghausen. Wenn wir uns umsahen, so sahen rar, wie es im Jtz-
grund an vielen Orten lichterloh aufbrannte. Damals ging auch Ummer-
stadt. Rodach. Eisfeld. Heldburg im Feuer zu Grunde. Ich machte mit
meiner Ankunft ein solches Spectakael, Schrecken und Furcht zu Hildburghausen,
daß sich niemand (da doch viel 1000 Fremde dahin gekommen waren) sicher
wußte, obgleich die Stadt starke Wache .hielt. Mir aber war nur
die Sorge, wie ich ein ehrlich Kleid, Strümpfe, Schuhe etc. bekommen mochte,
ehe wir da ausrissen. Ging deswegen unbeschuhet zu Herrn Burgemeister Paul
Waitz. zum Diaconus etc.. bat mir etwas zu schenken, damit ich mich ehrlich
bedecken möchte. H. Waitz schenkte mir einen alten Hut, war fast eine Elle
hoch, deformirte mich mehr, als etwas anderes, gleichwol setzte ich ihn auf.
H. Schmellers Eidam, jetzt Diaconus zu Römhild, sckenkte mir ein Paar
Hosen, die über den Knien zugingen, die waren noch gut. H. Dresse! ein
Paar schwarze Strümpfe, der Kirchner ein Paar Schuhe. Also war ich
stafsiret, daß ich ohne Scham unter so viel tausend fremden Leuten, die in der
Stadt Sicherheit suchten, und uuter deu Bürgern mich durste sehen lassen.
Der Hut aber deformirte mich gar sehr, drum trachtete ich aus Gelegenheit,
wie ich einen andern überkommen möchte. Es trug sich aber zu, daß das
ganze Ministerium, Schulcollegen und Rath heimlich sich vereinigt hatten, daß
sie Unwissend der gemeinen Bürgerschaft. Nachts v Uhr die Thore wollten
öffnen lassen, und davon gehen mit Weib und Kind. Dies erfuhr ich. ging
deswegen ur des H. Stadtschreibers Behausung, wo die Herren sich alle ver¬
sammelten, niemand aber wollte meiner achten noch mich kennen. Ich setzte
mich allein über einen Tisch im Finstern, wurde da gewahr, wie ein sein ein-
barer Hut am Nagel hing. Ich dachte, wenn dieser bei ihrem Aufbruch hangen
bliebe, so wäre es mir gut. Gehts doch ohnedies alles zu Boden nach dem
Abzug. Und was ich wünschte und gedachte, das gerieth mir. Es ging an
cur Scheiden. Heulen und Valcdiciren. ich legte den Kopf auf den Tisch als
um Schlafender. Als nun fast jedermann im Abziehen war. hängte ich den
langen Störcher an die Wand, that einen Tausch und ging mit den andern
Leuten vor in die Gasse. Da war diese Verabredung unter den Leuten offenbar


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0063" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105340"/>
              <p xml:id="ID_137" prev="#ID_136" next="#ID_138"> wohin sie auch gehen würden.  Er ging aus, unterdessen machte ich mich<lb/>
über seinen Milchtopf und leerte ihn ganz aus.  Hat mir mein Lebtag keine<lb/>
Milch so wohl geschmeckt.  Er kam nebst andern wieder, und brachte mir<lb/>
einer ein Paar alte lederne Hosen, die von Wagentheer sehr übel star¬<lb/>
ken; ein andrer ein Paar alte Ricmenschuhe,' ein andrer zwei Strümpfe,<lb/>
einen grünen und weißen wollenen. Diese Livree schickte sich weder für einen<lb/>
Reisenden noch für einen Pfarrer.  Dennoch nahm ichs mit Dank an, konnte<lb/>
aber in den Schuhen nicht gehen, denn sie waren hart gefroren. Die Strumpf¬<lb/>
sohlen waren zerrissen und ging also mit ihnen mehr barfuß als beschuhet<lb/>
gen Hildburghausen. Wenn wir uns umsahen, so sahen rar, wie es im Jtz-<lb/>
grund an vielen Orten lichterloh aufbrannte.  Damals ging auch Ummer-<lb/>
stadt. Rodach. Eisfeld. Heldburg im Feuer zu Grunde.  Ich machte mit<lb/>
meiner Ankunft ein solches Spectakael, Schrecken und Furcht zu Hildburghausen,<lb/>
daß sich niemand (da doch viel 1000 Fremde dahin gekommen waren) sicher<lb/>
wußte,  obgleich die Stadt starke Wache .hielt.  Mir aber war nur<lb/>
die Sorge, wie ich ein ehrlich Kleid, Strümpfe, Schuhe etc. bekommen mochte,<lb/>
ehe wir da ausrissen. Ging deswegen unbeschuhet zu Herrn Burgemeister Paul<lb/>
Waitz. zum Diaconus etc.. bat mir etwas zu schenken, damit ich mich ehrlich<lb/>
bedecken möchte.  H. Waitz schenkte mir einen alten Hut, war fast eine Elle<lb/>
hoch, deformirte mich mehr, als etwas anderes, gleichwol setzte ich ihn auf.<lb/>
H. Schmellers Eidam, jetzt Diaconus zu Römhild, sckenkte mir ein Paar<lb/>
Hosen, die über den Knien zugingen, die waren noch gut. H. Dresse! ein<lb/>
Paar schwarze Strümpfe, der Kirchner ein Paar Schuhe.  Also war ich<lb/>
stafsiret, daß ich ohne Scham unter so viel tausend fremden Leuten, die in der<lb/>
