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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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einsetzte. Der Haß der feindlichen Bekenntnisse, dieses Welsen- und Ghibel-
linenthum der Jahrhunderte nach der Reformation, vermochte natürlich auch
hier die Parteien zu erbittern und sie mit dem zu allem fähigen Fanatismus
zu erfüllen, welcher religiösen Gegensätzen so besonders eigen ist.

Indeß hielten sich die Dinge, wie sie waren, bis ins folgende Jahrhun¬
dert hinein. Der Anfang des siebzehnten Jahrhunderts war eine Zeit voll
der merkwürdigsten Strömungen; alle Verhältnisse in unnatürlicher Spannung,
die Gemüther in aufreibender, fieberhafter Aufregung; es lag gleichsam in
der Luft ein Gefühl von großen verhängnißvollen Ereignissen, die da kommen
wußten, aber noch wußte mau nicht, von welcher Art sie sein, wo der erste
Anstoß, wo die Entscheidung sich finden würde. Das Seltsamste ist in der
Aufregung jener Jahrzehnte vor Beginn des großen deutscheu Kriegs gedacht
und geplant worden. Das eine empfand man aller Orten klarer oder unkla¬
rer, daß die große und drohende Weltmacht des Habsburgischen Hauses von
Spanien und Oestreich mit vollen Segeln ging. Nach welchem Ziel? Die
Bedrohten fühlten ein jeder nur die nächste, die eigne Gefahr; wenige waren,
die das Haupt zu einem freiem Blick, zu einer Ueberschau nach allen Seiten
Zu erheben vermochten.

In Italien war nach den Kämpfen des vorigen Jahrhunderts Mailand
endlich dauernd an Spanien gekommen; selbst wenn es sich weiter gehender
Pläne hätte enthalten wollen, durch sein bloßes natürliches Gewicht lastete es
drückend auf allen Nachbarn; aber die Governatorcn von Mailand waren
"nrner allerhand neucrungssüchtiger Projecte voll; oft waren es unruhige
Kbpfe. die man in Madrid sich vom Halse schassen wollte, und die nun dort
'dre eigne Politik trieben, ohne sich viel an die Weisungen ihres Hofes Zu
kehren. Der alte Gouverneur Fuentes, der in dieser Zeit in Mailand saß,
^ar dahin gekommen mit der ausgesprochenen Erklärung, er wünsche sein
Leben in Kriegsthaten zu endigen; darauf hin forcirte er nnn alle Verhältnisse.
Man weiß, wie grade im Gegentheil die Politik von Madrid, unter der
Zeitung des Herzogs von Lerma. damals aus die Erhaltung des Friedens um
jeden Preis ausging. Indeß ließ man den Alten gewähren.

Wol war nun da das Veltlin ein recht geeigneter Anlaß. Der alte An¬
spruch Mailands auf das wichtige Thal war nie ganz aus den Augen gelassen
worden; nur galt es gegen so gefährliche Feinde wie die Bündner vorsichtig
in verfahren; jetzt kam der religiöse Zwiespalt dem politischen Interesse zu
Hilfe, und wo sich diese zwei vereinigten, da gab es natürlich ein ganz be¬
sonders qualistcirtes Object für die spanisch-habsburgische Politik jener Zeit.

In Graubündten selbst bekämpften sich eine katholische und eine reformirte
Partei. An der Spitze der Katholiken, welche in der Verbindung mit Spa¬
ren ihr Heil suchten, stand die Familie der Planta; die andern lehnten sich


einsetzte. Der Haß der feindlichen Bekenntnisse, dieses Welsen- und Ghibel-
linenthum der Jahrhunderte nach der Reformation, vermochte natürlich auch
hier die Parteien zu erbittern und sie mit dem zu allem fähigen Fanatismus
zu erfüllen, welcher religiösen Gegensätzen so besonders eigen ist.

Indeß hielten sich die Dinge, wie sie waren, bis ins folgende Jahrhun¬
dert hinein. Der Anfang des siebzehnten Jahrhunderts war eine Zeit voll
der merkwürdigsten Strömungen; alle Verhältnisse in unnatürlicher Spannung,
die Gemüther in aufreibender, fieberhafter Aufregung; es lag gleichsam in
der Luft ein Gefühl von großen verhängnißvollen Ereignissen, die da kommen
wußten, aber noch wußte mau nicht, von welcher Art sie sein, wo der erste
Anstoß, wo die Entscheidung sich finden würde. Das Seltsamste ist in der
Aufregung jener Jahrzehnte vor Beginn des großen deutscheu Kriegs gedacht
und geplant worden. Das eine empfand man aller Orten klarer oder unkla¬
rer, daß die große und drohende Weltmacht des Habsburgischen Hauses von
Spanien und Oestreich mit vollen Segeln ging. Nach welchem Ziel? Die
Bedrohten fühlten ein jeder nur die nächste, die eigne Gefahr; wenige waren,
die das Haupt zu einem freiem Blick, zu einer Ueberschau nach allen Seiten
Zu erheben vermochten.

