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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Die Gesellschaft war auf diese Weise bis auf etwa sechzig Köpfe ange¬
wachsen, und nachdem sie sich mehr geordnet, bewegte sie sich mit gebühren-
°" Feierlichkeit über das Plateau auf die Stadt zu. die sich hier als eine
^"ge graue Mauer mit Zinnen, über welche einige weiße Minarets und
Kuppeln blicken, darstellt. Voran ritten mit ihren blitzenden Amtsstäben vier
'^waschen, dann folgten die türkischen Reiter mit ihrem Pauker, sodann der
^eneralconsul, um den sich die Vornehmsten der Juden geschart, hierauf die
Sänfte seiner Gemahlin, endlich geringere Ritter orientalischen Geblütes, die
beiden Mönche und ich germanisches Menschenkind. Als wir uns dem Jaffa-
^or näherten, wurden wir von dreißig bis vierzig schwarzäugigen Judenkindern
^Pfangen, welche, von einem taktschlagenden Lehrer in Kasten und potui-
^er Pelzmütze geleitet, mit quälender Nasenstimme eine hebräische Uebersetzung
^'°u "Gott erhalte Franz den Kaiser" abhangen. Die dabei stehenden Man
schrien Vivat, die Weiber ließen das gellende Salihegeschrei erschallen.
T^zu klimperte der unermüdliche Pauker und von der Mauer knallten Flinten-
^uffe. Neben dem Zuge rannten stolpernd, sich stoßend, mit fliegenden Schö¬
nen Massen junger Hebräer hin, um sich wieder und immer wieder die Freude
üU verschaffen, ihre Rabbiner neben dem großen Herrn aus Aschkenas reiten
^ sehen. Ueber uns und um uns schwebte eine dichte röthliche Staubwolke.

Die alten Pilger pflegten, vor Jerusalem angekommen, vom Pferde zu
^^e" und mit bloßem Haupt und nackten Füßen in die heilige Stadt ein¬
ziehen. Neuere ahmten ihnen wenigstens in so weit nach, als sie den Sattel
^'ließen und zu Fuß durch das Thor gingen. Ich armer müder, sonnedurch-
Wühler, halbverdursteter Heide hatte weder Neigung noch Kraft desgleichen zu
^'N, und wenn jene alten Frommen beim Anblick der Stadt in Verzückung
Miethen, beteten, dankten und Lobgesänge anstimmten auf


"Jerusalem, die selig' Stadt,
So ihren schönen Namen hat
Vom Angesicht des Friedens,"

^ War mir die Illusion, daß der friedliche Name den friedlichen Charakter
Ausdrücke, längst abhanden gekommen. Wer kann dafür, wenn ihm keine
^'Märkische Ader zu Theil wurde. Lebhafter als an die Heiligkeit Jerusalems
'^te ich an ein kühles Glas Wasser, das es mir reichen sollte, und als wir
Mischen den Schutt- und Unrathhügeln vor dem Damaskusthor in die Stadt
iniabritten, zu meiner Rechten eine Franciscanerkutte. zu meiner Linken ein
^bbinerkastan, drängte sich in den Raum, den der Wunsch nach einem frischen
ruick M, meiner Seele übriggelassen -- es ist sehr frivol, aber ich hoffe.
^, Himmel wirds in Anbetracht der Umstände verzeihen -- die Erinnerung
^ Heines Gedicht "der Rabbi und der Mönch," und ich mußte lächeln. Jene


Die Gesellschaft war auf diese Weise bis auf etwa sechzig Köpfe ange¬
wachsen, und nachdem sie sich mehr geordnet, bewegte sie sich mit gebühren-
°" Feierlichkeit über das Plateau auf die Stadt zu. die sich hier als eine
^"ge graue Mauer mit Zinnen, über welche einige weiße Minarets und
Kuppeln blicken, darstellt. Voran ritten mit ihren blitzenden Amtsstäben vier
'^waschen, dann folgten die türkischen Reiter mit ihrem Pauker, sodann der
^eneralconsul, um den sich die Vornehmsten der Juden geschart, hierauf die
Sänfte seiner Gemahlin, endlich geringere Ritter orientalischen Geblütes, die
beiden Mönche und ich germanisches Menschenkind. Als wir uns dem Jaffa-
^or näherten, wurden wir von dreißig bis vierzig schwarzäugigen Judenkindern
^Pfangen, welche, von einem taktschlagenden Lehrer in Kasten und potui-
^er Pelzmütze geleitet, mit quälender Nasenstimme eine hebräische Uebersetzung
^'°u „Gott erhalte Franz den Kaiser" abhangen. Die dabei stehenden Man
schrien Vivat, die Weiber ließen das gellende Salihegeschrei erschallen.
T^zu klimperte der unermüdliche Pauker und von der Mauer knallten Flinten-
^uffe. Neben dem Zuge rannten stolpernd, sich stoßend, mit fliegenden Schö¬
nen Massen junger Hebräer hin, um sich wieder und immer wieder die Freude
üU verschaffen, ihre Rabbiner neben dem großen Herrn aus Aschkenas reiten
^ sehen. Ueber uns und um uns schwebte eine dichte röthliche Staubwolke.

