Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

treiben, so müßten sie auch wol noch die dortigen vier Festungen räumen,
und dieselben Leute, welche uns versichern, daß die Niederlage von Magenta
eigentlich ein Vortheil für die Oestreicher gewesen sei, weil sie sich infolge da¬
von ihren Quellen nähern, würden vielleicht uns auch vordemonstriren, daß
das Aufgeben von Mincio und Etsch ein noch größerer Vortheil für die Oest¬
reicher sei, weil sie sich nun offenbar noch mehr ihren Quellen nähern.

Was noch nicht ist. kann noch werden; für jetzt aber werden der Mincio-
linie und dem Festungsviereck ja noch magische Eigenschaften zugeschrieben.
Wahrhaftig, man spricht jetzt wieder von dieser Festungsgruppe, als ob sie
von sich selbst wirke, als ob sie handeln könne, wie ein vernünftiger Mensch.
Dieses indessen verhält sich gar nicht so. Im besten Falle kann eine solche
Gruppe als eine tüchtige Maschine betrachtet werden, welche der Mensch mit
Leib und Seele erst beleben und ausnutzen muß, die er allein regieren und
bald zweckmäßig, bald unzweckmäßig gebrauchen kann. Unzweckmäßig gebraucht
nutzt die Festungsgruppe ebenso wenig als die gezogenen Schießprügel.

Aber grade das blinde stiermüßige Vertrauen auf die unbedingte Wirkung
solcher Maschinen, über denen man den Geist, der sie gebrauchen sollte, glaubt
entbehren zu können, ist kein Prognostikon des Sieges.

Die Hauptsache für die Oestreichs würde wol sein, daß sie einen Geist
an die Spitze ihres Heeres brächten, daß sie endlich einmal die Verhältnisse
des Oberbefehles klar und angemessen gestalteten, daß sie nicht mehr stolz seien
aus die Menge deutscher Fürsten und Herrn. ..welche die Fahne Oestreichs
hoch haltensondern praktischen Stolz zeigten auf die Menge deutscher In¬
telligenz, welche im Heere steckt, und daß sie dieser rücksichtslos oder vielmehr
rücksichtsvoll die gebührende Stellung einräumten, statt das gute Recht dieser
Intelligenz an die verderbten Geschlechter zu verschleudern, welche eben auch
solche Traditionen sind, wie das berühmte Festungsviereck.

Kaum sind jemals einem Feldherrn günstigere Chancen des Sieges ge¬
boten worden, als dem Feldzeugmeister Giulay am Tessin. Und was ist da¬
raus geworden? Aus dem möglichen glänzenden Siege eine wirkliche glän¬
zende Niederlage. Welcher Feldherr hatte jemals tapferere, hartnäckigere,
lasere Soldaten? Wer hat sie jemals ärger mißbraucht und weniger gethan,
^hre Kräfte durch richtige Verwendung zu verwerthen? Wem bot der Feind
^ bequemere Gelegenheit zur Wirkung auf der für ihn günstigsten Linie? und
welcher Feldherr hat je weniger als Giulay Vortheil daraus zu ziehen ge¬
wußt, obgleich ihm, wie es constatirt ist, früh genug bekannt war, was
der Feind im Schilde führe.

Was sollten wol einem Führer dieser Art Etsch und Mincio mit ihren
festen Grenzsteinen nützen? Die festen Grenzsteine sind doch nur Steine. Wird
ein solcher Mann das Brod des Sieges aus ihnen backen?


Grenzboten III, 13os. 3

treiben, so müßten sie auch wol noch die dortigen vier Festungen räumen,
und dieselben Leute, welche uns versichern, daß die Niederlage von Magenta
eigentlich ein Vortheil für die Oestreicher gewesen sei, weil sie sich infolge da¬
von ihren Quellen nähern, würden vielleicht uns auch vordemonstriren, daß
das Aufgeben von Mincio und Etsch ein noch größerer Vortheil für die Oest¬
reicher sei, weil sie sich nun offenbar noch mehr ihren Quellen nähern.

Was noch nicht ist. kann noch werden; für jetzt aber werden der Mincio-
linie und dem Festungsviereck ja noch magische Eigenschaften zugeschrieben.
Wahrhaftig, man spricht jetzt wieder von dieser Festungsgruppe, als ob sie
von sich selbst wirke, als ob sie handeln könne, wie ein vernünftiger Mensch.
Dieses indessen verhält sich gar nicht so. Im besten Falle kann eine solche
Gruppe als eine tüchtige Maschine betrachtet werden, welche der Mensch mit
Leib und Seele erst beleben und ausnutzen muß, die er allein regieren und
bald zweckmäßig, bald unzweckmäßig gebrauchen kann. Unzweckmäßig gebraucht
nutzt die Festungsgruppe ebenso wenig als die gezogenen Schießprügel.

