Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hoben haben, denn Friedrich gehört zu den wenigen deutschen Helden, deren
Andenken sich das Volt nicht gern verkümmern läßt. Aber auch auf den¬
jenigen, der sich in seinem Urtheil nicht durch volksthümliche Sympathien be¬
stimmen läßt, mußte das Verfahren Macaulays einen sonderbaren Eindruck
machen. Jeder Biograph bemüht sich zunächst, bei seinem Helden den Kern
seines Wesens zu entdecken, und bei der künstlichen Gruppirung der Thatsachen
diesen Kern so scharf hervortreten zu lassen, daß alle andern Eigenschaften
im Hintergrund bleiben. Bei Friedrich waren Bewunderer und Gegner darüber
einig gewesen, daß man hauptsächlich seine Kriegsthaten ins Auge zu fassen
habe, an die sich dann seine staatsmännischen Talente und alles Uebrige an¬
reihe. Macaulay hat dagegen einen Gesichtspunkt entdeckt, der durch seine
Neuheit überrascht: er legt bei seinem Urtheil Friedrichs Gedichte zu Grunde
und bringt durch den seltsamen Contrast der in ihnen ausgesprochenen Ge¬
sinnungen gegen das, was Friedrich wirklich gethan, ein komisch verzerrtes Bild
hervor, das freilich sehr unterhält, das aber der geschichtlichen Wirklichkeit nicht
entspricht. Die Fratze liegt blos in dem sonderbaren Gesichtspunkt des Ge¬
schichtschreibers. Denn es gibt keine auch noch so classisch vollendete Natur,
für die man nicht eine Perspective ausfinden könnte, in der sie einen possen¬
haften Eindruck macht. Freilich ist es auf der andern Seite ein Verdienst,
eine Figur, die man bis dahin nur im Profil zu sehn gewohnt war, von
einem andern Punkt aus abzubilden. Bei einem geistvollen Künstler, wie es
Macaulay unzweifelhaft ist, wird man immer viel daraus lernen.

Wir haben schon früher darauf aufmerksam gemacht, daß man dieses
absprechende Urtheil über Friedrich bei den neuern englischen Schriftstellern
nicht selten findet: es ist eine natürliche Reaction gegen die übertriebene Ver¬
götterung, mit welcher früher das englische Publicum dem Sieger bei Ro߬
bach entgegenkam. . Carlyle bemüht sich nun in dem vorliegenden Werk,
diesen Urtheilen seiner Landsleute entgegenzutreten und dem deutschen Volk
gewissermaßen eine Ehrenerklärung zu geben. Indem er nach dem gründ¬
lichsten Quellenstudium alle Details, die man überhaupt, wissen kann, auch
die possenhaften und widerwärtigen nicht ausgeschlossen, auf das umständlichste
zusammenstellt, findet er in der jugendlich warmen Empfänglichkeit seines Ge¬
müths für alles Große die Beleuchtung, welche die einzelnen Züge des Ge¬
mäldes in ihrem richtigen künstlerischen Verhältniß klar und entschieden hervor¬
treten läßt.

Wie ausführlich die Darstellung ist, geht schon daraus hervor, daß die
fünf ersten Bände nur den Zeitraum bis zur Thronbesteigung des Königs
umfassen. Freilich enthält der erste Band efne allgemeine Einleitung, die
Geschichte des preußischen Staats, die für das englische Publicum sehr noth¬
wendig war, weil es sich von den natürlichen Voraussetzungen dieser Geschichte


hoben haben, denn Friedrich gehört zu den wenigen deutschen Helden, deren
Andenken sich das Volt nicht gern verkümmern läßt. Aber auch auf den¬
jenigen, der sich in seinem Urtheil nicht durch volksthümliche Sympathien be¬
stimmen läßt, mußte das Verfahren Macaulays einen sonderbaren Eindruck
machen. Jeder Biograph bemüht sich zunächst, bei seinem Helden den Kern
seines Wesens zu entdecken, und bei der künstlichen Gruppirung der Thatsachen
diesen Kern so scharf hervortreten zu lassen, daß alle andern Eigenschaften
im Hintergrund bleiben. Bei Friedrich waren Bewunderer und Gegner darüber
einig gewesen, daß man hauptsächlich seine Kriegsthaten ins Auge zu fassen
habe, an die sich dann seine staatsmännischen Talente und alles Uebrige an¬
reihe. Macaulay hat dagegen einen Gesichtspunkt entdeckt, der durch seine
Neuheit überrascht: er legt bei seinem Urtheil Friedrichs Gedichte zu Grunde
und bringt durch den seltsamen Contrast der in ihnen ausgesprochenen Ge¬
sinnungen gegen das, was Friedrich wirklich gethan, ein komisch verzerrtes Bild
hervor, das freilich sehr unterhält, das aber der geschichtlichen Wirklichkeit nicht
entspricht. Die Fratze liegt blos in dem sonderbaren Gesichtspunkt des Ge¬
schichtschreibers. Denn es gibt keine auch noch so classisch vollendete Natur,
für die man nicht eine Perspective ausfinden könnte, in der sie einen possen¬
haften Eindruck macht. Freilich ist es auf der andern Seite ein Verdienst,
eine Figur, die man bis dahin nur im Profil zu sehn gewohnt war, von
einem andern Punkt aus abzubilden. Bei einem geistvollen Künstler, wie es
Macaulay unzweifelhaft ist, wird man immer viel daraus lernen.

