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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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einträchtige Zusammenhalten der beiden deutschen Großmächte kann in dieser
Angelegenheit eine günstige Entscheidung vermitteln, und jeder Versuch diese
Eintracht zu gefährden, verdient gebrandmarkt zu werden.

Was nun aber den Umstand betrifft, den auch die Mitarbeiter unsers
Jahrhunderts widerwillig zugeben, daß tue bei weitem größere Mehrzahl
der Gebildeten sich allmälig die Ueberzeugung angeeignet hat, die deutsche
Entwicklung falle mit der preußischen in der Hauptsache zusammen, so kann
.er nur völlig verstanden werden, wenn man die Gesinnung ernster Männer,
die von einem lebhaften deutschen Vaterlandsgefühl erfüllt waren, und zu die¬
sem Resultat kamen, ohne Preußen durch Geburt oder Stellung anzugehören,
genetisch verfolgt. Am lehrreichsten sind solche Schriftsteller, die ursprünglich
starke Antipathien zu bekämpfen hatten / wie z> B. Paul Pfizer, der als
Schwabe dem preußischen Wesen am wenigsten befreundet war. Seit dem
vorigen Jahr ist man wol allgemein überzeugt, daß unter den Trägern dieser
Sache Friedrich von Gagern der hervorragendste Charakter war. Der
zweite Band seiner Lebensbeschreibung, mit dem das Werk, da der dritte
Band vorausgegangen war, abgeschlossen ist, wird den Unbefangenen in
dieser Ueberzeugung bestärken. Zunächst greift wol jeder Leser nach dem
ete. Capitel in welchem die vertrauten Briefe der Familie Gagern von der
Rückkehr des Generals aus Ostindien bis zu seinem unglückseligen Tode mit¬
getheilt sind. Neue Thatsachen erfährt man nicht, aber man versinnlicht sich
die Stimmungen und Motive der leitenden Persönlichkeiten, Es kostete Hein¬
rich von Gagern einen schweren Kampf, die durch seine frühere historische
und politische Bildung, zum Theil auch durch den Einfluß seines Bruders
gewonnene Ueberzeugung, daß Preußen in dem neu zu bildenden Bundesstaat
die Hegemonie übernehmen müsse, auch dann fest zu halten, als die furcht¬
bare Erschütterung 'dieser Monarchie am 18. März allen frühern Voraus¬
setzungen zu widersprechen schien. Und hier ist es wohlthuend und überzeu¬
gend, daß dem warmen und beweglichen Gefühl Heinrichs de-r entschlossene
unerbittliche Verstand seines Bruders zur Seite trat, und daß beide unabhängig
voneinander aus das nämliche Ziel zusteuerten; ja daß auch der Bater, der
in seinem wechselvollen Leben den Einsturz so mancher Illusionen durchgemacht
hatte, und dessen Sympathien ursprünglich nach einer andern Richtung gingen,
im Wesentlichen ihnen beitrat. Die flüchtig hingeworfenen kleinen Briefe
versinnlichen uns deutliche? die Gemüthsbewegungen, von denen dieser Bildungs-
proccß begleitet war. als die parlamentarischen Reden, die doch immer
bis zu einem gewissen Grad zurecht gemacht waren. -- Daß Heinrich von
Gagern das unglückselige Ereigniß von Kandern durch ausführliche Mittheilung
aller Actenstücke noch einmal vor die Seele führt, mag man seiner brüderlichen
Pietät zu Gute halten- sein Perlust war groß, aber der Verlust Deutschlands


einträchtige Zusammenhalten der beiden deutschen Großmächte kann in dieser
Angelegenheit eine günstige Entscheidung vermitteln, und jeder Versuch diese
Eintracht zu gefährden, verdient gebrandmarkt zu werden.

Was nun aber den Umstand betrifft, den auch die Mitarbeiter unsers
Jahrhunderts widerwillig zugeben, daß tue bei weitem größere Mehrzahl
der Gebildeten sich allmälig die Ueberzeugung angeeignet hat, die deutsche
Entwicklung falle mit der preußischen in der Hauptsache zusammen, so kann
.er nur völlig verstanden werden, wenn man die Gesinnung ernster Männer,
die von einem lebhaften deutschen Vaterlandsgefühl erfüllt waren, und zu die¬
sem Resultat kamen, ohne Preußen durch Geburt oder Stellung anzugehören,
genetisch verfolgt. Am lehrreichsten sind solche Schriftsteller, die ursprünglich
starke Antipathien zu bekämpfen hatten / wie z> B. Paul Pfizer, der als
Schwabe dem preußischen Wesen am wenigsten befreundet war. Seit dem
vorigen Jahr ist man wol allgemein überzeugt, daß unter den Trägern dieser
Sache Friedrich von Gagern der hervorragendste Charakter war. Der
zweite Band seiner Lebensbeschreibung, mit dem das Werk, da der dritte
Band vorausgegangen war, abgeschlossen ist, wird den Unbefangenen in
dieser Ueberzeugung bestärken. Zunächst greift wol jeder Leser nach dem
ete. Capitel in welchem die vertrauten Briefe der Familie Gagern von der
Rückkehr des Generals aus Ostindien bis zu seinem unglückseligen Tode mit¬
getheilt sind. Neue Thatsachen erfährt man nicht, aber man versinnlicht sich
die Stimmungen und Motive der leitenden Persönlichkeiten, Es kostete Hein¬
rich von Gagern einen schweren Kampf, die durch seine frühere historische
und politische Bildung, zum Theil auch durch den Einfluß seines Bruders
gewonnene Ueberzeugung, daß Preußen in dem neu zu bildenden Bundesstaat
die Hegemonie übernehmen müsse, auch dann fest zu halten, als die furcht¬
bare Erschütterung 'dieser Monarchie am 18. März allen frühern Voraus¬
setzungen zu widersprechen schien. Und hier ist es wohlthuend und überzeu¬
gend, daß dem warmen und beweglichen Gefühl Heinrichs de-r entschlossene
unerbittliche Verstand seines Bruders zur Seite trat, und daß beide unabhängig
voneinander aus das nämliche Ziel zusteuerten; ja daß auch der Bater, der
in seinem wechselvollen Leben den Einsturz so mancher Illusionen durchgemacht
hatte, und dessen Sympathien ursprünglich nach einer andern Richtung gingen,
im Wesentlichen ihnen beitrat. Die flüchtig hingeworfenen kleinen Briefe
versinnlichen uns deutliche? die Gemüthsbewegungen, von denen dieser Bildungs-
proccß begleitet war. als die parlamentarischen Reden, die doch immer
bis zu einem gewissen Grad zurecht gemacht waren. — Daß Heinrich von
Gagern das unglückselige Ereigniß von Kandern durch ausführliche Mittheilung
aller Actenstücke noch einmal vor die Seele führt, mag man seiner brüderlichen
Pietät zu Gute halten- sein Perlust war groß, aber der Verlust Deutschlands


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/80>, abgerufen am 04.06.2024.