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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Mittelalter, während der Kindheit der gewerblichen Entwicklung, überall in
der germanischen Welt das Handwerk, und mit ihm jede Art der damals
bekannten Industrie, durch hörige Leute der großen Grund- und Feudal¬
herren geübt, welche diesen letzteren, um deren Burgen angesiedelt und in
gewisse Innungen, je nach den Arbeitsbranchen einrangirt, zu Zins und Frohn
verpflichtet waren und unter dem Schutz- und Gerichtsbann, wie unter der
Mundschaft der Herren standen, indem ihnen die rechtliche Persönlichkeit,
wie das Wasserrande fehlten, beides ausschließliche Vorrechte der Freien. Nach'
dem unter den furchtbaren innern Kämpfen während der Herrschaft der letzten
Karolinger die Gemeinfrciheit und darin begründete Gauverfassung -- ur¬
sprünglich Regel bei allen deutschen Stämmen -- immer mehr in Verfall
rathen und eine Menge Freier, theils durch Vergewaltigung, theils aus Furcht
davor, zu hörigen Leuten herabgesunken waren, erhob sich erst durch das Auf¬
kommen der Städte unter den sächsischen Kaisern allmälig ein Gegengewicht
gegen diesen Druck. Um die Königspsalzcn und Bischofssitze, doch stets "ur
mit des Königs Gestaltung, entstanden befestigte Orte, wo, außer den Ho'
rigen, auch persönlich freie, selbst edle Dicnstmnnnen (Ministerialen), nur z"
Zins und Dienst von Grund und Boden verpflichtet, siedelten, und im Weich'
bildsrccht geordnetere Zustände aus Grund und Boden des Stadtherrn und
unter dem Regiment von dessen Voigt genossen. Während der Kämpfe des
ftänkisch-salischen Kaiserhauses bildete sich das bloße schutzherrliche Wcichbilds-
rccht, da man der Ortseingesessenen mehr und mehr zu gewaffneter Abwehr
und Kriegsdiensten bedürfte, anfänglich einzeln und dann immer allgemeiner,
zum eigentlichen Stadtrecht, d. h. zu einer wirklichen Gemeindeverfassung mit
Selbstverwaltung und Selbstregierung aus. wobei namentlich die edlen Dienst"
mannen, als vorzugsweise zu Kncgslcistungen verpflichtet, und die persönlich
Freien, in den vornehmen Gilden der Kaufleute, Goldschmiede (Münzer) und
Wollenweber, ein Patriciat und Altbürgcrthum begründeten, mit dem aus¬
schließlichen Vollrccht in der Gemeinde, welches von den grundherrlichen Rech'
den des Stadtherrn im Wege des Ablaufs oder der Usurpation, wol auch
durch königliche Gunst und Privilegium, eines nach dem andern an sich
bringen suchte. Obschon von dem eigentlichen Bürgerrecht ausgeschlossen, pro'
sitirtcn doch auch die hörigen Handwerker von diesen Kämpfen um das Stadt¬
regiment, da die Geschlechter, um der Macht des Grundherrn gewachsen zu
sein, sich auf sie stützen mußten, und die eigentliche Hörigkeit, Vie persönliche
Unfreiheit und Rechtlosigkeit verschwand immer mehr, bei Leuten, denen man
die Waffenführung nicht länger versagen konnte. Bald, sing es auch unter
ihnen sich zu rühren an, da mit der bessern rechtlichen Stellung und dem
steigenden Wohlstand das Beispiel der vornehmeren Stadtgenossen nicht ohne
Eindruck auf sie bleiben konnte, und die alten hofrechtlichen Innungen,


Mittelalter, während der Kindheit der gewerblichen Entwicklung, überall in
der germanischen Welt das Handwerk, und mit ihm jede Art der damals
bekannten Industrie, durch hörige Leute der großen Grund- und Feudal¬
herren geübt, welche diesen letzteren, um deren Burgen angesiedelt und in
gewisse Innungen, je nach den Arbeitsbranchen einrangirt, zu Zins und Frohn
verpflichtet waren und unter dem Schutz- und Gerichtsbann, wie unter der
Mundschaft der Herren standen, indem ihnen die rechtliche Persönlichkeit,
wie das Wasserrande fehlten, beides ausschließliche Vorrechte der Freien. Nach'
dem unter den furchtbaren innern Kämpfen während der Herrschaft der letzten
Karolinger die Gemeinfrciheit und darin begründete Gauverfassung — ur¬
sprünglich Regel bei allen deutschen Stämmen — immer mehr in Verfall
rathen und eine Menge Freier, theils durch Vergewaltigung, theils aus Furcht
davor, zu hörigen Leuten herabgesunken waren, erhob sich erst durch das Auf¬
kommen der Städte unter den sächsischen Kaisern allmälig ein Gegengewicht
gegen diesen Druck. Um die Königspsalzcn und Bischofssitze, doch stets »ur
mit des Königs Gestaltung, entstanden befestigte Orte, wo, außer den Ho'
rigen, auch persönlich freie, selbst edle Dicnstmnnnen (Ministerialen), nur z»
Zins und Dienst von Grund und Boden verpflichtet, siedelten, und im Weich'
bildsrccht geordnetere Zustände aus Grund und Boden des Stadtherrn und
unter dem Regiment von dessen Voigt genossen. Während der Kämpfe des