Wir haben schon früher darauf aufmerksam gemacht, daß man dieses
absprechende Urtheil über Friedrich bei den neuern englischen Schriftstellern
nicht selten findet: es ist eine natürliche Reaction gegen die übertriebene Ver¬
götterung, mit welcher früher das englische Publicum dem Sieger bei Ro߬
bach entgegenkam. . Carlyle bemüht sich nun in dem vorliegenden Werk,
diesen Urtheilen seiner Landsleute entgegenzutreten und dem deutschen Volk
gewissermaßen eine Ehrenerklärung zu geben. Indem er nach dem gründ¬
lichsten Quellenstudium alle Details, die man überhaupt, wissen kann, auch
die possenhaften und widerwärtigen nicht ausgeschlossen, auf das umständlichste
zusammenstellt, findet er in der jugendlich warmen Empfänglichkeit seines Ge¬
müths für alles Große die Beleuchtung, welche die einzelnen Züge des Ge¬
mäldes in ihrem richtigen künstlerischen Verhältniß klar und entschieden hervor¬
treten läßt.

Wie ausführlich die Darstellung ist, geht schon daraus hervor, daß die
fünf ersten Bände nur den Zeitraum bis zur Thronbesteigung des Königs
umfassen. Freilich enthält der erste Band efne allgemeine Einleitung, die
Geschichte des preußischen Staats, die für das englische Publicum sehr noth¬
wendig war, weil es sich von den natürlichen Voraussetzungen dieser Geschichte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0296" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266105"/>
          <p xml:id="ID_792" prev="#ID_791"> hoben haben, denn Friedrich gehört zu den wenigen deutschen Helden, deren<lb/>
Andenken sich das Volt nicht gern verkümmern läßt. Aber auch auf den¬<lb/>
jenigen, der sich in seinem Urtheil nicht durch volksthümliche Sympathien be¬<lb/>
stimmen läßt, mußte das Verfahren Macaulays einen sonderbaren Eindruck<lb/>
machen. Jeder Biograph bemüht sich zunächst, bei seinem Helden den Kern<lb/>
seines Wesens zu entdecken, und bei der künstlichen Gruppirung der Thatsachen<lb/>
diesen Kern so scharf hervortreten zu lassen, daß alle andern Eigenschaften<lb/>
im Hintergrund bleiben. Bei Friedrich waren Bewunderer und Gegner darüber<lb/>
einig gewesen, daß man hauptsächlich seine Kriegsthaten ins Auge zu fassen<lb/>
habe, an die sich dann seine staatsmännischen Talente und alles Uebrige an¬<lb/>
reihe. Macaulay hat dagegen einen Gesichtspunkt entdeckt, der durch seine<lb/>
Neuheit überrascht: er legt bei seinem Urtheil Friedrichs Gedichte zu Grunde<lb/>
und bringt durch den seltsamen Contrast der in ihnen ausgesprochenen Ge¬<lb/>
sinnungen gegen das, was Friedrich wirklich gethan, ein komisch verzerrtes Bild<lb/>
hervor, das freilich sehr unterhält, das aber der geschichtlichen Wirklichkeit nicht<lb/>
entspricht. Die Fratze liegt blos in dem sonderbaren Gesichtspunkt des Ge¬<lb/>
schichtschreibers. Denn es gibt keine auch noch so classisch vollendete Natur,<lb/>
für die man nicht eine Perspective ausfinden könnte, in der sie einen possen¬<lb/>
haften Eindruck macht. Freilich ist es auf der andern Seite ein Verdienst,<lb/>
eine Figur, die man bis dahin nur im Profil zu sehn gewohnt war, von<lb/>
einem andern Punkt aus abzubilden. Bei einem geistvollen Künstler, wie es<lb/>
Macaulay unzweifelhaft ist, wird man immer viel daraus lernen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_793"> Wir haben schon früher darauf aufmerksam gemacht, daß man dieses<lb/>
absprechende Urtheil über Friedrich bei den neuern englischen Schriftstellern<lb/>
nicht selten findet: es ist eine natürliche Reaction gegen die übertriebene Ver¬<lb/>
götterung, mit welcher früher das englische Publicum dem Sieger bei Ro߬<lb/>
bach entgegenkam. . Carlyle bemüht sich nun in dem vorliegenden Werk,<lb/>
diesen Urtheilen seiner Landsleute entgegenzutreten und dem deutschen Volk<lb/>
gewissermaßen eine Ehrenerklärung zu geben. Indem er nach dem gründ¬<lb/>
lichsten Quellenstudium alle Details, die man überhaupt, wissen kann, auch<lb/>
