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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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führte er seine Sache mit männlicher Freimüthigkeit, ohne Leidenschaft oder
Bitterkeit. "Meine Worte, versammelte Väter, so begann er, werden zur
Rechenschaft gezogen, ein Beweis, wie unsträflich meine Handlungen sind."
Er führte an. daß die incriminirte Aeußerung sich weder auf den Fürsten noch
auf dessen Mutter beziehe, also nicht in die Kategorie der Majestätsbelei¬
digung falle. Viele hätten die Geschichte des Brutus und Cassius geschrieben,
niemand ihrer anders als ehrenvoll gedacht. Er wies an dem Beispiel des
Livius und vieler andern nach, daß Cäsar und August antimonarchische Aeuße¬
rungen, ja directe Angriffe ruhig ertragen hätten; gegen Ciceros Lobschrift
auf Cato von Utica Hütte Cäsar nur mit einer Gegenschrift erwiedert, möge
diese Duldung nur aus Mäßigung oder aus weiser Berechnung hervorgegangen
sein; "denn Angriffe, die man nicht beachtet, verlieren die Kraft, nimmt man
ste zornig auf, so scheint man sich getroffen zu fühlen." Ich will nicht von
den Griechen reden, bei denen nicht blos Freimüthigkeit, sondern sogar Zügel-
wsigkeit der Rede straflos geblieben ist, oder wenn sie geahndet ward, hat
man Reden mit Reden gerächt. Aber von denen zu berichten, die der Tod
der Gunst wie dem Haß entzogen hatte, ist von jeher unverwehrt und keiner
Anfeindung ausgesetzt gewesen. Entflamme ich etwa mit Reden das Volk
zum Bürgerkrieg, während Brutus und Cassius noch in Waffen bei Philippi
das Feld behaupten? Aber jene sind vor siebzig Jahren gefallen, und wie
man sie aus ihren Bildern kennt, die nicht einmal der Sieger vernichtet hat,
so währt ein Theil ihres Gedächtnisses in Schriften fort. Die Nachwelt er¬
theilt jedem die ihm gebührende Ehre, und wenn die Verdammung über mich
hereinbricht, werden manche neben Cassius und Brutus auch meiner gedenken."
Hierauf verließ er den Senat und endete sein Leben durch Enthaltung von
Speise. Die Väter beschlossen, seine Bücher durch die Aedilen verbrennen zu
lassen, aber sie existirten im Geheimen fort. Besonders sorgte die Tochter
des Verurtheilten, Marcia, für die Erhaltung der Schriften, die ihr Vater "mit
seinem Blute geschrieben hatte" (Seneca). Caligula ließ sie sogar in dem
Freisinnigkeitsansall seiner ersten Regierungszeit nebst andern zur Vernichtung
verurtheilten Schriften wieder aufsuchen und der Oeffentlichkeit wiedergeben.
Man möchte, schließt Tacitus, den Stumpfsinn verlachen, der durch die Ge¬
walt, über die er in der Gegenwart verfügt, auch das Gedächtniß der Folge¬
zeit auslöschen zu können meint. Vielmehr wächst grade das Ansehn ver¬
folgter Geister, und Könige fremder Länder oder wer immer dieselbe Unterdrückung
geübt hat. haben nichts Anderes gewonnen als Schmach für sich und Ruhm
für jene. Die Geschichte des Cremutius Cordus hat sich übrigens später noch
mehr als einmal wiederholt. Unter Domitian wurde Arulanus Rusticus hin¬
gerichtet, weil er Thrasea, den Führer der Opposition unter Nero, einen hei¬
ligen Mann genannt, Herennius Senecio, weil er das Leben des Helvidius


führte er seine Sache mit männlicher Freimüthigkeit, ohne Leidenschaft oder
Bitterkeit. „Meine Worte, versammelte Väter, so begann er, werden zur
Rechenschaft gezogen, ein Beweis, wie unsträflich meine Handlungen sind."
Er führte an. daß die incriminirte Aeußerung sich weder auf den Fürsten noch
auf dessen Mutter beziehe, also nicht in die Kategorie der Majestätsbelei¬
digung falle. Viele hätten die Geschichte des Brutus und Cassius geschrieben,
niemand ihrer anders als ehrenvoll gedacht. Er wies an dem Beispiel des
Livius und vieler andern nach, daß Cäsar und August antimonarchische Aeuße¬
rungen, ja directe Angriffe ruhig ertragen hätten; gegen Ciceros Lobschrift
auf Cato von Utica Hütte Cäsar nur mit einer Gegenschrift erwiedert, möge
diese Duldung nur aus Mäßigung oder aus weiser Berechnung hervorgegangen
sein; „denn Angriffe, die man nicht beachtet, verlieren die Kraft, nimmt man
ste zornig auf, so scheint man sich getroffen zu fühlen." Ich will nicht von
den Griechen reden, bei denen nicht blos Freimüthigkeit, sondern sogar Zügel-
wsigkeit der Rede straflos geblieben ist, oder wenn sie geahndet ward, hat
man Reden mit Reden gerächt. Aber von denen zu berichten, die der Tod
der Gunst wie dem Haß entzogen hatte, ist von jeher unverwehrt und keiner
Anfeindung ausgesetzt gewesen. Entflamme ich etwa mit Reden das Volk
zum Bürgerkrieg, während Brutus und Cassius noch in Waffen bei Philippi
das Feld behaupten? Aber jene sind vor siebzig Jahren gefallen, und wie
man sie aus ihren Bildern kennt, die nicht einmal der Sieger vernichtet hat,
so währt ein Theil ihres Gedächtnisses in Schriften fort. Die Nachwelt er¬
theilt jedem die ihm gebührende Ehre, und wenn die Verdammung über mich
hereinbricht, werden manche neben Cassius und Brutus auch meiner gedenken."
Hierauf verließ er den Senat und endete sein Leben durch Enthaltung von
Speise. Die Väter beschlossen, seine Bücher durch die Aedilen verbrennen zu
lassen, aber sie existirten im Geheimen fort. Besonders sorgte die Tochter
des Verurtheilten, Marcia, für die Erhaltung der Schriften, die ihr Vater „mit
seinem Blute geschrieben hatte" (Seneca). Caligula ließ sie sogar in dem
Freisinnigkeitsansall seiner ersten Regierungszeit nebst andern zur Vernichtung
verurtheilten Schriften wieder aufsuchen und der Oeffentlichkeit wiedergeben.
Man möchte, schließt Tacitus, den Stumpfsinn verlachen, der durch die Ge¬
walt, über die er in der Gegenwart verfügt, auch das Gedächtniß der Folge¬
zeit auslöschen zu können meint. Vielmehr wächst grade das Ansehn ver¬
folgter Geister, und Könige fremder Länder oder wer immer dieselbe Unterdrückung
geübt hat. haben nichts Anderes gewonnen als Schmach für sich und Ruhm
für jene. Die Geschichte des Cremutius Cordus hat sich übrigens später noch
mehr als einmal wiederholt. Unter Domitian wurde Arulanus Rusticus hin¬
gerichtet, weil er Thrasea, den Führer der Opposition unter Nero, einen hei¬
ligen Mann genannt, Herennius Senecio, weil er das Leben des Helvidius


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/21>, abgerufen am 14.05.2024.