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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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röthlichen Dunst der Wüste dahinter, rechts das große weihe Schloß des Vice-
königs und die ebenfalls weiße Stadt hinter dem Gewirr schwarzer Schiffe.
Auf der innern Rhede angelangt, warfen wir, wie vor zwei Jahren, nicht
fern von einigen alten Linienschiffen Anker, die, abgetakelt und zum Theil
schon von ihrer Plankenbckleidung entblößt, mit offenliegenden Rippen und
hohlen Lukenaugen wie Leichen eines anatomischen Theaters in die Rhede
hinausstarren. Massen von Booten, gerudert von halbnackten Burschen, gelben
Semiten und schwarzen Negergesichtern, umringten uns. In arabischen Gurgel-
tönen wurde nach Passagieren herausgeschrien, in denselben Lauten ohn oben
geantwortet, und als wir Pratica bekommen, strömte wie eine große Maske¬
rade der bunte Hause unsrer orientalischen Reisegefährten mit seinem bunten
Gepäck die Falltreppe an der Seite des Schiffes hinab in die Barken.

Wir übrigen blieben unter der gelben Contumazflagge, bewacht von ägyp¬
tischen Soldaten zurück und hatten nun zwei volle Tage Zeit, uns die Einzeln¬
heiten des uns zugekehrten Theils der Stadt einzuprägen, die tantalische Qual,
am Lande zu sein und das Land nicht genießen zu können, gründlich durch¬
zukosten und nebenbei über die eigenthümliche Weise zu Philosophiren, mit der>
man hier die Quarantänegesctze handhabt.

Der erste Blick schon auf Alexandrien zeigt, daß man sich in einer völlig
andern Region befindet, als in Smyrna. Wir sind in der Südhälfte des
türkischen Reichs, die etwa so weit reicht, als die arabische Sprache und Sitte,
und die sich in ihrer ganzen Physiognomie fast ebenso ausfallend von der
nördlichen unterscheidet, wie diese von fränkischem Land und Leben. Zunächst
ist in Aegypten und Syrien tels Licht ein anderes, weißeres, und infolge dessen
sind auch die Grund- und Hauptfarben der Gegenden andere, die Grundfarben,
das heißt die, mit welchem sich das Land dem Gedächtniß einprägt, die Farben-
schattirungen, in die wir das Bild gekleidet sehen, wenn es die Phantasie
daheim in träumerischer Erinnerung vor uns wieder auftauchen läßt. Jeder
Theil hat in solchen Augenblicken innerer Reproduction gleichsam sein ver¬
schieden gefärbtes Glas, durch das wir ihn sehen. So erscheint mir die Nord¬
hälfte, wo sie eben ist, grün, wo sie Berge hat, mit violettem Licht Übergossen,
während ich mir Aegypten nach jenem Gesammtcharakter seines Colorits nie
anders als gelblichroth vorstellen kann. Syrien schillert in den Farben beider.
An seine Gestade hat der Nil mit seinem Sande, der bis nach Beirut hinauf
Dünen bildet, auch seine Farben gespült. Das Colorit seiner Berge dagegen
ist dem der Berge von Anatolien ähnlich. Aber seine Sonne ist die Sonne
Aegyptens.

Sodann ist das Bestimmende im Süden die Wüste mit ihrem Sand und
ihrer Wasserarmuth, das Bestimmende im Norden, so weit sichs um die Küsten¬
striche handelt, von denen hier allein die Rede ist, das Meer mit seinen Buchte"


röthlichen Dunst der Wüste dahinter, rechts das große weihe Schloß des Vice-
königs und die ebenfalls weiße Stadt hinter dem Gewirr schwarzer Schiffe.
Auf der innern Rhede angelangt, warfen wir, wie vor zwei Jahren, nicht
fern von einigen alten Linienschiffen Anker, die, abgetakelt und zum Theil
schon von ihrer Plankenbckleidung entblößt, mit offenliegenden Rippen und
hohlen Lukenaugen wie Leichen eines anatomischen Theaters in die Rhede
hinausstarren. Massen von Booten, gerudert von halbnackten Burschen, gelben
Semiten und schwarzen Negergesichtern, umringten uns. In arabischen Gurgel-
tönen wurde nach Passagieren herausgeschrien, in denselben Lauten ohn oben
geantwortet, und als wir Pratica bekommen, strömte wie eine große Maske¬
rade der bunte Hause unsrer orientalischen Reisegefährten mit seinem bunten
Gepäck die Falltreppe an der Seite des Schiffes hinab in die Barken.

Wir übrigen blieben unter der gelben Contumazflagge, bewacht von ägyp¬
tischen Soldaten zurück und hatten nun zwei volle Tage Zeit, uns die Einzeln¬
heiten des uns zugekehrten Theils der Stadt einzuprägen, die tantalische Qual,
am Lande zu sein und das Land nicht genießen zu können, gründlich durch¬
zukosten und nebenbei über die eigenthümliche Weise zu Philosophiren, mit der>
man hier die Quarantänegesctze handhabt.

