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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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beider Nationen genau einander entsprächen, Jupiter durchaus gleich Zeus,
Here gleich Juno sei u. s. w. --

Eine selbstständige Behandlung der römischen Mythologie ist erst seit Nie-
buhr möglich geworden. Das erste Buch, das diese Aufgabe zu lösen unter¬
nahm -- die Religion der Römer von Härtung, 1836, 2 Bände -- ist un¬
genügend und hat austerhalb der eigentlich gelehrten Kreise wol so gut wie
leinen Eingang gefunden. Seitdem hat sich die gelehrte Forschung zwar viel¬
fach diesem Gebiet zugewendet, aber niemand hat es in seinem ganzen Um¬
fang behandelt. Die neue römische Mythologie v. L. Preller, (ein Theil der
rühmlich bekannten Weidmannschen Sammlung von Handbüchern über das
classische Alterthum, welche bereits eine griechische Mythologie von demselben
Verfasser enthält) kommt nicht nur einem Bedürfniß des größern Publicums,
sondern auch der Fachgenossen entgegen. Wenige Gelehrte sind so befähigt,
diesen ungeheuern und schwierigen Stoff zu bewältigen als der Verfasser, der,
feit mehr als zwanzig Jahren vorzugsweise mit mythologischen Forschungen
beschäftigt, mit einer auch die entlegensten Theile der Literatur umfassenden
Gelehrsamkeit eine ungemeine Kenntniß der zahllosen hierher gehörigen Denk¬
mäler vereinigt. In der That zeigt sein Buch gegen das seines Vorgängers
gehalten einen gewaltigen Fortschritt, sowol was den Reichthum des Mate¬
rials, als auch was dessen Belebung und Durchdringung betrifft.

Die Schwierigkeit, in das Wesen der römischen Mythologie einzudringen,
rührt nicht von denselben Ursachen her, die die griechische Mythologie zu einem
der dunkelsten und verworrensten Gebiete der Alterthumskunde machen. Hier
ist es namentlich die Fülle von widersprechenden und einander aufhebenden
Auffassungen und Deutungen, die ans den verschiedenen Entwickelungsperioden
der griechischen Religion stammen, welche uns die Ergründung der Goltesbegnsse
erschwert', dort ist es im Gegentheil der Mangel an Nachrichten aus den Zeiten,
in denen die römische Religion noch lebendig war. Die uns erhaltene römische
Literatur gehört fast ganz einer Zeit an, in der griechische Bildung bereits
dem ganzen geistigen Leben der Römer ihren Stempel aufgedrückt hätte. Seit
deu Tarquiniern war die Aufnahme griechischer Cultuselemente in den römi¬
schen Gottesdienst in stetem Fortgang gewesen. Seit dem zweiten punischen
Krieg bürgerte sich auch griechische Poesie und Literatur in den gebildeten
Kreisen ein, den an den fremden Vorbildern geschulten Dichtern und Schrift¬
stellern drängten sich mit andern griechischen Vorstellungen vor allem die lebens¬
vollen individuellen und plastisch ausgebildeten Gestalten der griechischen Götter
auf, neben denen die wesenlosen und unpersönlichen des vaterländischen Cultus
sich nicht zu behaupten vermochten. Vielmehr wurden sie, wenn man diesen
Ausdruck erlauben will, von den griechischen Göttern absorbirt: der römische
Jupiter nahm allmälig Züge, Gestalt und Wesen des olympischen Zeus an,


beider Nationen genau einander entsprächen, Jupiter durchaus gleich Zeus,
Here gleich Juno sei u. s. w. —

Eine selbstständige Behandlung der römischen Mythologie ist erst seit Nie-
buhr möglich geworden. Das erste Buch, das diese Aufgabe zu lösen unter¬
nahm — die Religion der Römer von Härtung, 1836, 2 Bände — ist un¬
genügend und hat austerhalb der eigentlich gelehrten Kreise wol so gut wie
leinen Eingang gefunden. Seitdem hat sich die gelehrte Forschung zwar viel¬
fach diesem Gebiet zugewendet, aber niemand hat es in seinem ganzen Um¬
fang behandelt. Die neue römische Mythologie v. L. Preller, (ein Theil der
rühmlich bekannten Weidmannschen Sammlung von Handbüchern über das
classische Alterthum, welche bereits eine griechische Mythologie von demselben
Verfasser enthält) kommt nicht nur einem Bedürfniß des größern Publicums,
sondern auch der Fachgenossen entgegen. Wenige Gelehrte sind so befähigt,
diesen ungeheuern und schwierigen Stoff zu bewältigen als der Verfasser, der,
feit mehr als zwanzig Jahren vorzugsweise mit mythologischen Forschungen
beschäftigt, mit einer auch die entlegensten Theile der Literatur umfassenden
Gelehrsamkeit eine ungemeine Kenntniß der zahllosen hierher gehörigen Denk¬
mäler vereinigt. In der That zeigt sein Buch gegen das seines Vorgängers
gehalten einen gewaltigen Fortschritt, sowol was den Reichthum des Mate¬
rials, als auch was dessen Belebung und Durchdringung betrifft.

Die Schwierigkeit, in das Wesen der römischen Mythologie einzudringen,
rührt nicht von denselben Ursachen her, die die griechische Mythologie zu einem
der dunkelsten und verworrensten Gebiete der Alterthumskunde machen. Hier
ist es namentlich die Fülle von widersprechenden und einander aufhebenden
Auffassungen und Deutungen, die ans den verschiedenen Entwickelungsperioden
der griechischen Religion stammen, welche uns die Ergründung der Goltesbegnsse
erschwert', dort ist es im Gegentheil der Mangel an Nachrichten aus den Zeiten,
in denen die römische Religion noch lebendig war. Die uns erhaltene römische
Literatur gehört fast ganz einer Zeit an, in der griechische Bildung bereits
dem ganzen geistigen Leben der Römer ihren Stempel aufgedrückt hätte. Seit
deu Tarquiniern war die Aufnahme griechischer Cultuselemente in den römi¬
schen Gottesdienst in stetem Fortgang gewesen. Seit dem zweiten punischen
Krieg bürgerte sich auch griechische Poesie und Literatur in den gebildeten
Kreisen ein, den an den fremden Vorbildern geschulten Dichtern und Schrift¬
stellern drängten sich mit andern griechischen Vorstellungen vor allem die lebens¬
vollen individuellen und plastisch ausgebildeten Gestalten der griechischen Götter
auf, neben denen die wesenlosen und unpersönlichen des vaterländischen Cultus
sich nicht zu behaupten vermochten. Vielmehr wurden sie, wenn man diesen
Ausdruck erlauben will, von den griechischen Göttern absorbirt: der römische
Jupiter nahm allmälig Züge, Gestalt und Wesen des olympischen Zeus an,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/392>, abgerufen am 19.05.2024.