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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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dringende Veranlassung eine Ausnahme machte, wie in der Catilinarischen
Verschwörung), geschah dies im Majestätsproceß, und (was früher unerhört
gewesen war) auch Freie wurden als Zeugen wie als Angeklagte der pein¬
lichen Frage unterworfen. Personen, die sonst zur Anklage nicht zugelassen,
wurden, durften sie hier erheben: namentlich Sklaven und Freigelassene gegen
ihre Herrn oder Patrone, obwol einzelne Kaiser diese Bestimmung, deren un¬
heilvolle Folgen sich mit Gewißheit voraussehn ließen, vorübergehend auf¬
gehoben haben. Endlich wurden die Anklüger durch einen Antheil an dem
confiscirten Vermögen der Verurtheilten belohnt. Die auf die schlechtesten
Seiten der menschlichen Natur begründete Rechnung erwies sich nur zu sehr
als richtig.

An die Stelle der frühern Strafe des Majestätsverbrechens, des EM,
trat in der Kaiserzeit in der Mehrzahl der Fälle die Todesstrafe, in der spätern
Zeit für Personen niedern Standes sogar eine geschärfte: sie wurden lebendig
verbrannt oder wilden Thieren vorgeworfen. Die Güter des Verurtheilten
wurden confiscire, seine Schenkungen und Verfügungen waren null, und zwar
von der Zeit an, wo er den Plan zu seinem Verbrechen gefaßt hatte. Bei
höhern Graden des Majestätsverbrechens wurde den Verurtheilten auch das
ehrenvolle Begräbniß abgesprochen und die Trauer der Verwandten um ihn
verboten. Die Strafe konnte sogar auf die Kinder der Verurtheilten aus¬
gedehnt werden, auf die sich die Gesinnungen der Väter möglicherweise ver¬
erbt haben konnten, und die durch Entziehung des Vermögens, durch den
Verlust der bürgerlichen Ehre ebenfalls unschädlich gemacht werden sollten.
In der Republik hatten selbst die Söhne der Vatermörder und Hochverrüther
nicht unter den Verbrechen ihrer Väter gelitten, erst die sultanische Proscription
verfolgte auch die Nachkommen ihrer Opfer. Die Anklage wegen Majestüts-
verbrechens konnte auch nach dem Tode erhoben werden, und die Verurthei-
lung hatte dann Confiscation des Vermögens und Beschimpfung des Gedächt¬
nisses zur Folge.

Der Majestätsproceß im Sinne der Kaiserzeit beginnt erst mit Tiber,
weil erst unter der Regierung des zweiten Cäsars die Monarchie als Verfassung
des römischen Staats auch äußerlich zur thatsächlichen Vollendung gelangte,
ein Proceß, den August mit der freilich durchsichtigen Hülle republikanischer
Formen zu verdecken eifrig bemüht gewesen war. Auch Tiber fand es im Anfang
seiner Regierung noch für nöthig, die Rolle, die sein Vorgänger gespielt hatte,
fortzuspielen, wozu ihm freilich dessen Anmuth und Gewandtheit ganz abging.
Die tastende Behutsamkeit seiner Schritte, das scheinbare Schwanken, die
Zweideutigkeit seiner Worte, das Zögern in seinen Handlungen, alles das
war nicht blos in seinem Wesen begründet, es war auch (oder schien ihm
wenigstens) durch die Eigenthümlichkeit seiner Lage geboten. In diesem Sinn


dringende Veranlassung eine Ausnahme machte, wie in der Catilinarischen
Verschwörung), geschah dies im Majestätsproceß, und (was früher unerhört
gewesen war) auch Freie wurden als Zeugen wie als Angeklagte der pein¬
lichen Frage unterworfen. Personen, die sonst zur Anklage nicht zugelassen,
wurden, durften sie hier erheben: namentlich Sklaven und Freigelassene gegen
ihre Herrn oder Patrone, obwol einzelne Kaiser diese Bestimmung, deren un¬
heilvolle Folgen sich mit Gewißheit voraussehn ließen, vorübergehend auf¬
gehoben haben. Endlich wurden die Anklüger durch einen Antheil an dem
confiscirten Vermögen der Verurtheilten belohnt. Die auf die schlechtesten
Seiten der menschlichen Natur begründete Rechnung erwies sich nur zu sehr
als richtig.

An die Stelle der frühern Strafe des Majestätsverbrechens, des EM,
trat in der Kaiserzeit in der Mehrzahl der Fälle die Todesstrafe, in der spätern
Zeit für Personen niedern Standes sogar eine geschärfte: sie wurden lebendig
verbrannt oder wilden Thieren vorgeworfen. Die Güter des Verurtheilten
wurden confiscire, seine Schenkungen und Verfügungen waren null, und zwar
von der Zeit an, wo er den Plan zu seinem Verbrechen gefaßt hatte. Bei
höhern Graden des Majestätsverbrechens wurde den Verurtheilten auch das
ehrenvolle Begräbniß abgesprochen und die Trauer der Verwandten um ihn
verboten. Die Strafe konnte sogar auf die Kinder der Verurtheilten aus¬
gedehnt werden, auf die sich die Gesinnungen der Väter möglicherweise ver¬
erbt haben konnten, und die durch Entziehung des Vermögens, durch den
Verlust der bürgerlichen Ehre ebenfalls unschädlich gemacht werden sollten.
In der Republik hatten selbst die Söhne der Vatermörder und Hochverrüther
nicht unter den Verbrechen ihrer Väter gelitten, erst die sultanische Proscription
verfolgte auch die Nachkommen ihrer Opfer. Die Anklage wegen Majestüts-
verbrechens konnte auch nach dem Tode erhoben werden, und die Verurthei-
lung hatte dann Confiscation des Vermögens und Beschimpfung des Gedächt¬
nisses zur Folge.