Der erste Blick schon auf Alexandrien zeigt, daß man sich in einer völlig
andern Region befindet, als in Smyrna. Wir sind in der Südhälfte des
türkischen Reichs, die etwa so weit reicht, als die arabische Sprache und Sitte,
und die sich in ihrer ganzen Physiognomie fast ebenso ausfallend von der
nördlichen unterscheidet, wie diese von fränkischem Land und Leben. Zunächst
ist in Aegypten und Syrien tels Licht ein anderes, weißeres, und infolge dessen
sind auch die Grund- und Hauptfarben der Gegenden andere, die Grundfarben,
das heißt die, mit welchem sich das Land dem Gedächtniß einprägt, die Farben-
schattirungen, in die wir das Bild gekleidet sehen, wenn es die Phantasie
daheim in träumerischer Erinnerung vor uns wieder auftauchen läßt. Jeder
Theil hat in solchen Augenblicken innerer Reproduction gleichsam sein ver¬
schieden gefärbtes Glas, durch das wir ihn sehen. So erscheint mir die Nord¬
hälfte, wo sie eben ist, grün, wo sie Berge hat, mit violettem Licht Übergossen,
während ich mir Aegypten nach jenem Gesammtcharakter seines Colorits nie
anders als gelblichroth vorstellen kann. Syrien schillert in den Farben beider.
An seine Gestade hat der Nil mit seinem Sande, der bis nach Beirut hinauf
Dünen bildet, auch seine Farben gespült. Das Colorit seiner Berge dagegen
ist dem der Berge von Anatolien ähnlich. Aber seine Sonne ist die Sonne
Aegyptens.

Sodann ist das Bestimmende im Süden die Wüste mit ihrem Sand und
ihrer Wasserarmuth, das Bestimmende im Norden, so weit sichs um die Küsten¬
striche handelt, von denen hier allein die Rede ist, das Meer mit seinen Buchte»


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[0226] röthlichen Dunst der Wüste dahinter, rechts das große weihe Schloß des Vice- königs und die ebenfalls weiße Stadt hinter dem Gewirr schwarzer Schiffe. Auf der innern Rhede angelangt, warfen wir, wie vor zwei Jahren, nicht fern von einigen alten Linienschiffen Anker, die, abgetakelt und zum Theil schon von ihrer Plankenbckleidung entblößt, mit offenliegenden Rippen und hohlen Lukenaugen wie Leichen eines anatomischen Theaters in die Rhede hinausstarren. Massen von Booten, gerudert von halbnackten Burschen, gelben Semiten und schwarzen Negergesichtern, umringten uns. In arabischen Gurgel- tönen wurde nach Passagieren herausgeschrien, in denselben Lauten ohn oben geantwortet, und als wir Pratica bekommen, strömte wie eine große Maske¬ rade der bunte Hause unsrer orientalischen Reisegefährten mit seinem bunten Gepäck die Falltreppe an der Seite des Schiffes hinab in die Barken. Wir übrigen blieben unter der gelben Contumazflagge, bewacht von ägyp¬ tischen Soldaten zurück und hatten nun zwei volle Tage Zeit, uns die Einzeln¬ heiten des uns zugekehrten Theils der Stadt einzuprägen, die tantalische Qual, am Lande zu sein und das Land nicht genießen zu können, gründlich durch¬ zukosten und nebenbei über die eigenthümliche Weise zu Philosophiren, mit der> man hier die Quarantänegesctze handhabt. Der erste Blick schon auf Alexandrien zeigt, daß man sich in einer völlig andern Region befindet, als in Smyrna. Wir sind in der Südhälfte des türkischen Reichs, die etwa so weit reicht, als die arabische Sprache und Sitte, und die sich in ihrer ganzen Physiognomie fast ebenso ausfallend von der nördlichen unterscheidet, wie diese von fränkischem Land und Leben. Zunächst ist in Aegypten und Syrien tels Licht ein anderes, weißeres, und infolge dessen sind auch die Grund- und Hauptfarben der Gegenden andere, die Grundfarben, das heißt die, mit welchem sich das Land dem Gedächtniß einprägt, die Farben- schattirungen, in die wir das Bild gekleidet sehen, wenn es die Phantasie daheim in träumerischer Erinnerung vor uns wieder auftauchen läßt. Jeder Theil hat in solchen Augenblicken innerer Reproduction gleichsam sein ver¬ schieden gefärbtes Glas, durch das wir ihn sehen. So erscheint mir die Nord¬ hälfte, wo sie eben ist, grün, wo sie Berge hat, mit violettem Licht Übergossen, während ich mir Aegypten nach jenem Gesammtcharakter seines Colorits nie anders als gelblichroth vorstellen kann. Syrien schillert in den Farben beider. An seine Gestade hat der Nil mit seinem Sande, der bis nach Beirut hinauf Dünen bildet, auch seine Farben gespült. Das Colorit seiner Berge dagegen ist dem der Berge von Anatolien ähnlich. Aber seine Sonne ist die Sonne Aegyptens. Sodann ist das Bestimmende im Süden die Wüste mit ihrem Sand und ihrer Wasserarmuth, das Bestimmende im Norden, so weit sichs um die Küsten¬ striche handelt, von denen hier allein die Rede ist, das Meer mit seinen Buchte»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/226>, abgerufen am 28.05.2024.