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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Theilnahme beanspruchen und uns veranlassen können, den Gängen dessen,
der diese Züge sammelte, nachzugehen. Der Verfasser bespricht nach einigen
Worten über die landschaftliche Gestalt des Erzgebirges zunächst die Lebens¬
weise des Erzgebirgers, gibt dann einen Abriß der Eulturgeschichte des von
ihm ins Auge gefaßten Gebiets, dann eine Charakteristik der Bewohner des¬
selben. Hierauf folgen Capitel über Bergbau und Bergleute, über verschie¬
dene Industriezweige, über Zwickau. die Kohlenstadt, und über Chemnitz,
das deutsche Manchester. Für Leser, welche das Gebirg selbst zu besuchen
wünschen, ist zum Schluß ein Wegweiser angefügt, der auf die wichtigsten
Punkte aufmerksam macht.

Es sei uns gestattet, die interessantesten Capitel in ausführlicheren Aus-
Zügen mitzutheilen und dadurch zugleich auf ein Talent aufmerksam zu machen,
von dem man wünschen muß, es möge ihm erlaubt sein, uns bald in ähn¬
licher Weise über andere weniger bekannte Gegenden des Vaterlandes zu be¬
richten. Das malerische und romantische Deutschland ist nachgrade genug
und übergenug abkonterfeit worden. Auch die nichtmalerischen und nichtroman¬
tischen Striche Deutschlands, die oft weit wichtiger sind als jene vielbcschrie-
benen. fordern Schilderungen, die allen lesbar sind.

Das Erzgebirge zählt zu den am dichtesten bevölkerten Gegenden Deutsch¬
lands. Wo irgend der Pflug gehen kann, ist der Wald verschwunden. Ueber-
tlll. in den Windungen der Thäler, wie aus den kahlen rauhen Höhen werden
Zahllose graue Schindeldächer sichtbar. Man staunt, wenn man in den stun¬
denlangen Dörfern die Jugend aus der Thür der Schule hervorströmen sieht.
Das ganze Gebirg erscheint wie ein wimmelnder Ameisenhaufen. Daß nur
ein kleiner Theil der Bevölkerung vom Ackerbau lebe, lehrt schon ein Blick
auf die Wohnungen. Bauernhöfe mit Stall und Scheune, mit den vor dem
Hause aufgeschichteten Düngerhaufen sind im eigentlichen Gebirge eine Selten¬
heit. Die Dörfer bilden fast nie Gassen, sondern ihre Häuser und Hütten
stehen zerstreut oder in kleine Gruppen vertheilt. Die Wände der Häuser sind
weiß getüncht, das Balkenwerk dazwischen grau oder schwarz angestrichen, die
Dächer in der Regel mit Schindeln gedeckt. Schnitzwerk. Wandmalerei oder
Inschriften sucht man vergeblich. Wo sich ein Gärtchen am Hause findet,
enthält es fast nur Kartoffeln, niemals eine Blume oder einen Zierstrauch.
Sehr oft ragen auf den Dächern Blitzableiter empor. Im Innern der Häuser
bewohnen -- ein Zeichen der Sanftmut!) und Verträglichkeit des Volkes --
sehr häusig mehre Familien eine Stube. In den meisten dieser Gemächer
herrscht Ordnung und Reinlichkeit, in vielen begegnet man an der Spiegel¬
wand einigen Bildern oder frommen Sprüchen unter Glas und Rahmen, in
fast allen einigen Blumen, einem Muskat- oder Basilicumstöckchen, und wie
^uf andern mitteldeutschen Gebirgen herrscht auch hier die Liebhaberei für


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Theilnahme beanspruchen und uns veranlassen können, den Gängen dessen,
der diese Züge sammelte, nachzugehen. Der Verfasser bespricht nach einigen
Worten über die landschaftliche Gestalt des Erzgebirges zunächst die Lebens¬
weise des Erzgebirgers, gibt dann einen Abriß der Eulturgeschichte des von
ihm ins Auge gefaßten Gebiets, dann eine Charakteristik der Bewohner des¬
selben. Hierauf folgen Capitel über Bergbau und Bergleute, über verschie¬
dene Industriezweige, über Zwickau. die Kohlenstadt, und über Chemnitz,
das deutsche Manchester. Für Leser, welche das Gebirg selbst zu besuchen
wünschen, ist zum Schluß ein Wegweiser angefügt, der auf die wichtigsten
Punkte aufmerksam macht.

Es sei uns gestattet, die interessantesten Capitel in ausführlicheren Aus-
Zügen mitzutheilen und dadurch zugleich auf ein Talent aufmerksam zu machen,
von dem man wünschen muß, es möge ihm erlaubt sein, uns bald in ähn¬
licher Weise über andere weniger bekannte Gegenden des Vaterlandes zu be¬
richten. Das malerische und romantische Deutschland ist nachgrade genug
und übergenug abkonterfeit worden. Auch die nichtmalerischen und nichtroman¬
tischen Striche Deutschlands, die oft weit wichtiger sind als jene vielbcschrie-
benen. fordern Schilderungen, die allen lesbar sind.