die possenhaften und widerwärtigen nicht ausgeschlossen, auf das umständlichste<lb/>
zusammenstellt, findet er in der jugendlich warmen Empfänglichkeit seines Ge¬<lb/>
müths für alles Große die Beleuchtung, welche die einzelnen Züge des Ge¬<lb/>
mäldes in ihrem richtigen künstlerischen Verhältniß klar und entschieden hervor¬<lb/>
treten läßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_794" next="#ID_795"> Wie ausführlich die Darstellung ist, geht schon daraus hervor, daß die<lb/>
fünf ersten Bände nur den Zeitraum bis zur Thronbesteigung des Königs<lb/>
umfassen. Freilich enthält der erste Band efne allgemeine Einleitung, die<lb/>
Geschichte des preußischen Staats, die für das englische Publicum sehr noth¬<lb/>
wendig war, weil es sich von den natürlichen Voraussetzungen dieser Geschichte</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0296] hoben haben, denn Friedrich gehört zu den wenigen deutschen Helden, deren Andenken sich das Volt nicht gern verkümmern läßt. Aber auch auf den¬ jenigen, der sich in seinem Urtheil nicht durch volksthümliche Sympathien be¬ stimmen läßt, mußte das Verfahren Macaulays einen sonderbaren Eindruck machen. Jeder Biograph bemüht sich zunächst, bei seinem Helden den Kern seines Wesens zu entdecken, und bei der künstlichen Gruppirung der Thatsachen diesen Kern so scharf hervortreten zu lassen, daß alle andern Eigenschaften im Hintergrund bleiben. Bei Friedrich waren Bewunderer und Gegner darüber einig gewesen, daß man hauptsächlich seine Kriegsthaten ins Auge zu fassen habe, an die sich dann seine staatsmännischen Talente und alles Uebrige an¬ reihe. Macaulay hat dagegen einen Gesichtspunkt entdeckt, der durch seine Neuheit überrascht: er legt bei seinem Urtheil Friedrichs Gedichte zu Grunde und bringt durch den seltsamen Contrast der in ihnen ausgesprochenen Ge¬ sinnungen gegen das, was Friedrich wirklich gethan, ein komisch verzerrtes Bild hervor, das freilich sehr unterhält, das aber der geschichtlichen Wirklichkeit nicht entspricht. Die Fratze liegt blos in dem sonderbaren Gesichtspunkt des Ge¬ schichtschreibers. Denn es gibt keine auch noch so classisch vollendete Natur, für die man nicht eine Perspective ausfinden könnte, in der sie einen possen¬ haften Eindruck macht. Freilich ist es auf der andern Seite ein Verdienst, eine Figur, die man bis dahin nur im Profil zu sehn gewohnt war, von einem andern Punkt aus abzubilden. Bei einem geistvollen Künstler, wie es Macaulay unzweifelhaft ist, wird man immer viel daraus lernen. Wir haben schon früher darauf aufmerksam gemacht, daß man dieses absprechende Urtheil über Friedrich bei den neuern englischen Schriftstellern nicht selten findet: es ist eine natürliche Reaction gegen die übertriebene Ver¬ götterung, mit welcher früher das englische Publicum dem Sieger bei Ro߬ bach entgegenkam. . Carlyle bemüht sich nun in dem vorliegenden Werk, diesen Urtheilen seiner Landsleute entgegenzutreten und dem deutschen Volk gewissermaßen eine Ehrenerklärung zu geben. Indem er nach dem gründ¬ lichsten Quellenstudium alle Details, die man überhaupt, wissen kann, auch die possenhaften und widerwärtigen nicht ausgeschlossen, auf das umständlichste zusammenstellt, findet er in der jugendlich warmen Empfänglichkeit seines Ge¬ müths für alles Große die Beleuchtung, welche die einzelnen Züge des Ge¬ mäldes in ihrem richtigen künstlerischen Verhältniß klar und entschieden hervor¬ treten läßt. Wie ausführlich die Darstellung ist, geht schon daraus hervor, daß die fünf ersten Bände nur den Zeitraum bis zur Thronbesteigung des Königs umfassen. Freilich enthält der erste Band efne allgemeine Einleitung, die Geschichte des preußischen Staats, die für das englische Publicum sehr noth¬ wendig war, weil es sich von den natürlichen Voraussetzungen dieser Geschichte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/296
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/296>, abgerufen am 31.05.2024.