Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Dies sei eine Lossagung von der bestehenden Ordnung, Parteibildung und
wenn es mehre wagten, offne Empörung. Dienach innern Wirren begierige
Masse stelle bereits Thrasca und Nero, wie einst Cato von Utica und Julius
Cäsar einander gegenüber. Es fehle ihm nicht an Anhängern oder vielmehr
Nachtretern, die zwar noch nicht seine Widersetzlichkeit aber seine Haltung
und Miene annähmen, um mit ihrer Steifheit und sauerm Aussehen dem Kai¬
ser Ausgelassenheit vorzuwerfen. Er allein ehre nicht die Virtuosität Neros.
In den Provinzen, bei der Armee werde der tägliche Anzeiger eifrig gelesen,
weil man erfahren wolle, was alles Thrasea nicht gethan habe. Es bliebe
nun die Wahl, entweder auf seine Seite überzugehen oder den Revolutionären
ihren Führer, ihren Organisator zu nehmen. Solche Einflüsterungen blieben
nicht ohne Erfolg, Nero übertrug die Anklage zwei berüchtigten Delatoren,
von denen der eine, Capito Cossutianus, einen persönlichen Haß gegen Thra¬
sea hegte, weil dieser einst zu seiner Verurtheilung wegen Erpressungen in der
Provinz Cilicien beigetragen hatte. Thrasea. dem nun der persönliche Zutritt
zu Nero versagt war, richtete ein Schreiben an ihn, in welchem er fragte,
wessen man ihn anklage, und versicherte, daß er sich rechtfertigen werde, falls
ihm Kenntniß von den erhobenen Beschuldigungen und die Möglichkeit
würde, sie zu widerlegen. Nero nahm den Brief begierig entgegen, er hoffte.
Thrasea habe sich einschüchtern lassen, etwas zu des Kaisers Verherrlichung
oder zur Beschimpfung seines eignen Ruhmes zu schreiben. Als er sich getäuscht
sah, beschleunigte er die entscheidende Sitzung. Thraseas Freunde waren ver¬
schiedener Meinung, ob er eine Vertheidigung versuchen oder verschmähen sollte.
Für die erste Meinung ward der Eindruck angeführt, den der Anblick des
seinem Tode entgegengehenden Mannes auf Volk und Senat machen, und daß
die Nachwelt das Gedächtniß eines ehrenvollen Untergangs von der Feigheit der
im Stillen Fallenden unterscheiden werde. Dagegen meinten andere, Thrasea setze
sich durch Erscheinen im Senat einer unwürdigen Behandlung aus, die von den
schlechtesten gewagt werden könnte und der sich dann die bessern wider ihren
Willen anschließen müßten, er möge dem Senat diese Selbstbeschimpsung er¬
sparen, es möge unentschieden bleiben, welchen Beschluß die Väter in Thra¬
seas Gegenwart gefaßt haben würden. Arulanus Rusticus, damals ein feuriger
junger Mann, der dieser Berathung beiwohnte, erbot sich in seiner Eigenschaft
als Volkstribun dem Senatsbeschluß entgegenzutreten, aber Thrasea hielt seinen
leidenschaftlichen Eifer zurück, der ihm selbst nichts genützt, jenem den Unter¬
gang gebracht haben würde. Sein Leben sei beschlossen, die so viel Jahre
hindurch befolgte Bahn könne er nicht verlassen, jener habe sein Leben noch
vor sich und möge reiflich erwägen, welchen Weg er in einer solchen Zeit
einschlage. Die Entscheidung über sein Erscheinen im Senat behielt er seinem
eignen Ermessen vor. Am folgenden Tage war der Venustempel, in dem der


Dies sei eine Lossagung von der bestehenden Ordnung, Parteibildung und
wenn es mehre wagten, offne Empörung. Dienach innern Wirren begierige
Masse stelle bereits Thrasca und Nero, wie einst Cato von Utica und Julius
Cäsar einander gegenüber. Es fehle ihm nicht an Anhängern oder vielmehr
Nachtretern, die zwar noch nicht seine Widersetzlichkeit aber seine Haltung
und Miene annähmen, um mit ihrer Steifheit und sauerm Aussehen dem Kai¬
ser Ausgelassenheit vorzuwerfen. Er allein ehre nicht die Virtuosität Neros.
In den Provinzen, bei der Armee werde der tägliche Anzeiger eifrig gelesen,
weil man erfahren wolle, was alles Thrasea nicht gethan habe. Es bliebe
nun die Wahl, entweder auf seine Seite überzugehen oder den Revolutionären
ihren Führer, ihren Organisator zu nehmen. Solche Einflüsterungen blieben
nicht ohne Erfolg, Nero übertrug die Anklage zwei berüchtigten Delatoren,
von denen der eine, Capito Cossutianus, einen persönlichen Haß gegen Thra¬
sea hegte, weil dieser einst zu seiner Verurtheilung wegen Erpressungen in der
Provinz Cilicien beigetragen hatte. Thrasea. dem nun der persönliche Zutritt
zu Nero versagt war, richtete ein Schreiben an ihn, in welchem er fragte,
wessen man ihn anklage, und versicherte, daß er sich rechtfertigen werde, falls
ihm Kenntniß von den erhobenen Beschuldigungen und die Möglichkeit
würde, sie zu widerlegen. Nero nahm den Brief begierig entgegen, er hoffte.
