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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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dig ließ die Graubündtner durch seinen Gesandten unablässig anfeuern, das
Veltlin nicht so leichten Kaufes aufzugeben; Geld und Truppen wurden ihnen
zur Verfügung gestellt; die Niederländer schickten große Summen; England
warb in Venedig zur Bildung einer antispanischen Ligue. Besonders thätig
zeigte sich Savoyen. welches in Verbindung mit Frankreich sich schon in den
kühnsten Plänen erging; an der savoyischen Grenze stand ein französisches Heer
unter dem Marschall Lesdiguieres. Man ließ von Turin aus in Venedig
P'adezu den Vorschlag machen, von beiden Seiten her ins Mailändische ein¬
zurücken und den Spaniern mit Gewalt das Veltlin zu entreißen; auch Les-
diguiöres sandte ahnliche Propositionen an den Senat; doch wies man sie dort
fürs erste zurück (April 1622); Vorsicht galt damals in Venedig über alles.

Mittlerweile hatten aber die Angelegenheiten in Graubündten selbst eine
Wendung genommen, welche dieses Land wenig befähigte, seinen Ansprüchen
Nachdruck zu geben. Der alte nimmer ruhende Streit zwischen Protestanten
und Katholiken innerhalb der drei Bünde war wieder einmal zu hellen Flam¬
men ausgebrochen; jetzt riefen die verbannten Katholiken, die Planta um der
Spitze, selber die Feinde ins Land; durch das Engadin drangen östreichische
^nippen ein, und mit ihrer Hilfe gewannen die Katholiken wieder für einige
Zeit die Oberhand. Unter dem Einfluß dieser Ereignisse war es. daß (Jan.
1622) ein Bündniß zwischen Graubündten und Spanien zu Stande kam, wo-
Un natürlich vor allem den spanischen Truppen für immer freier Durchzug
stipulirt ward; im Uebrigen sollte das Veltlin frei, aber den Bündnern zur
Zahlung eines Tributes verpflichtet sein; als einzige Religion solle darin die
katholische geduldet werden.

Nun folgte doch ein energisches Auftreten von der andern Seite. Das
Bündniß zwischen Frankreich,,Savoyen And Venedig kam zum großen Mi߬
vergnügen des spanischen Hofes endlich zu Stande. Ein französischer Gesandter
forderte in Madrid dringend die Rückgabe des Veltlin an die Graubündtner;
uach manchem andern gerieth man auf das eigenthümlich unglückliche Aus¬
kunftsmittel, das Object des Streites bis zu einstiger Entscheidung einem neu¬
tralen Fürsten, dem Papste, zu übergeben. So wechselte das Thal von neuem
Herrn; im Mai 1623 zog ein Nepot Papst Gregors des Fünfzehnten ein
und besetzte die festen Plätze des Veltlin. Man war nahe daran, die Ge¬
schichte von den zwei streitenden Handw'crksburschcn aufzuführen.

Und wenn es hiermit zu Ende gewesen wäre. Das Jahr 1624, charak-
t"isirt durch den Eintritt Richelieus als Leiter der französischen Politik, sam¬
melte von allen Seiten die Gegner des Hauses Habsburg zu kräftiger Gegen¬
wehr gegen dessen wachsende Gewalt. In Italien war die SicherMlung
Veltlin vor den Gelüsten Spaniens zunächst die Hauptsache. Der Nach¬
folger. Gregors Papst Urban der Achte stand auf Seiten der europäischen


dig ließ die Graubündtner durch seinen Gesandten unablässig anfeuern, das
Veltlin nicht so leichten Kaufes aufzugeben; Geld und Truppen wurden ihnen
zur Verfügung gestellt; die Niederländer schickten große Summen; England
warb in Venedig zur Bildung einer antispanischen Ligue. Besonders thätig
zeigte sich Savoyen. welches in Verbindung mit Frankreich sich schon in den
kühnsten Plänen erging; an der savoyischen Grenze stand ein französisches Heer
unter dem Marschall Lesdiguieres. Man ließ von Turin aus in Venedig
P'adezu den Vorschlag machen, von beiden Seiten her ins Mailändische ein¬
zurücken und den Spaniern mit Gewalt das Veltlin zu entreißen; auch Les-
diguiöres sandte ahnliche Propositionen an den Senat; doch wies man sie dort
fürs erste zurück (April 1622); Vorsicht galt damals in Venedig über alles.

Mittlerweile hatten aber die Angelegenheiten in Graubündten selbst eine
Wendung genommen, welche dieses Land wenig befähigte, seinen Ansprüchen
Nachdruck zu geben. Der alte nimmer ruhende Streit zwischen Protestanten
und Katholiken innerhalb der drei Bünde war wieder einmal zu hellen Flam¬
men ausgebrochen; jetzt riefen die verbannten Katholiken, die Planta um der
Spitze, selber die Feinde ins Land; durch das Engadin drangen östreichische
^nippen ein, und mit ihrer Hilfe gewannen die Katholiken wieder für einige
Zeit die Oberhand. Unter dem Einfluß dieser Ereignisse war es. daß (Jan.
1622) ein Bündniß zwischen Graubündten und Spanien zu Stande kam, wo-
Un natürlich vor allem den spanischen Truppen für immer freier Durchzug
stipulirt ward; im Uebrigen sollte das Veltlin frei, aber den Bündnern zur
Zahlung eines Tributes verpflichtet sein; als einzige Religion solle darin die
katholische geduldet werden.

