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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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zusammenlegen ließ, welches sie nicht ballen haben wollen, ob sie mich schon oft
durchsucht. Damit schnitt ich die Stricke an beiden Füßen los, und sprang hin¬
unter Stockwerk hoch, wo die Mühlräder liegen. Es' ging mir das Wasser
über den halben Leib, da warfen die Schelme Stöcke, Ziegelsteine und Prügel
hinter mir her. um mir den Rest vollends zu geben. Ich war auch willens
mich ganz hinaus zu arbeiten, gegen des Müllers Hintere Thür,- konnte aber nicht,
entweder, weil die Kleider voll Wassers mich zurück dehneten, oder vielmehr
weil Gott solches nicht haben wollte, daß ich da sterben sollte. Denn wie ein
trunkener Mann hin und her taumelt, also auch ich, und komme auf die andere
Seite gegen den hintern 'Brnuhof. Da sie nun merkten, ich würde im
Zwinger aufsteigen. laufen sie alle in die Stadt, und nehmen mehr Gesellen
zu sich, passen unten bei den Gerbhäusern auf. ob ich ihnen kommen würde.
Aber als ich dieses merkte, daß ich jetzo alleine war, blieb ich im Wasser liegen
und steckte meinen Kops unter einen dicken Weidenbusch, und ruhete im
Wasser 4 oder 5 Stunden, bis es Nacht wurde, und vorher in der Stadt
stille wurde; dann kroch ich heraus halb todt, konnte der Schläge wegen
fast keinen Athem holen. Ging hinab bis an die Gerbhäuser, wurde da
gewahr, daß es noch nicht sicher; daß einer dort Gras nahete, einer Gerbers¬
kessel ausriß, und wäre schier auf diesen gekommen. Mußte also da stecken
bis in die Nacht. Ging dann über die Brunncnröhren. den Wasserfluß
immer hinab und kletterte über einen Weidcnstamm, daß ich die andere Seite
gegen Poppcnhausen innen bekam. Als ich an den Poppenhäuser oder Ein¬
öder Weg kam, tags da und dort voll Weißzeug, welches die' Soldaten weg¬
geworfen oder verloren hatten. Ich konnte mich nicht bücken etwas aufzuheben,
kam endlich nach Poppcnhausen, und fand niemand einheimisch, denn Claus
Hör, dessen Frau eine Sechswöchnerin war, der mußte mir die Kleider vom
Leib schneiden, denn ich war verschwollen, legte die nassen Kleider ab, damit
sie trocken wurden. Mußte mir auch ein Hemd leihen, da besah er mir das
Fell, welches ganz bunt von Schlägen, ward endlich mein Rücken und Arme
schwarz vom Geblüte. Den andern Tag gebot mir das schöne Pfarrkind aus,
denn er fürchtete sich, man möchte mir nachstehen und er meinetwegen in Unglück
kommen. Also zog ich die nassen Kleider mit seiner Hilfe um, und ging fein sachte
auf Lindenau zu, immer durch die dicksten Büsche, und hielt mich jenseit in den Lin-
denauer Garten, von denen ich das Dorf sehen konnte. Wurde endlich gewahr, daß
etliche Leutlein in ein Haus gingen, ging darauf zu. man wollte mich aber
nicht einlassen, denn die Furcht war zu groß. Endlich, da sie durch das
Fenster sahen, daß ihr Pfarrer kam. kam ich ein, und blieb etliche Tage bei
ihnen. Denn sie hatten einen im Quartier, der ein Lindenauer Kind war,
der half ein wenig. Ich aber hatte da ein neues Unglück Als der im
Quartier Liegende mit den Lindenauern nach Schloß Einöd ging, da abzuholen,


zusammenlegen ließ, welches sie nicht ballen haben wollen, ob sie mich schon oft
durchsucht. Damit schnitt ich die Stricke an beiden Füßen los, und sprang hin¬
unter Stockwerk hoch, wo die Mühlräder liegen. Es' ging mir das Wasser
über den halben Leib, da warfen die Schelme Stöcke, Ziegelsteine und Prügel
hinter mir her. um mir den Rest vollends zu geben. Ich war auch willens
mich ganz hinaus zu arbeiten, gegen des Müllers Hintere Thür,- konnte aber nicht,
entweder, weil die Kleider voll Wassers mich zurück dehneten, oder vielmehr
weil Gott solches nicht haben wollte, daß ich da sterben sollte. Denn wie ein
trunkener Mann hin und her taumelt, also auch ich, und komme auf die andere
Seite gegen den hintern 'Brnuhof. Da sie nun merkten, ich würde im
Zwinger aufsteigen. laufen sie alle in die Stadt, und nehmen mehr Gesellen
zu sich, passen unten bei den Gerbhäusern auf. ob ich ihnen kommen würde.