Das Erzgebirge zählt zu den am dichtesten bevölkerten Gegenden Deutsch¬
lands. Wo irgend der Pflug gehen kann, ist der Wald verschwunden. Ueber-
tlll. in den Windungen der Thäler, wie aus den kahlen rauhen Höhen werden
Zahllose graue Schindeldächer sichtbar. Man staunt, wenn man in den stun¬
denlangen Dörfern die Jugend aus der Thür der Schule hervorströmen sieht.
Das ganze Gebirg erscheint wie ein wimmelnder Ameisenhaufen. Daß nur
ein kleiner Theil der Bevölkerung vom Ackerbau lebe, lehrt schon ein Blick
auf die Wohnungen. Bauernhöfe mit Stall und Scheune, mit den vor dem
Hause aufgeschichteten Düngerhaufen sind im eigentlichen Gebirge eine Selten¬
heit. Die Dörfer bilden fast nie Gassen, sondern ihre Häuser und Hütten
stehen zerstreut oder in kleine Gruppen vertheilt. Die Wände der Häuser sind
weiß getüncht, das Balkenwerk dazwischen grau oder schwarz angestrichen, die
Dächer in der Regel mit Schindeln gedeckt. Schnitzwerk. Wandmalerei oder
Inschriften sucht man vergeblich. Wo sich ein Gärtchen am Hause findet,
enthält es fast nur Kartoffeln, niemals eine Blume oder einen Zierstrauch.
Sehr oft ragen auf den Dächern Blitzableiter empor. Im Innern der Häuser
bewohnen — ein Zeichen der Sanftmut!) und Verträglichkeit des Volkes —
sehr häusig mehre Familien eine Stube. In den meisten dieser Gemächer
herrscht Ordnung und Reinlichkeit, in vielen begegnet man an der Spiegel¬
wand einigen Bildern oder frommen Sprüchen unter Glas und Rahmen, in
fast allen einigen Blumen, einem Muskat- oder Basilicumstöckchen, und wie
^uf andern mitteldeutschen Gebirgen herrscht auch hier die Liebhaberei für


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[0113] Theilnahme beanspruchen und uns veranlassen können, den Gängen dessen, der diese Züge sammelte, nachzugehen. Der Verfasser bespricht nach einigen Worten über die landschaftliche Gestalt des Erzgebirges zunächst die Lebens¬ weise des Erzgebirgers, gibt dann einen Abriß der Eulturgeschichte des von ihm ins Auge gefaßten Gebiets, dann eine Charakteristik der Bewohner des¬ selben. Hierauf folgen Capitel über Bergbau und Bergleute, über verschie¬ dene Industriezweige, über Zwickau. die Kohlenstadt, und über Chemnitz, das deutsche Manchester. Für Leser, welche das Gebirg selbst zu besuchen wünschen, ist zum Schluß ein Wegweiser angefügt, der auf die wichtigsten Punkte aufmerksam macht. Es sei uns gestattet, die interessantesten Capitel in ausführlicheren Aus- Zügen mitzutheilen und dadurch zugleich auf ein Talent aufmerksam zu machen, von dem man wünschen muß, es möge ihm erlaubt sein, uns bald in ähn¬ licher Weise über andere weniger bekannte Gegenden des Vaterlandes zu be¬ richten. Das malerische und romantische Deutschland ist nachgrade genug und übergenug abkonterfeit worden. Auch die nichtmalerischen und nichtroman¬ tischen Striche Deutschlands, die oft weit wichtiger sind als jene vielbcschrie- benen. fordern Schilderungen, die allen lesbar sind. Das Erzgebirge zählt zu den am dichtesten bevölkerten Gegenden Deutsch¬ lands. Wo irgend der Pflug gehen kann, ist der Wald verschwunden. Ueber- tlll. in den Windungen der Thäler, wie aus den kahlen rauhen Höhen werden Zahllose graue Schindeldächer sichtbar. Man staunt, wenn man in den stun¬ denlangen Dörfern die Jugend aus der Thür der Schule hervorströmen sieht. Das ganze Gebirg erscheint wie ein wimmelnder Ameisenhaufen. Daß nur ein kleiner Theil der Bevölkerung vom Ackerbau lebe, lehrt schon ein Blick auf die Wohnungen. Bauernhöfe mit Stall und Scheune, mit den vor dem Hause aufgeschichteten Düngerhaufen sind im eigentlichen Gebirge eine Selten¬ heit. Die Dörfer bilden fast nie Gassen, sondern ihre Häuser und Hütten stehen zerstreut oder in kleine Gruppen vertheilt. Die Wände der Häuser sind weiß getüncht, das Balkenwerk dazwischen grau oder schwarz angestrichen, die Dächer in der Regel mit Schindeln gedeckt. Schnitzwerk. Wandmalerei oder Inschriften sucht man vergeblich. Wo sich ein Gärtchen am Hause findet, enthält es fast nur Kartoffeln, niemals eine Blume oder einen Zierstrauch. Sehr oft ragen auf den Dächern Blitzableiter empor. Im Innern der Häuser bewohnen — ein Zeichen der Sanftmut!) und Verträglichkeit des Volkes — sehr häusig mehre Familien eine Stube. In den meisten dieser Gemächer herrscht Ordnung und Reinlichkeit, in vielen begegnet man an der Spiegel¬ wand einigen Bildern oder frommen Sprüchen unter Glas und Rahmen, in fast allen einigen Blumen, einem Muskat- oder Basilicumstöckchen, und wie ^uf andern mitteldeutschen Gebirgen herrscht auch hier die Liebhaberei für 13*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/113>, abgerufen am 30.05.2024.