Nun folgte doch ein energisches Auftreten von der andern Seite. Das
Bündniß zwischen Frankreich,,Savoyen And Venedig kam zum großen Mi߬
vergnügen des spanischen Hofes endlich zu Stande. Ein französischer Gesandter
forderte in Madrid dringend die Rückgabe des Veltlin an die Graubündtner;
uach manchem andern gerieth man auf das eigenthümlich unglückliche Aus¬
kunftsmittel, das Object des Streites bis zu einstiger Entscheidung einem neu¬
tralen Fürsten, dem Papste, zu übergeben. So wechselte das Thal von neuem
Herrn; im Mai 1623 zog ein Nepot Papst Gregors des Fünfzehnten ein
und besetzte die festen Plätze des Veltlin. Man war nahe daran, die Ge¬
schichte von den zwei streitenden Handw'crksburschcn aufzuführen.

Und wenn es hiermit zu Ende gewesen wäre. Das Jahr 1624, charak-
t"isirt durch den Eintritt Richelieus als Leiter der französischen Politik, sam¬
melte von allen Seiten die Gegner des Hauses Habsburg zu kräftiger Gegen¬
wehr gegen dessen wachsende Gewalt. In Italien war die SicherMlung
Veltlin vor den Gelüsten Spaniens zunächst die Hauptsache. Der Nach¬
folger. Gregors Papst Urban der Achte stand auf Seiten der europäischen


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[0107] dig ließ die Graubündtner durch seinen Gesandten unablässig anfeuern, das Veltlin nicht so leichten Kaufes aufzugeben; Geld und Truppen wurden ihnen zur Verfügung gestellt; die Niederländer schickten große Summen; England warb in Venedig zur Bildung einer antispanischen Ligue. Besonders thätig zeigte sich Savoyen. welches in Verbindung mit Frankreich sich schon in den kühnsten Plänen erging; an der savoyischen Grenze stand ein französisches Heer unter dem Marschall Lesdiguieres. Man ließ von Turin aus in Venedig P'adezu den Vorschlag machen, von beiden Seiten her ins Mailändische ein¬ zurücken und den Spaniern mit Gewalt das Veltlin zu entreißen; auch Les- diguiöres sandte ahnliche Propositionen an den Senat; doch wies man sie dort fürs erste zurück (April 1622); Vorsicht galt damals in Venedig über alles. Mittlerweile hatten aber die Angelegenheiten in Graubündten selbst eine Wendung genommen, welche dieses Land wenig befähigte, seinen Ansprüchen Nachdruck zu geben. Der alte nimmer ruhende Streit zwischen Protestanten und Katholiken innerhalb der drei Bünde war wieder einmal zu hellen Flam¬ men ausgebrochen; jetzt riefen die verbannten Katholiken, die Planta um der Spitze, selber die Feinde ins Land; durch das Engadin drangen östreichische ^nippen ein, und mit ihrer Hilfe gewannen die Katholiken wieder für einige Zeit die Oberhand. Unter dem Einfluß dieser Ereignisse war es. daß (Jan. 1622) ein Bündniß zwischen Graubündten und Spanien zu Stande kam, wo- Un natürlich vor allem den spanischen Truppen für immer freier Durchzug stipulirt ward; im Uebrigen sollte das Veltlin frei, aber den Bündnern zur Zahlung eines Tributes verpflichtet sein; als einzige Religion solle darin die katholische geduldet werden. Nun folgte doch ein energisches Auftreten von der andern Seite. Das Bündniß zwischen Frankreich,,Savoyen And Venedig kam zum großen Mi߬ vergnügen des spanischen Hofes endlich zu Stande. Ein französischer Gesandter forderte in Madrid dringend die Rückgabe des Veltlin an die Graubündtner; uach manchem andern gerieth man auf das eigenthümlich unglückliche Aus¬ kunftsmittel, das Object des Streites bis zu einstiger Entscheidung einem neu¬ tralen Fürsten, dem Papste, zu übergeben. So wechselte das Thal von neuem Herrn; im Mai 1623 zog ein Nepot Papst Gregors des Fünfzehnten ein und besetzte die festen Plätze des Veltlin. Man war nahe daran, die Ge¬ schichte von den zwei streitenden Handw'crksburschcn aufzuführen. Und wenn es hiermit zu Ende gewesen wäre. Das Jahr 1624, charak- t"isirt durch den Eintritt Richelieus als Leiter der französischen Politik, sam¬ melte von allen Seiten die Gegner des Hauses Habsburg zu kräftiger Gegen¬ wehr gegen dessen wachsende Gewalt. In Italien war die SicherMlung Veltlin vor den Gelüsten Spaniens zunächst die Hauptsache. Der Nach¬ folger. Gregors Papst Urban der Achte stand auf Seiten der europäischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/107>, abgerufen am 30.05.2024.