ftänkisch-salischen Kaiserhauses bildete sich das bloße schutzherrliche Wcichbilds-
rccht, da man der Ortseingesessenen mehr und mehr zu gewaffneter Abwehr
und Kriegsdiensten bedürfte, anfänglich einzeln und dann immer allgemeiner,
zum eigentlichen Stadtrecht, d. h. zu einer wirklichen Gemeindeverfassung mit
Selbstverwaltung und Selbstregierung aus. wobei namentlich die edlen Dienst"
mannen, als vorzugsweise zu Kncgslcistungen verpflichtet, und die persönlich
Freien, in den vornehmen Gilden der Kaufleute, Goldschmiede (Münzer) und
Wollenweber, ein Patriciat und Altbürgcrthum begründeten, mit dem aus¬
schließlichen Vollrccht in der Gemeinde, welches von den grundherrlichen Rech'
den des Stadtherrn im Wege des Ablaufs oder der Usurpation, wol auch
durch königliche Gunst und Privilegium, eines nach dem andern an sich
bringen suchte. Obschon von dem eigentlichen Bürgerrecht ausgeschlossen, pro'
sitirtcn doch auch die hörigen Handwerker von diesen Kämpfen um das Stadt¬
regiment, da die Geschlechter, um der Macht des Grundherrn gewachsen zu
sein, sich auf sie stützen mußten, und die eigentliche Hörigkeit, Vie persönliche
Unfreiheit und Rechtlosigkeit verschwand immer mehr, bei Leuten, denen man
die Waffenführung nicht länger versagen konnte. Bald, sing es auch unter
ihnen sich zu rühren an, da mit der bessern rechtlichen Stellung und dem
steigenden Wohlstand das Beispiel der vornehmeren Stadtgenossen nicht ohne
Eindruck auf sie bleiben konnte, und die alten hofrechtlichen Innungen,


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[0176] Mittelalter, während der Kindheit der gewerblichen Entwicklung, überall in der germanischen Welt das Handwerk, und mit ihm jede Art der damals bekannten Industrie, durch hörige Leute der großen Grund- und Feudal¬ herren geübt, welche diesen letzteren, um deren Burgen angesiedelt und in gewisse Innungen, je nach den Arbeitsbranchen einrangirt, zu Zins und Frohn verpflichtet waren und unter dem Schutz- und Gerichtsbann, wie unter der Mundschaft der Herren standen, indem ihnen die rechtliche Persönlichkeit, wie das Wasserrande fehlten, beides ausschließliche Vorrechte der Freien. Nach' dem unter den furchtbaren innern Kämpfen während der Herrschaft der letzten Karolinger die Gemeinfrciheit und darin begründete Gauverfassung — ur¬ sprünglich Regel bei allen deutschen Stämmen — immer mehr in Verfall rathen und eine Menge Freier, theils durch Vergewaltigung, theils aus Furcht davor, zu hörigen Leuten herabgesunken waren, erhob sich erst durch das Auf¬ kommen der Städte unter den sächsischen Kaisern allmälig ein Gegengewicht gegen diesen Druck. Um die Königspsalzcn und Bischofssitze, doch stets »ur mit des Königs Gestaltung, entstanden befestigte Orte, wo, außer den Ho' rigen, auch persönlich freie, selbst edle Dicnstmnnnen (Ministerialen), nur z» Zins und Dienst von Grund und Boden verpflichtet, siedelten, und im Weich' bildsrccht geordnetere Zustände aus Grund und Boden des Stadtherrn und unter dem Regiment von dessen Voigt genossen. Während der Kämpfe des ftänkisch-salischen Kaiserhauses bildete sich das bloße schutzherrliche Wcichbilds- rccht, da man der Ortseingesessenen mehr und mehr zu gewaffneter Abwehr und Kriegsdiensten bedürfte, anfänglich einzeln und dann immer allgemeiner, zum eigentlichen Stadtrecht, d. h. zu einer wirklichen Gemeindeverfassung mit Selbstverwaltung und Selbstregierung aus. wobei namentlich die edlen Dienst" mannen, als vorzugsweise zu Kncgslcistungen verpflichtet, und die persönlich Freien, in den vornehmen Gilden der Kaufleute, Goldschmiede (Münzer) und Wollenweber, ein Patriciat und Altbürgcrthum begründeten, mit dem aus¬ schließlichen Vollrccht in der Gemeinde, welches von den grundherrlichen Rech' den des Stadtherrn im Wege des Ablaufs oder der Usurpation, wol auch durch königliche Gunst und Privilegium, eines nach dem andern an sich bringen suchte. Obschon von dem eigentlichen Bürgerrecht ausgeschlossen, pro' sitirtcn doch auch die hörigen Handwerker von diesen Kämpfen um das Stadt¬ regiment, da die Geschlechter, um der Macht des Grundherrn gewachsen zu sein, sich auf sie stützen mußten, und die eigentliche Hörigkeit, Vie persönliche Unfreiheit und Rechtlosigkeit verschwand immer mehr, bei Leuten, denen man die Waffenführung nicht länger versagen konnte. Bald, sing es auch unter ihnen sich zu rühren an, da mit der bessern rechtlichen Stellung und dem steigenden Wohlstand das Beispiel der vornehmeren Stadtgenossen nicht ohne Eindruck auf sie bleiben konnte, und die alten hofrechtlichen Innungen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/176>, abgerufen am 13.05.2024.