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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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denken; völlig wehrlos waren sie der Wuth eines Volkes Preis gegeben, wel¬
ches in ihnen die Andersgläubigen und die Unterdrücker haßte.

Wir wollen uns nicht in einer Schilderung der nun folgenden Mord¬
scenen ergehen; sie wiederholten sich hier in derselben Weise, wie die Welt
sie vorher und nachher gesehen hat, wenn in der Entfesselung aller wildesten
Leidenschaften die Bestialität der Menschennatur in erschreckender Mächtigkeit
ihre Bande durchbricht. Von Tirano aus zogen mörderische Rotten weiter,
durch das ganze Land die Kunde von der befreienden That zu tragen und
zur Nachahmung aufzufordern; hier und da loderte ein Dorf auf als Frcudcn-
fackel, und auf aller Lippen schwebte wie zur Heiligung der Schandthat der
Name des vor zwei Jahren in Thusis von den Reformirten ermordeten Prie¬
ster Nicolo Rusca. In den folgenden Tagen wiederholten sich die Blutscenen
in den Hauptorten des Thales, in Sondrio, Ponte, Morbegno u. a. Auf¬
fallenderweise scheinen die Graubündtner grade keinerlei militärische Besatzung
daselbst gehabt zu haben; ein wirklicher Widerstand ward fast nirgend'gelei¬
stet, die bündnerischen Beamten, verhaßt und wehrlos, wurden theils ermor¬
det, theils gelang es ihnen zu fliehen; nur der Gouverneur von Sondrio,
der erste Beamte des Thales, der sich durch Milde einen guten Namen ge¬
macht, ward nebst seiner Familie ungekränkt in die Heimath entlassen. So
wurden im Lauf weniger Tage ungefähr 600 Menschen, zum Theil auf die
entsetzlichste Weise ermordet, und die gutkatholische Welt jubelte lobpreisend
über eine That, die sich nur der Dimension nach von der Scheußlichkeit der
pariser Bartholomäusnacht unterschied. Man verglich damals diese Mörder
mit den Makkabäern, pries das Gelingen der That als unmittelbare Folge
göttlichen Wohlgefallens und Beistandes, Papst Gregor der Fünfzehnte be¬
lobte die Veltliner in einem eignen Breve, worin er ihnen den Beistand des
Himmels als Lohn für ihre Frömmigkeit und Tapferkeit verhieß. Das "hei¬
lige Blutbad" lMcro maeellv) war der Name, den man der mehr blutigen
als heiligen That beilegte.

Der katholische Cult ward nun an allen Orten hergestellt, der Gregoria¬
nische Kalender, das tridentiner Concil angenommen, die Ketzerinquisition ein¬
geführt, alle Verbannten, namentlich zahlreiche Priester ins Land zurückgerufen.
In der That war man jetzt fürs erste frei; die Unabhängigkeit des Veltlin
ward in feierlicher Versammlung ausgesprochen, und Jakob Robustelli zum
Generalgouvemeur ernannt; an alle katholische Höfe ließ man Rechtfertigungs¬
schreiben ergehen, um sich erforderlichen Falles dort Hilfe und Vermittlung
zu sichern; einstweilen traf man selbst die eiligsten Vorkehrungen gegen die
nächste Gefahr, die ja von den schwer verletzten Graubündtnern nicht ausblei¬
ben konnte. Schwerlich ahnten die Führer schon jetzt, welche Reihe verhäng-
nißvoller Entwicklungen sie über ihr Vaterland heraufbeschworen; das Veltlin


denken; völlig wehrlos waren sie der Wuth eines Volkes Preis gegeben, wel¬
ches in ihnen die Andersgläubigen und die Unterdrücker haßte.

Wir wollen uns nicht in einer Schilderung der nun folgenden Mord¬
scenen ergehen; sie wiederholten sich hier in derselben Weise, wie die Welt
sie vorher und nachher gesehen hat, wenn in der Entfesselung aller wildesten
Leidenschaften die Bestialität der Menschennatur in erschreckender Mächtigkeit
ihre Bande durchbricht. Von Tirano aus zogen mörderische Rotten weiter,
durch das ganze Land die Kunde von der befreienden That zu tragen und
zur Nachahmung aufzufordern; hier und da loderte ein Dorf auf als Frcudcn-
fackel, und auf aller Lippen schwebte wie zur Heiligung der Schandthat der
Name des vor zwei Jahren in Thusis von den Reformirten ermordeten Prie¬
ster Nicolo Rusca. In den folgenden Tagen wiederholten sich die Blutscenen
in den Hauptorten des Thales, in Sondrio, Ponte, Morbegno u. a. Auf¬
fallenderweise scheinen die Graubündtner grade keinerlei militärische Besatzung
daselbst gehabt zu haben; ein wirklicher Widerstand ward fast nirgend'gelei¬
stet, die bündnerischen Beamten, verhaßt und wehrlos, wurden theils ermor¬
det, theils gelang es ihnen zu fliehen; nur der Gouverneur von Sondrio,
der erste Beamte des Thales, der sich durch Milde einen guten Namen ge¬
macht, ward nebst seiner Familie ungekränkt in die Heimath entlassen. So
wurden im Lauf weniger Tage ungefähr 600 Menschen, zum Theil auf die
entsetzlichste Weise ermordet, und die gutkatholische Welt jubelte lobpreisend
über eine That, die sich nur der Dimension nach von der Scheußlichkeit der
pariser Bartholomäusnacht unterschied. Man verglich damals diese Mörder
mit den Makkabäern, pries das Gelingen der That als unmittelbare Folge
göttlichen Wohlgefallens und Beistandes, Papst Gregor der Fünfzehnte be¬
lobte die Veltliner in einem eignen Breve, worin er ihnen den Beistand des
Himmels als Lohn für ihre Frömmigkeit und Tapferkeit verhieß. Das „hei¬
lige Blutbad" lMcro maeellv) war der Name, den man der mehr blutigen
als heiligen That beilegte.

Der katholische Cult ward nun an allen Orten hergestellt, der Gregoria¬
nische Kalender, das tridentiner Concil angenommen, die Ketzerinquisition ein¬
geführt, alle Verbannten, namentlich zahlreiche Priester ins Land zurückgerufen.
In der That war man jetzt fürs erste frei; die Unabhängigkeit des Veltlin
ward in feierlicher Versammlung ausgesprochen, und Jakob Robustelli zum
Generalgouvemeur ernannt; an alle katholische Höfe ließ man Rechtfertigungs¬
schreiben ergehen, um sich erforderlichen Falles dort Hilfe und Vermittlung
zu sichern; einstweilen traf man selbst die eiligsten Vorkehrungen gegen die
nächste Gefahr, die ja von den schwer verletzten Graubündtnern nicht ausblei¬
ben konnte. Schwerlich ahnten die Führer schon jetzt, welche Reihe verhäng-
nißvoller Entwicklungen sie über ihr Vaterland heraufbeschworen; das Veltlin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/104>, abgerufen am 31.05.2024.