Thrasea habe sich einschüchtern lassen, etwas zu des Kaisers Verherrlichung
oder zur Beschimpfung seines eignen Ruhmes zu schreiben. Als er sich getäuscht
sah, beschleunigte er die entscheidende Sitzung. Thraseas Freunde waren ver¬
schiedener Meinung, ob er eine Vertheidigung versuchen oder verschmähen sollte.
Für die erste Meinung ward der Eindruck angeführt, den der Anblick des
seinem Tode entgegengehenden Mannes auf Volk und Senat machen, und daß
die Nachwelt das Gedächtniß eines ehrenvollen Untergangs von der Feigheit der
im Stillen Fallenden unterscheiden werde. Dagegen meinten andere, Thrasea setze
sich durch Erscheinen im Senat einer unwürdigen Behandlung aus, die von den
schlechtesten gewagt werden könnte und der sich dann die bessern wider ihren
Willen anschließen müßten, er möge dem Senat diese Selbstbeschimpsung er¬
sparen, es möge unentschieden bleiben, welchen Beschluß die Väter in Thra¬
seas Gegenwart gefaßt haben würden. Arulanus Rusticus, damals ein feuriger
junger Mann, der dieser Berathung beiwohnte, erbot sich in seiner Eigenschaft
als Volkstribun dem Senatsbeschluß entgegenzutreten, aber Thrasea hielt seinen
leidenschaftlichen Eifer zurück, der ihm selbst nichts genützt, jenem den Unter¬
gang gebracht haben würde. Sein Leben sei beschlossen, die so viel Jahre
hindurch befolgte Bahn könne er nicht verlassen, jener habe sein Leben noch
vor sich und möge reiflich erwägen, welchen Weg er in einer solchen Zeit
einschlage. Die Entscheidung über sein Erscheinen im Senat behielt er seinem
eignen Ermessen vor. Am folgenden Tage war der Venustempel, in dem der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0028" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107614"/>
          <p xml:id="ID_34" prev="#ID_33" next="#ID_35"> Dies sei eine Lossagung von der bestehenden Ordnung, Parteibildung und<lb/>
wenn es mehre wagten, offne Empörung.  Dienach innern Wirren begierige<lb/>
Masse stelle bereits Thrasca und Nero, wie einst Cato von Utica und Julius<lb/>
Cäsar einander gegenüber.  Es fehle ihm nicht an Anhängern oder vielmehr<lb/>
Nachtretern, die zwar noch nicht seine Widersetzlichkeit aber seine Haltung<lb/>
und Miene annähmen, um mit ihrer Steifheit und sauerm Aussehen dem Kai¬<lb/>
ser Ausgelassenheit vorzuwerfen.  Er allein ehre nicht die Virtuosität Neros.<lb/>
In den Provinzen, bei der Armee werde der tägliche Anzeiger eifrig gelesen,<lb/>
weil man erfahren wolle, was alles Thrasea nicht gethan habe.  Es bliebe<lb/>
nun die Wahl, entweder auf seine Seite überzugehen oder den Revolutionären<lb/>
ihren Führer, ihren Organisator zu nehmen.  Solche Einflüsterungen blieben<lb/>
nicht ohne Erfolg, Nero übertrug die Anklage zwei berüchtigten Delatoren,<lb/>
von denen der eine, Capito Cossutianus, einen persönlichen Haß gegen Thra¬<lb/>
sea hegte, weil dieser einst zu seiner Verurtheilung wegen Erpressungen in der<lb/>
Provinz Cilicien beigetragen hatte.  Thrasea. dem nun der persönliche Zutritt<lb/>
zu Nero versagt war, richtete ein Schreiben an ihn, in welchem er fragte,<lb/>
wessen man ihn anklage, und versicherte, daß er sich rechtfertigen werde, falls<lb/>
ihm Kenntniß von den erhobenen Beschuldigungen und die Möglichkeit<lb/>
würde, sie zu widerlegen.  Nero nahm den Brief begierig entgegen, er hoffte.<lb/>
Thrasea habe sich einschüchtern lassen, etwas zu des Kaisers Verherrlichung<lb/>
oder zur Beschimpfung seines eignen Ruhmes zu schreiben. Als er sich getäuscht<lb/>
sah, beschleunigte er die entscheidende Sitzung. Thraseas Freunde waren ver¬<lb/>
schiedener Meinung, ob er eine Vertheidigung versuchen oder verschmähen sollte.<lb/>
Für die erste Meinung ward der Eindruck angeführt, den der Anblick des<lb/>
seinem Tode entgegengehenden Mannes auf Volk und Senat machen, und daß<lb/>
die Nachwelt das Gedächtniß eines ehrenvollen Untergangs von der Feigheit der<lb/>
im Stillen Fallenden unterscheiden werde. Dagegen meinten andere, Thrasea setze<lb/>
sich durch Erscheinen im Senat einer unwürdigen Behandlung aus, die von den<lb/>
schlechtesten gewagt werden könnte und der sich dann die bessern wider ihren<lb/>
