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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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wie die gewaltsame Unterdrückung jeder Meinungsäußerung nur bewirkte, daß
die allgemeine Aufmerksamkeit sich um so gespannter und unablässiger dahin
richtete, von wo man sie ablenken zu können meinte, und daß bei dem er¬
zwungenen Schweigen auch der geringste Laut weithin Gehör fand und Wieder¬
hall weckte.

Unter den Schriftstellern, die wegen Majestätsverbrechen verurtheilt wur¬
den, war auch einer, dem nicht Kühnheit oder Freimuth, sondern Autoren¬
eitelkeit den Tod brachte. Ein römischer Ritter. Lutorius Priscus. hatte ein
Trauergedicht auf Germaniens Tod verfaßt und dafür von Tiber ein Geld¬
geschenk erhalten. Einige Jahre darauf erkrankte Tibers Sohn Drusus und
der Dichter in Hoffnung einer noch größern Belohnung, verfaßte abermals
ein Klaggedicht, um nach Drusus Tode sogleich damit auftreten zu können.
Er konnte sich nicht enthalten, dies Werk vor einer großen Versammlung vor¬
nehmer Frauen vorzutragen. Doch die Sache wurde ruchbar, und der un¬
glückliche Poet der Maj'estätsverletzung angeklagt. Von allen seinen ZuHöre¬
rinnen, die als Zeuginnen vorgeladen wurden, hatte nur eine den Muth zu
erklären, sie habe nichts gehört. Vitellia, die Großtante des spätern Kaisers
Bitellius. Aber ihr Zeugniß konnte den Angeklagten nicht retten, und das
Erkenntniß des Senats lautete auf Todesstrafe. Ein einziger Senator wagte
auf die zunächst härteste Strafe, das Exil anzutragen; ein einziger Consular,
diesem Antrag beizustimmen. Der Antragsteller deutete nur leise einen Zweifel
an. ob überhaupt hier ein Majestätsverbrechen vorliege, und selbst dies zu¬
gegeben, sei keine höhere Strafe erforderlich . . . Betrachte man freilich die
Ruchlosigkeit, durch die der Angeklagte sich selbst geschändet und die Ohren
anderer entweiht habe, so erscheine auch Erdrosselung im unterirdischen Kerker
und die Sklavenstrafe der Kreuzigung noch nicht als genügend. Doch der
Kaiser habe in seiner Milde es oft bedauert, wenn jemand durch Selbstmord
der Begnadigung zuvorgekommen sei. Lutorius Hinrichtung würde kein war¬
nendes Beispiel, seine Freilassung gefahrlos sein, ^ein Treiben sei freilich
wahnsinnig, doch eitel und nichtig: man könne von jemand nichts Ernstes
oder Bedeutendes fürchten, der seine eigenen Schandthaten ausschwatze und zwar
bei Weibern. Weniges ist für die unsägliche Erbärmlichkeit der damaligen
Zustände so charakteristisch, als der Ton dieser Fürsprache, die einem kläglichen
Thoren nur das nackte Leben erbetteln sollte. Sie war wie gesagt umsonst.
Lutorius wurde sogleich im Kerker entleibt. Tiberius schrieb darauf einen
seiner gewöhnlichen Briefe an den Senat, worin er auf der einen Seite dessen
Pietät rühmte, die auch geringe Beleidigungen des Fürsten so scharf räche,
auf der andern so schleunige Bestrafung bloßer Reden mißbilligte, den Antrag
auf mildere Bestrafung lobte, ohne den auf Hinrichtung zu tadeln.

Die Verfolgung mündlicher Aeußerungen im Majcstätsproceß muß eine


Grenzbote" III. igb9. 2

wie die gewaltsame Unterdrückung jeder Meinungsäußerung nur bewirkte, daß
die allgemeine Aufmerksamkeit sich um so gespannter und unablässiger dahin
richtete, von wo man sie ablenken zu können meinte, und daß bei dem er¬
zwungenen Schweigen auch der geringste Laut weithin Gehör fand und Wieder¬
hall weckte.