Stadt Sicherheit suchten, und uuter deu Bürgern mich durste sehen lassen.<lb/>
Der Hut aber deformirte mich gar sehr, drum trachtete ich aus Gelegenheit,<lb/>
wie ich einen andern überkommen möchte.  Es trug sich aber zu, daß das<lb/>
ganze Ministerium, Schulcollegen und Rath heimlich sich vereinigt hatten, daß<lb/>
sie Unwissend der gemeinen Bürgerschaft. Nachts v Uhr die Thore wollten<lb/>
öffnen lassen, und davon gehen mit Weib und Kind.  Dies erfuhr ich. ging<lb/>
deswegen ur des H. Stadtschreibers Behausung, wo die Herren sich alle ver¬<lb/>
sammelten, niemand aber wollte meiner achten noch mich kennen.  Ich setzte<lb/>
mich allein über einen Tisch im Finstern, wurde da gewahr, wie ein sein ein-<lb/>
barer Hut am Nagel hing. Ich dachte, wenn dieser bei ihrem Aufbruch hangen<lb/>
bliebe, so wäre es mir gut.  Gehts doch ohnedies alles zu Boden nach dem<lb/>
Abzug.  Und was ich wünschte und gedachte, das gerieth mir.  Es ging an<lb/>
cur Scheiden. Heulen und Valcdiciren. ich legte den Kopf auf den Tisch als<lb/>
um Schlafender.  Als nun fast jedermann im Abziehen war. hängte ich den<lb/>
langen Störcher an die Wand, that einen Tausch und ging mit den andern<lb/>
Leuten vor in die Gasse. Da war diese Verabredung unter den Leuten offenbar</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0063] wohin sie auch gehen würden. Er ging aus, unterdessen machte ich mich über seinen Milchtopf und leerte ihn ganz aus. Hat mir mein Lebtag keine Milch so wohl geschmeckt. Er kam nebst andern wieder, und brachte mir einer ein Paar alte lederne Hosen, die von Wagentheer sehr übel star¬ ken; ein andrer ein Paar alte Ricmenschuhe,' ein andrer zwei Strümpfe, einen grünen und weißen wollenen. Diese Livree schickte sich weder für einen Reisenden noch für einen Pfarrer. Dennoch nahm ichs mit Dank an, konnte aber in den Schuhen nicht gehen, denn sie waren hart gefroren. Die Strumpf¬ sohlen waren zerrissen und ging also mit ihnen mehr barfuß als beschuhet gen Hildburghausen. Wenn wir uns umsahen, so sahen rar, wie es im Jtz- grund an vielen Orten lichterloh aufbrannte. Damals ging auch Ummer- stadt. Rodach. Eisfeld. Heldburg im Feuer zu Grunde. Ich machte mit meiner Ankunft ein solches Spectakael, Schrecken und Furcht zu Hildburghausen, daß sich niemand (da doch viel 1000 Fremde dahin gekommen waren) sicher wußte, obgleich die Stadt starke Wache .hielt. Mir aber war nur die Sorge, wie ich ein ehrlich Kleid, Strümpfe, Schuhe etc. bekommen mochte, ehe wir da ausrissen. Ging deswegen unbeschuhet zu Herrn Burgemeister Paul Waitz. zum Diaconus etc.. bat mir etwas zu schenken, damit ich mich ehrlich bedecken möchte. H. Waitz schenkte mir einen alten Hut, war fast eine Elle hoch, deformirte mich mehr, als etwas anderes, gleichwol setzte ich ihn auf. H. Schmellers Eidam, jetzt Diaconus zu Römhild, sckenkte mir ein Paar Hosen, die über den Knien zugingen, die waren noch gut. H. Dresse! ein Paar schwarze Strümpfe, der Kirchner ein Paar Schuhe. Also war ich stafsiret, daß ich ohne Scham unter so viel tausend fremden Leuten, die in der Stadt Sicherheit suchten, und uuter deu Bürgern mich durste sehen lassen. Der Hut aber deformirte mich gar sehr, drum trachtete ich aus Gelegenheit, wie ich einen andern überkommen möchte. Es trug sich aber zu, daß das ganze Ministerium, Schulcollegen und Rath heimlich sich vereinigt hatten, daß sie Unwissend der gemeinen Bürgerschaft. Nachts v Uhr die Thore wollten öffnen lassen, und davon gehen mit Weib und Kind. Dies erfuhr ich. ging deswegen ur des H. Stadtschreibers Behausung, wo die Herren sich alle ver¬ sammelten, niemand aber wollte meiner achten noch mich kennen. Ich setzte mich allein über einen Tisch im Finstern, wurde da gewahr, wie ein sein ein- barer Hut am Nagel hing. Ich dachte, wenn dieser bei ihrem Aufbruch hangen bliebe, so wäre es mir gut. Gehts doch ohnedies alles zu Boden nach dem Abzug. Und was ich wünschte und gedachte, das gerieth mir. Es ging an cur Scheiden. Heulen und Valcdiciren. ich legte den Kopf auf den Tisch als um Schlafender. Als nun fast jedermann im Abziehen war. hängte ich den langen Störcher an die Wand, that einen Tausch und ging mit den andern Leuten vor in die Gasse. Da war diese Verabredung unter den Leuten offenbar

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/63
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/63>, abgerufen am 04.06.2024.