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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Kimstllteratur.

"Ursprung und Entwicklung des christlichen Kirchengebäudes" von Wilhelm
Weingärtner. Leipzig, T. O. Weigel. -- Der Verfasser stellt die Resultate
seiner Forschungen in Folgendem zusammen. -- Die römische Baukunst nimmt von
den Griechen den reinen korinthischen Stil auf, erhöht im Sinn des Kolossalen und
Pompösen seine Verhältnisse und steigert seine Pracht. Eigen ist ihr die Wölbung:
ein fruchtbares Princip, das auch nach verschiedenen Seiten insbesondere als kuppel-
bedcckter Rundbau ausgebildet wird, ohne daß doch die wahren Ergebnisse desselben
zur Entwicklung gelangen; vielmehr wird die Wölbung unorganisch mit den griechi¬
schen Formen zusammengestellt. -- Hier nun beginnt das ästhetische Princip der
christlichen Baukunst zur Geltung zu gelangen. Das Kolossale und Pompöse der
Verhältnisse wächst fort und fort durch die Erhöhung des Mittelschiffs und die damit
zusammenhängende des Giebelfelds. Durch reichen musivischen Schmuck prangt und
leuchtet das Innere, während eine glückliche Perspective die Längenrichtung ins Un¬
endliche zu dehnen scheint. Das Aeußere dagegen ist noch kahl und ungegliedert.
Bald aber gliedert und belebt sich auch dieses in den ravennatischen Bauten, steigert
sich in der romanischen Periode durch Blenden, Liscnen, Vogenfriesc, Zwergsäulen in den
Fensteröffnungen und nach außen geöffnete Galerien in anmuthiger Weise und erreicht
endlich in der gothischen Baukunst durch Strebepfeiler, Strebebogen, reichliche und
scharf vrofilirte Gesimse, kunstreich durchbrochene Steinmetzarbeit, welche den Kern
filigranartig einspannt, ohne seine Formen zu umhüllen, durch Spitzsäulen, Fialen,
Kreuzblumen, verschlungenes Maßwerk in den Fenstern, den höchsten Grad zauber¬
hafter Pracht. Die Wölbung und der kuppclbedcckte Rundbau gestaltet sich in der
christlichen Baukunst allmälig zur organischen Verbindung durch die Ausbildung der
reichgegliederten Pfeiler, durch den byzantinischen Kämpfer, durch Gurt- und Ge-
wölbbogen. Der Bautheil, welcher zu der innern und äußern Gliederung und Be¬
lebung das Meiste beitrug, war das Querschiff, welches den Triumphbogen im Lang¬
schiff, da wo dieses in das Kreuzschiff überging, veranlaßt. Eine Wiederholung
desselben auf jeder Seite der Vierung rief die Kuppel über dieser und den Kuppel-
thürm in den romanischen Bauten hervor. Eine Wiederholung im Langschiff führte
die allmälige Beseitigung der Säulen und die Einführung der Pfeiler herbei. Die
Einspannung der Kreuzgewölbe beim Beginn der gothischen Periode zwischen die
einzelnen Bogen des Langschiffs endlich erforderte die mächtigen himmclaufstrebenden
Strebepfeiler und Strebebogen als Widerlage gegen den Schub der Gewölbe von
Innen nach Außen. Das Kirchengebäude war aus den cngendcn Schranken der
umgrenzenden Mauer herausgetreten. Nachdem so das markige Gerippe der gothi¬
schen Dome gebildet war, konnte man alle Sorgfalt auf die Schönheit und Zier¬
lichkeit der Dctailbildungcn verwenden. --




Verantwortlicher Redacteur: v. Moritz Busch -- Verlag von F. L. Herbig
in Leipzig. ' .
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
Kimstllteratur.

„Ursprung und Entwicklung des christlichen Kirchengebäudes" von Wilhelm
Weingärtner. Leipzig, T. O. Weigel. — Der Verfasser stellt die Resultate
seiner Forschungen in Folgendem zusammen. — Die römische Baukunst nimmt von
den Griechen den reinen korinthischen Stil auf, erhöht im Sinn des Kolossalen und
Pompösen seine Verhältnisse und steigert seine Pracht. Eigen ist ihr die Wölbung:
ein fruchtbares Princip, das auch nach verschiedenen Seiten insbesondere als kuppel-
bedcckter Rundbau ausgebildet wird, ohne daß doch die wahren Ergebnisse desselben
zur Entwicklung gelangen; vielmehr wird die Wölbung unorganisch mit den griechi¬
schen Formen zusammengestellt. — Hier nun beginnt das ästhetische Princip der
christlichen Baukunst zur Geltung zu gelangen. Das Kolossale und Pompöse der
Verhältnisse wächst fort und fort durch die Erhöhung des Mittelschiffs und die damit
zusammenhängende des Giebelfelds. Durch reichen musivischen Schmuck prangt und
leuchtet das Innere, während eine glückliche Perspective die Längenrichtung ins Un¬
endliche zu dehnen scheint. Das Aeußere dagegen ist noch kahl und ungegliedert.
Bald aber gliedert und belebt sich auch dieses in den ravennatischen Bauten, steigert
sich in der romanischen Periode durch Blenden, Liscnen, Vogenfriesc, Zwergsäulen in den
Fensteröffnungen und nach außen geöffnete Galerien in anmuthiger Weise und erreicht
endlich in der gothischen Baukunst durch Strebepfeiler, Strebebogen, reichliche und
scharf vrofilirte Gesimse, kunstreich durchbrochene Steinmetzarbeit, welche den Kern
filigranartig einspannt, ohne seine Formen zu umhüllen, durch Spitzsäulen, Fialen,
Kreuzblumen, verschlungenes Maßwerk in den Fenstern, den höchsten Grad zauber¬
hafter Pracht. Die Wölbung und der kuppclbedcckte Rundbau gestaltet sich in der
christlichen Baukunst allmälig zur organischen Verbindung durch die Ausbildung der
reichgegliederten Pfeiler, durch den byzantinischen Kämpfer, durch Gurt- und Ge-
wölbbogen. Der Bautheil, welcher zu der innern und äußern Gliederung und Be¬
lebung das Meiste beitrug, war das Querschiff, welches den Triumphbogen im Lang¬
schiff, da wo dieses in das Kreuzschiff überging, veranlaßt. Eine Wiederholung
desselben auf jeder Seite der Vierung rief die Kuppel über dieser und den Kuppel-
thürm in den romanischen Bauten hervor. Eine Wiederholung im Langschiff führte
die allmälige Beseitigung der Säulen und die Einführung der Pfeiler herbei. Die
Einspannung der Kreuzgewölbe beim Beginn der gothischen Periode zwischen die
einzelnen Bogen des Langschiffs endlich erforderte die mächtigen himmclaufstrebenden
Strebepfeiler und Strebebogen als Widerlage gegen den Schub der Gewölbe von
Innen nach Außen. Das Kirchengebäude war aus den cngendcn Schranken der
umgrenzenden Mauer herausgetreten. Nachdem so das markige Gerippe der gothi¬
schen Dome gebildet war, konnte man alle Sorgfalt auf die Schönheit und Zier¬
lichkeit der Dctailbildungcn verwenden. —




Verantwortlicher Redacteur: v. Moritz Busch — Verlag von F. L. Herbig
in Leipzig. ' .
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/288>, abgerufen am 24.05.2024.