Der Majestätsproceß im Sinne der Kaiserzeit beginnt erst mit Tiber,
weil erst unter der Regierung des zweiten Cäsars die Monarchie als Verfassung
des römischen Staats auch äußerlich zur thatsächlichen Vollendung gelangte,
ein Proceß, den August mit der freilich durchsichtigen Hülle republikanischer
Formen zu verdecken eifrig bemüht gewesen war. Auch Tiber fand es im Anfang
seiner Regierung noch für nöthig, die Rolle, die sein Vorgänger gespielt hatte,
fortzuspielen, wozu ihm freilich dessen Anmuth und Gewandtheit ganz abging.
Die tastende Behutsamkeit seiner Schritte, das scheinbare Schwanken, die
Zweideutigkeit seiner Worte, das Zögern in seinen Handlungen, alles das
war nicht blos in seinem Wesen begründet, es war auch (oder schien ihm
wenigstens) durch die Eigenthümlichkeit seiner Lage geboten. In diesem Sinn


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[0018] dringende Veranlassung eine Ausnahme machte, wie in der Catilinarischen Verschwörung), geschah dies im Majestätsproceß, und (was früher unerhört gewesen war) auch Freie wurden als Zeugen wie als Angeklagte der pein¬ lichen Frage unterworfen. Personen, die sonst zur Anklage nicht zugelassen, wurden, durften sie hier erheben: namentlich Sklaven und Freigelassene gegen ihre Herrn oder Patrone, obwol einzelne Kaiser diese Bestimmung, deren un¬ heilvolle Folgen sich mit Gewißheit voraussehn ließen, vorübergehend auf¬ gehoben haben. Endlich wurden die Anklüger durch einen Antheil an dem confiscirten Vermögen der Verurtheilten belohnt. Die auf die schlechtesten Seiten der menschlichen Natur begründete Rechnung erwies sich nur zu sehr als richtig. An die Stelle der frühern Strafe des Majestätsverbrechens, des EM, trat in der Kaiserzeit in der Mehrzahl der Fälle die Todesstrafe, in der spätern Zeit für Personen niedern Standes sogar eine geschärfte: sie wurden lebendig verbrannt oder wilden Thieren vorgeworfen. Die Güter des Verurtheilten wurden confiscire, seine Schenkungen und Verfügungen waren null, und zwar von der Zeit an, wo er den Plan zu seinem Verbrechen gefaßt hatte. Bei höhern Graden des Majestätsverbrechens wurde den Verurtheilten auch das ehrenvolle Begräbniß abgesprochen und die Trauer der Verwandten um ihn verboten. Die Strafe konnte sogar auf die Kinder der Verurtheilten aus¬ gedehnt werden, auf die sich die Gesinnungen der Väter möglicherweise ver¬ erbt haben konnten, und die durch Entziehung des Vermögens, durch den Verlust der bürgerlichen Ehre ebenfalls unschädlich gemacht werden sollten. In der Republik hatten selbst die Söhne der Vatermörder und Hochverrüther nicht unter den Verbrechen ihrer Väter gelitten, erst die sultanische Proscription verfolgte auch die Nachkommen ihrer Opfer. Die Anklage wegen Majestüts- verbrechens konnte auch nach dem Tode erhoben werden, und die Verurthei- lung hatte dann Confiscation des Vermögens und Beschimpfung des Gedächt¬ nisses zur Folge. Der Majestätsproceß im Sinne der Kaiserzeit beginnt erst mit Tiber, weil erst unter der Regierung des zweiten Cäsars die Monarchie als Verfassung des römischen Staats auch äußerlich zur thatsächlichen Vollendung gelangte, ein Proceß, den August mit der freilich durchsichtigen Hülle republikanischer Formen zu verdecken eifrig bemüht gewesen war. Auch Tiber fand es im Anfang seiner Regierung noch für nöthig, die Rolle, die sein Vorgänger gespielt hatte, fortzuspielen, wozu ihm freilich dessen Anmuth und Gewandtheit ganz abging. Die tastende Behutsamkeit seiner Schritte, das scheinbare Schwanken, die Zweideutigkeit seiner Worte, das Zögern in seinen Handlungen, alles das war nicht blos in seinem Wesen begründet, es war auch (oder schien ihm wenigstens) durch die Eigenthümlichkeit seiner Lage geboten. In diesem Sinn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/18>, abgerufen am 14.05.2024.