Unter den Schriftstellern, die wegen Majestätsverbrechen verurtheilt wur¬
den, war auch einer, dem nicht Kühnheit oder Freimuth, sondern Autoren¬
eitelkeit den Tod brachte. Ein römischer Ritter. Lutorius Priscus. hatte ein
Trauergedicht auf Germaniens Tod verfaßt und dafür von Tiber ein Geld¬
geschenk erhalten. Einige Jahre darauf erkrankte Tibers Sohn Drusus und
der Dichter in Hoffnung einer noch größern Belohnung, verfaßte abermals
ein Klaggedicht, um nach Drusus Tode sogleich damit auftreten zu können.
Er konnte sich nicht enthalten, dies Werk vor einer großen Versammlung vor¬
nehmer Frauen vorzutragen. Doch die Sache wurde ruchbar, und der un¬
glückliche Poet der Maj'estätsverletzung angeklagt. Von allen seinen ZuHöre¬
rinnen, die als Zeuginnen vorgeladen wurden, hatte nur eine den Muth zu
erklären, sie habe nichts gehört. Vitellia, die Großtante des spätern Kaisers
Bitellius. Aber ihr Zeugniß konnte den Angeklagten nicht retten, und das
Erkenntniß des Senats lautete auf Todesstrafe. Ein einziger Senator wagte
auf die zunächst härteste Strafe, das Exil anzutragen; ein einziger Consular,
diesem Antrag beizustimmen. Der Antragsteller deutete nur leise einen Zweifel
an. ob überhaupt hier ein Majestätsverbrechen vorliege, und selbst dies zu¬
gegeben, sei keine höhere Strafe erforderlich . . . Betrachte man freilich die
Ruchlosigkeit, durch die der Angeklagte sich selbst geschändet und die Ohren
anderer entweiht habe, so erscheine auch Erdrosselung im unterirdischen Kerker
und die Sklavenstrafe der Kreuzigung noch nicht als genügend. Doch der
Kaiser habe in seiner Milde es oft bedauert, wenn jemand durch Selbstmord
der Begnadigung zuvorgekommen sei. Lutorius Hinrichtung würde kein war¬
nendes Beispiel, seine Freilassung gefahrlos sein, ^ein Treiben sei freilich
wahnsinnig, doch eitel und nichtig: man könne von jemand nichts Ernstes
oder Bedeutendes fürchten, der seine eigenen Schandthaten ausschwatze und zwar
bei Weibern. Weniges ist für die unsägliche Erbärmlichkeit der damaligen
Zustände so charakteristisch, als der Ton dieser Fürsprache, die einem kläglichen
Thoren nur das nackte Leben erbetteln sollte. Sie war wie gesagt umsonst.
Lutorius wurde sogleich im Kerker entleibt. Tiberius schrieb darauf einen
seiner gewöhnlichen Briefe an den Senat, worin er auf der einen Seite dessen
Pietät rühmte, die auch geringe Beleidigungen des Fürsten so scharf räche,
auf der andern so schleunige Bestrafung bloßer Reden mißbilligte, den Antrag
auf mildere Bestrafung lobte, ohne den auf Hinrichtung zu tadeln.

Die Verfolgung mündlicher Aeußerungen im Majcstätsproceß muß eine


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[0023] wie die gewaltsame Unterdrückung jeder Meinungsäußerung nur bewirkte, daß die allgemeine Aufmerksamkeit sich um so gespannter und unablässiger dahin richtete, von wo man sie ablenken zu können meinte, und daß bei dem er¬ zwungenen Schweigen auch der geringste Laut weithin Gehör fand und Wieder¬ hall weckte. Unter den Schriftstellern, die wegen Majestätsverbrechen verurtheilt wur¬ den, war auch einer, dem nicht Kühnheit oder Freimuth, sondern Autoren¬ eitelkeit den Tod brachte. Ein römischer Ritter. Lutorius Priscus. hatte ein Trauergedicht auf Germaniens Tod verfaßt und dafür von Tiber ein Geld¬ geschenk erhalten. Einige Jahre darauf erkrankte Tibers Sohn Drusus und der Dichter in Hoffnung einer noch größern Belohnung, verfaßte abermals ein Klaggedicht, um nach Drusus Tode sogleich damit auftreten zu können. Er konnte sich nicht enthalten, dies Werk vor einer großen Versammlung vor¬ nehmer Frauen vorzutragen. Doch die Sache wurde ruchbar, und der un¬ glückliche Poet der Maj'estätsverletzung angeklagt. Von allen seinen ZuHöre¬ rinnen, die als Zeuginnen vorgeladen wurden, hatte nur eine den Muth zu erklären, sie habe nichts gehört. Vitellia, die Großtante des spätern Kaisers Bitellius. Aber ihr Zeugniß konnte den Angeklagten nicht retten, und das Erkenntniß des Senats lautete auf Todesstrafe. Ein einziger Senator wagte auf die zunächst härteste Strafe, das Exil anzutragen; ein einziger Consular, diesem Antrag beizustimmen. Der Antragsteller deutete nur leise einen Zweifel an. ob überhaupt hier ein Majestätsverbrechen vorliege, und selbst dies zu¬ gegeben, sei keine höhere Strafe erforderlich . . . Betrachte man freilich die Ruchlosigkeit, durch die der Angeklagte sich selbst geschändet und die Ohren anderer entweiht habe, so erscheine auch Erdrosselung im unterirdischen Kerker und die Sklavenstrafe der Kreuzigung noch nicht als genügend. Doch der Kaiser habe in seiner Milde es oft bedauert, wenn jemand durch Selbstmord der Begnadigung zuvorgekommen sei. Lutorius Hinrichtung würde kein war¬ nendes Beispiel, seine Freilassung gefahrlos sein, ^ein Treiben sei freilich wahnsinnig, doch eitel und nichtig: man könne von jemand nichts Ernstes oder Bedeutendes fürchten, der seine eigenen Schandthaten ausschwatze und zwar bei Weibern. Weniges ist für die unsägliche Erbärmlichkeit der damaligen Zustände so charakteristisch, als der Ton dieser Fürsprache, die einem kläglichen Thoren nur das nackte Leben erbetteln sollte. Sie war wie gesagt umsonst. Lutorius wurde sogleich im Kerker entleibt. Tiberius schrieb darauf einen seiner gewöhnlichen Briefe an den Senat, worin er auf der einen Seite dessen Pietät rühmte, die auch geringe Beleidigungen des Fürsten so scharf räche, auf der andern so schleunige Bestrafung bloßer Reden mißbilligte, den Antrag auf mildere Bestrafung lobte, ohne den auf Hinrichtung zu tadeln. Die Verfolgung mündlicher Aeußerungen im Majcstätsproceß muß eine Grenzbote» III. igb9. 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/23>, abgerufen am 14.05.2024.