In Italien war nach den Kämpfen des vorigen Jahrhunderts Mailand
endlich dauernd an Spanien gekommen; selbst wenn es sich weiter gehender
Pläne hätte enthalten wollen, durch sein bloßes natürliches Gewicht lastete es
drückend auf allen Nachbarn; aber die Governatorcn von Mailand waren
"nrner allerhand neucrungssüchtiger Projecte voll; oft waren es unruhige
Kbpfe. die man in Madrid sich vom Halse schassen wollte, und die nun dort
'dre eigne Politik trieben, ohne sich viel an die Weisungen ihres Hofes Zu
kehren. Der alte Gouverneur Fuentes, der in dieser Zeit in Mailand saß,
^ar dahin gekommen mit der ausgesprochenen Erklärung, er wünsche sein
Leben in Kriegsthaten zu endigen; darauf hin forcirte er nnn alle Verhältnisse.
Man weiß, wie grade im Gegentheil die Politik von Madrid, unter der
Zeitung des Herzogs von Lerma. damals aus die Erhaltung des Friedens um
jeden Preis ausging. Indeß ließ man den Alten gewähren.

Wol war nun da das Veltlin ein recht geeigneter Anlaß. Der alte An¬
spruch Mailands auf das wichtige Thal war nie ganz aus den Augen gelassen
worden; nur galt es gegen so gefährliche Feinde wie die Bündner vorsichtig
in verfahren; jetzt kam der religiöse Zwiespalt dem politischen Interesse zu
Hilfe, und wo sich diese zwei vereinigten, da gab es natürlich ein ganz be¬
sonders qualistcirtes Object für die spanisch-habsburgische Politik jener Zeit.

In Graubündten selbst bekämpften sich eine katholische und eine reformirte
Partei. An der Spitze der Katholiken, welche in der Verbindung mit Spa¬
ren ihr Heil suchten, stand die Familie der Planta; die andern lehnten sich


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[0101] einsetzte. Der Haß der feindlichen Bekenntnisse, dieses Welsen- und Ghibel- linenthum der Jahrhunderte nach der Reformation, vermochte natürlich auch hier die Parteien zu erbittern und sie mit dem zu allem fähigen Fanatismus zu erfüllen, welcher religiösen Gegensätzen so besonders eigen ist. Indeß hielten sich die Dinge, wie sie waren, bis ins folgende Jahrhun¬ dert hinein. Der Anfang des siebzehnten Jahrhunderts war eine Zeit voll der merkwürdigsten Strömungen; alle Verhältnisse in unnatürlicher Spannung, die Gemüther in aufreibender, fieberhafter Aufregung; es lag gleichsam in der Luft ein Gefühl von großen verhängnißvollen Ereignissen, die da kommen wußten, aber noch wußte mau nicht, von welcher Art sie sein, wo der erste Anstoß, wo die Entscheidung sich finden würde. Das Seltsamste ist in der Aufregung jener Jahrzehnte vor Beginn des großen deutscheu Kriegs gedacht und geplant worden. Das eine empfand man aller Orten klarer oder unkla¬ rer, daß die große und drohende Weltmacht des Habsburgischen Hauses von Spanien und Oestreich mit vollen Segeln ging. Nach welchem Ziel? Die Bedrohten fühlten ein jeder nur die nächste, die eigne Gefahr; wenige waren, die das Haupt zu einem freiem Blick, zu einer Ueberschau nach allen Seiten Zu erheben vermochten. In Italien war nach den Kämpfen des vorigen Jahrhunderts Mailand endlich dauernd an Spanien gekommen; selbst wenn es sich weiter gehender Pläne hätte enthalten wollen, durch sein bloßes natürliches Gewicht lastete es drückend auf allen Nachbarn; aber die Governatorcn von Mailand waren "nrner allerhand neucrungssüchtiger Projecte voll; oft waren es unruhige Kbpfe. die man in Madrid sich vom Halse schassen wollte, und die nun dort 'dre eigne Politik trieben, ohne sich viel an die Weisungen ihres Hofes Zu kehren. Der alte Gouverneur Fuentes, der in dieser Zeit in Mailand saß, ^ar dahin gekommen mit der ausgesprochenen Erklärung, er wünsche sein Leben in Kriegsthaten zu endigen; darauf hin forcirte er nnn alle Verhältnisse. Man weiß, wie grade im Gegentheil die Politik von Madrid, unter der Zeitung des Herzogs von Lerma. damals aus die Erhaltung des Friedens um jeden Preis ausging. Indeß ließ man den Alten gewähren. Wol war nun da das Veltlin ein recht geeigneter Anlaß. Der alte An¬ spruch Mailands auf das wichtige Thal war nie ganz aus den Augen gelassen worden; nur galt es gegen so gefährliche Feinde wie die Bündner vorsichtig in verfahren; jetzt kam der religiöse Zwiespalt dem politischen Interesse zu Hilfe, und wo sich diese zwei vereinigten, da gab es natürlich ein ganz be¬ sonders qualistcirtes Object für die spanisch-habsburgische Politik jener Zeit. In Graubündten selbst bekämpften sich eine katholische und eine reformirte Partei. An der Spitze der Katholiken, welche in der Verbindung mit Spa¬ ren ihr Heil suchten, stand die Familie der Planta; die andern lehnten sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/101>, abgerufen am 31.05.2024.