Aber als ich dieses merkte, daß ich jetzo alleine war, blieb ich im Wasser liegen
und steckte meinen Kops unter einen dicken Weidenbusch, und ruhete im
Wasser 4 oder 5 Stunden, bis es Nacht wurde, und vorher in der Stadt
stille wurde; dann kroch ich heraus halb todt, konnte der Schläge wegen
fast keinen Athem holen. Ging hinab bis an die Gerbhäuser, wurde da
gewahr, daß es noch nicht sicher; daß einer dort Gras nahete, einer Gerbers¬
kessel ausriß, und wäre schier auf diesen gekommen. Mußte also da stecken
bis in die Nacht. Ging dann über die Brunncnröhren. den Wasserfluß
immer hinab und kletterte über einen Weidcnstamm, daß ich die andere Seite
gegen Poppcnhausen innen bekam. Als ich an den Poppenhäuser oder Ein¬
öder Weg kam, tags da und dort voll Weißzeug, welches die' Soldaten weg¬
geworfen oder verloren hatten. Ich konnte mich nicht bücken etwas aufzuheben,
kam endlich nach Poppcnhausen, und fand niemand einheimisch, denn Claus
Hör, dessen Frau eine Sechswöchnerin war, der mußte mir die Kleider vom
Leib schneiden, denn ich war verschwollen, legte die nassen Kleider ab, damit
sie trocken wurden. Mußte mir auch ein Hemd leihen, da besah er mir das
Fell, welches ganz bunt von Schlägen, ward endlich mein Rücken und Arme
schwarz vom Geblüte. Den andern Tag gebot mir das schöne Pfarrkind aus,
denn er fürchtete sich, man möchte mir nachstehen und er meinetwegen in Unglück
kommen. Also zog ich die nassen Kleider mit seiner Hilfe um, und ging fein sachte
auf Lindenau zu, immer durch die dicksten Büsche, und hielt mich jenseit in den Lin-
denauer Garten, von denen ich das Dorf sehen konnte. Wurde endlich gewahr, daß
etliche Leutlein in ein Haus gingen, ging darauf zu. man wollte mich aber
nicht einlassen, denn die Furcht war zu groß. Endlich, da sie durch das
Fenster sahen, daß ihr Pfarrer kam. kam ich ein, und blieb etliche Tage bei
ihnen. Denn sie hatten einen im Quartier, der ein Lindenauer Kind war,
der half ein wenig. Ich aber hatte da ein neues Unglück Als der im
Quartier Liegende mit den Lindenauern nach Schloß Einöd ging, da abzuholen,


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[0070] zusammenlegen ließ, welches sie nicht ballen haben wollen, ob sie mich schon oft durchsucht. Damit schnitt ich die Stricke an beiden Füßen los, und sprang hin¬ unter Stockwerk hoch, wo die Mühlräder liegen. Es' ging mir das Wasser über den halben Leib, da warfen die Schelme Stöcke, Ziegelsteine und Prügel hinter mir her. um mir den Rest vollends zu geben. Ich war auch willens mich ganz hinaus zu arbeiten, gegen des Müllers Hintere Thür,- konnte aber nicht, entweder, weil die Kleider voll Wassers mich zurück dehneten, oder vielmehr weil Gott solches nicht haben wollte, daß ich da sterben sollte. Denn wie ein trunkener Mann hin und her taumelt, also auch ich, und komme auf die andere Seite gegen den hintern 'Brnuhof. Da sie nun merkten, ich würde im Zwinger aufsteigen. laufen sie alle in die Stadt, und nehmen mehr Gesellen zu sich, passen unten bei den Gerbhäusern auf. ob ich ihnen kommen würde. Aber als ich dieses merkte, daß ich jetzo alleine war, blieb ich im Wasser liegen und steckte meinen Kops unter einen dicken Weidenbusch, und ruhete im Wasser 4 oder 5 Stunden, bis es Nacht wurde, und vorher in der Stadt stille wurde; dann kroch ich heraus halb todt, konnte der Schläge wegen fast keinen Athem holen. Ging hinab bis an die Gerbhäuser, wurde da gewahr, daß es noch nicht sicher; daß einer dort Gras nahete, einer Gerbers¬ kessel ausriß, und wäre schier auf diesen gekommen. Mußte also da stecken bis in die Nacht. Ging dann über die Brunncnröhren. den Wasserfluß immer hinab und kletterte über einen Weidcnstamm, daß ich die andere Seite gegen Poppcnhausen innen bekam. Als ich an den Poppenhäuser oder Ein¬ öder Weg kam, tags da und dort voll Weißzeug, welches die' Soldaten weg¬ geworfen oder verloren hatten. Ich konnte mich nicht bücken etwas aufzuheben, kam endlich nach Poppcnhausen, und fand niemand einheimisch, denn Claus Hör, dessen Frau eine Sechswöchnerin war, der mußte mir die Kleider vom Leib schneiden, denn ich war verschwollen, legte die nassen Kleider ab, damit sie trocken wurden. Mußte mir auch ein Hemd leihen, da besah er mir das Fell, welches ganz bunt von Schlägen, ward endlich mein Rücken und Arme schwarz vom Geblüte. Den andern Tag gebot mir das schöne Pfarrkind aus, denn er fürchtete sich, man möchte mir nachstehen und er meinetwegen in Unglück kommen. Also zog ich die nassen Kleider mit seiner Hilfe um, und ging fein sachte auf Lindenau zu, immer durch die dicksten Büsche, und hielt mich jenseit in den Lin- denauer Garten, von denen ich das Dorf sehen konnte. Wurde endlich gewahr, daß etliche Leutlein in ein Haus gingen, ging darauf zu. man wollte mich aber nicht einlassen, denn die Furcht war zu groß. Endlich, da sie durch das Fenster sahen, daß ihr Pfarrer kam. kam ich ein, und blieb etliche Tage bei ihnen. Denn sie hatten einen im Quartier, der ein Lindenauer Kind war, der half ein wenig. Ich aber hatte da ein neues Unglück Als der im Quartier Liegende mit den Lindenauern nach Schloß Einöd ging, da abzuholen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/70>, abgerufen am 04.06.2024.