Die alten Pilger pflegten, vor Jerusalem angekommen, vom Pferde zu
^^e» und mit bloßem Haupt und nackten Füßen in die heilige Stadt ein¬
ziehen. Neuere ahmten ihnen wenigstens in so weit nach, als sie den Sattel
^'ließen und zu Fuß durch das Thor gingen. Ich armer müder, sonnedurch-
Wühler, halbverdursteter Heide hatte weder Neigung noch Kraft desgleichen zu
^'N, und wenn jene alten Frommen beim Anblick der Stadt in Verzückung
Miethen, beteten, dankten und Lobgesänge anstimmten auf


„Jerusalem, die selig' Stadt,
So ihren schönen Namen hat
Vom Angesicht des Friedens,"

^ War mir die Illusion, daß der friedliche Name den friedlichen Charakter
Ausdrücke, längst abhanden gekommen. Wer kann dafür, wenn ihm keine
^'Märkische Ader zu Theil wurde. Lebhafter als an die Heiligkeit Jerusalems
'^te ich an ein kühles Glas Wasser, das es mir reichen sollte, und als wir
Mischen den Schutt- und Unrathhügeln vor dem Damaskusthor in die Stadt
iniabritten, zu meiner Rechten eine Franciscanerkutte. zu meiner Linken ein
^bbinerkastan, drängte sich in den Raum, den der Wunsch nach einem frischen
ruick M, meiner Seele übriggelassen — es ist sehr frivol, aber ich hoffe.
^, Himmel wirds in Anbetracht der Umstände verzeihen — die Erinnerung
^ Heines Gedicht „der Rabbi und der Mönch," und ich mußte lächeln. Jene


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[0275] Die Gesellschaft war auf diese Weise bis auf etwa sechzig Köpfe ange¬ wachsen, und nachdem sie sich mehr geordnet, bewegte sie sich mit gebühren- °" Feierlichkeit über das Plateau auf die Stadt zu. die sich hier als eine ^"ge graue Mauer mit Zinnen, über welche einige weiße Minarets und Kuppeln blicken, darstellt. Voran ritten mit ihren blitzenden Amtsstäben vier '^waschen, dann folgten die türkischen Reiter mit ihrem Pauker, sodann der ^eneralconsul, um den sich die Vornehmsten der Juden geschart, hierauf die Sänfte seiner Gemahlin, endlich geringere Ritter orientalischen Geblütes, die beiden Mönche und ich germanisches Menschenkind. Als wir uns dem Jaffa- ^or näherten, wurden wir von dreißig bis vierzig schwarzäugigen Judenkindern ^Pfangen, welche, von einem taktschlagenden Lehrer in Kasten und potui- ^er Pelzmütze geleitet, mit quälender Nasenstimme eine hebräische Uebersetzung ^'°u „Gott erhalte Franz den Kaiser" abhangen. Die dabei stehenden Man schrien Vivat, die Weiber ließen das gellende Salihegeschrei erschallen. T^zu klimperte der unermüdliche Pauker und von der Mauer knallten Flinten- ^uffe. Neben dem Zuge rannten stolpernd, sich stoßend, mit fliegenden Schö¬ nen Massen junger Hebräer hin, um sich wieder und immer wieder die Freude üU verschaffen, ihre Rabbiner neben dem großen Herrn aus Aschkenas reiten ^ sehen. Ueber uns und um uns schwebte eine dichte röthliche Staubwolke. Die alten Pilger pflegten, vor Jerusalem angekommen, vom Pferde zu ^^e» und mit bloßem Haupt und nackten Füßen in die heilige Stadt ein¬ ziehen. Neuere ahmten ihnen wenigstens in so weit nach, als sie den Sattel ^'ließen und zu Fuß durch das Thor gingen. Ich armer müder, sonnedurch- Wühler, halbverdursteter Heide hatte weder Neigung noch Kraft desgleichen zu ^'N, und wenn jene alten Frommen beim Anblick der Stadt in Verzückung Miethen, beteten, dankten und Lobgesänge anstimmten auf „Jerusalem, die selig' Stadt, So ihren schönen Namen hat Vom Angesicht des Friedens," ^ War mir die Illusion, daß der friedliche Name den friedlichen Charakter Ausdrücke, längst abhanden gekommen. Wer kann dafür, wenn ihm keine ^'Märkische Ader zu Theil wurde. Lebhafter als an die Heiligkeit Jerusalems '^te ich an ein kühles Glas Wasser, das es mir reichen sollte, und als wir Mischen den Schutt- und Unrathhügeln vor dem Damaskusthor in die Stadt iniabritten, zu meiner Rechten eine Franciscanerkutte. zu meiner Linken ein ^bbinerkastan, drängte sich in den Raum, den der Wunsch nach einem frischen ruick M, meiner Seele übriggelassen — es ist sehr frivol, aber ich hoffe. ^, Himmel wirds in Anbetracht der Umstände verzeihen — die Erinnerung ^ Heines Gedicht „der Rabbi und der Mönch," und ich mußte lächeln. Jene

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/275>, abgerufen am 14.05.2024.