Willen anschließen müßten, er möge dem Senat diese Selbstbeschimpsung er¬<lb/>
sparen, es möge unentschieden bleiben, welchen Beschluß die Väter in Thra¬<lb/>
seas Gegenwart gefaßt haben würden. Arulanus Rusticus, damals ein feuriger<lb/>
junger Mann, der dieser Berathung beiwohnte, erbot sich in seiner Eigenschaft<lb/>
als Volkstribun dem Senatsbeschluß entgegenzutreten, aber Thrasea hielt seinen<lb/>
leidenschaftlichen Eifer zurück, der ihm selbst nichts genützt, jenem den Unter¬<lb/>
gang gebracht haben würde.  Sein Leben sei beschlossen, die so viel Jahre<lb/>
hindurch befolgte Bahn könne er nicht verlassen, jener habe sein Leben noch<lb/>
vor sich und möge reiflich erwägen, welchen Weg er in einer solchen Zeit<lb/>
einschlage. Die Entscheidung über sein Erscheinen im Senat behielt er seinem<lb/>
eignen Ermessen vor.  Am folgenden Tage war der Venustempel, in dem der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0028] Dies sei eine Lossagung von der bestehenden Ordnung, Parteibildung und wenn es mehre wagten, offne Empörung. Dienach innern Wirren begierige Masse stelle bereits Thrasca und Nero, wie einst Cato von Utica und Julius Cäsar einander gegenüber. Es fehle ihm nicht an Anhängern oder vielmehr Nachtretern, die zwar noch nicht seine Widersetzlichkeit aber seine Haltung und Miene annähmen, um mit ihrer Steifheit und sauerm Aussehen dem Kai¬ ser Ausgelassenheit vorzuwerfen. Er allein ehre nicht die Virtuosität Neros. In den Provinzen, bei der Armee werde der tägliche Anzeiger eifrig gelesen, weil man erfahren wolle, was alles Thrasea nicht gethan habe. Es bliebe nun die Wahl, entweder auf seine Seite überzugehen oder den Revolutionären ihren Führer, ihren Organisator zu nehmen. Solche Einflüsterungen blieben nicht ohne Erfolg, Nero übertrug die Anklage zwei berüchtigten Delatoren, von denen der eine, Capito Cossutianus, einen persönlichen Haß gegen Thra¬ sea hegte, weil dieser einst zu seiner Verurtheilung wegen Erpressungen in der Provinz Cilicien beigetragen hatte. Thrasea. dem nun der persönliche Zutritt zu Nero versagt war, richtete ein Schreiben an ihn, in welchem er fragte, wessen man ihn anklage, und versicherte, daß er sich rechtfertigen werde, falls ihm Kenntniß von den erhobenen Beschuldigungen und die Möglichkeit würde, sie zu widerlegen. Nero nahm den Brief begierig entgegen, er hoffte. Thrasea habe sich einschüchtern lassen, etwas zu des Kaisers Verherrlichung oder zur Beschimpfung seines eignen Ruhmes zu schreiben. Als er sich getäuscht sah, beschleunigte er die entscheidende Sitzung. Thraseas Freunde waren ver¬ schiedener Meinung, ob er eine Vertheidigung versuchen oder verschmähen sollte. Für die erste Meinung ward der Eindruck angeführt, den der Anblick des seinem Tode entgegengehenden Mannes auf Volk und Senat machen, und daß die Nachwelt das Gedächtniß eines ehrenvollen Untergangs von der Feigheit der im Stillen Fallenden unterscheiden werde. Dagegen meinten andere, Thrasea setze sich durch Erscheinen im Senat einer unwürdigen Behandlung aus, die von den schlechtesten gewagt werden könnte und der sich dann die bessern wider ihren Willen anschließen müßten, er möge dem Senat diese Selbstbeschimpsung er¬ sparen, es möge unentschieden bleiben, welchen Beschluß die Väter in Thra¬ seas Gegenwart gefaßt haben würden. Arulanus Rusticus, damals ein feuriger junger Mann, der dieser Berathung beiwohnte, erbot sich in seiner Eigenschaft als Volkstribun dem Senatsbeschluß entgegenzutreten, aber Thrasea hielt seinen leidenschaftlichen Eifer zurück, der ihm selbst nichts genützt, jenem den Unter¬ gang gebracht haben würde. Sein Leben sei beschlossen, die so viel Jahre hindurch befolgte Bahn könne er nicht verlassen, jener habe sein Leben noch vor sich und möge reiflich erwägen, welchen Weg er in einer solchen Zeit einschlage. Die Entscheidung über sein Erscheinen im Senat behielt er seinem eignen Ermessen vor. Am folgenden Tage war der Venustempel, in dem der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/28
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/28>, abgerufen am 14.05.2024.