Aber grade das blinde stiermüßige Vertrauen auf die unbedingte Wirkung
solcher Maschinen, über denen man den Geist, der sie gebrauchen sollte, glaubt
entbehren zu können, ist kein Prognostikon des Sieges.

Die Hauptsache für die Oestreichs würde wol sein, daß sie einen Geist
an die Spitze ihres Heeres brächten, daß sie endlich einmal die Verhältnisse
des Oberbefehles klar und angemessen gestalteten, daß sie nicht mehr stolz seien
aus die Menge deutscher Fürsten und Herrn. ..welche die Fahne Oestreichs
hoch haltensondern praktischen Stolz zeigten auf die Menge deutscher In¬
telligenz, welche im Heere steckt, und daß sie dieser rücksichtslos oder vielmehr
rücksichtsvoll die gebührende Stellung einräumten, statt das gute Recht dieser
Intelligenz an die verderbten Geschlechter zu verschleudern, welche eben auch
solche Traditionen sind, wie das berühmte Festungsviereck.

Kaum sind jemals einem Feldherrn günstigere Chancen des Sieges ge¬
boten worden, als dem Feldzeugmeister Giulay am Tessin. Und was ist da¬
raus geworden? Aus dem möglichen glänzenden Siege eine wirkliche glän¬
zende Niederlage. Welcher Feldherr hatte jemals tapferere, hartnäckigere,
lasere Soldaten? Wer hat sie jemals ärger mißbraucht und weniger gethan,
^hre Kräfte durch richtige Verwendung zu verwerthen? Wem bot der Feind
^ bequemere Gelegenheit zur Wirkung auf der für ihn günstigsten Linie? und
welcher Feldherr hat je weniger als Giulay Vortheil daraus zu ziehen ge¬
wußt, obgleich ihm, wie es constatirt ist, früh genug bekannt war, was
der Feind im Schilde führe.

Was sollten wol einem Führer dieser Art Etsch und Mincio mit ihren
festen Grenzsteinen nützen? Die festen Grenzsteine sind doch nur Steine. Wird
ein solcher Mann das Brod des Sieges aus ihnen backen?


Grenzboten III, 13os. 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0031" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107617"/>
            <p xml:id="ID_41" prev="#ID_40"> treiben, so müßten sie auch wol noch die dortigen vier Festungen räumen,<lb/>
und dieselben Leute, welche uns versichern, daß die Niederlage von Magenta<lb/>
eigentlich ein Vortheil für die Oestreicher gewesen sei, weil sie sich infolge da¬<lb/>
von ihren Quellen nähern, würden vielleicht uns auch vordemonstriren, daß<lb/>
das Aufgeben von Mincio und Etsch ein noch größerer Vortheil für die Oest¬<lb/>
reicher sei, weil sie sich nun offenbar noch mehr ihren Quellen nähern.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_42"> Was noch nicht ist. kann noch werden; für jetzt aber werden der Mincio-<lb/>
linie und dem Festungsviereck ja noch magische Eigenschaften zugeschrieben.<lb/>
Wahrhaftig, man spricht jetzt wieder von dieser Festungsgruppe, als ob sie<lb/>
von sich selbst wirke, als ob sie handeln könne, wie ein vernünftiger Mensch.<lb/>
Dieses indessen verhält sich gar nicht so. Im besten Falle kann eine solche<lb/>
Gruppe als eine tüchtige Maschine betrachtet werden, welche der Mensch mit<lb/>
Leib und Seele erst beleben und ausnutzen muß, die er allein regieren und<lb/>
bald zweckmäßig, bald unzweckmäßig gebrauchen kann. Unzweckmäßig gebraucht<lb/>
nutzt die Festungsgruppe ebenso wenig als die gezogenen Schießprügel.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_43"> Aber grade das blinde stiermüßige Vertrauen auf die unbedingte Wirkung<lb/>
solcher Maschinen, über denen man den Geist, der sie gebrauchen sollte, glaubt<lb/>
entbehren zu können, ist kein Prognostikon des Sieges.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_44"> Die Hauptsache für die Oestreichs würde wol sein, daß sie einen Geist<lb/>
an die Spitze ihres Heeres brächten, daß sie endlich einmal die Verhältnisse<lb/>
des Oberbefehles klar und angemessen gestalteten, daß sie nicht mehr stolz seien<lb/>
aus die Menge deutscher Fürsten und Herrn. ..welche die Fahne Oestreichs<lb/>
hoch haltensondern praktischen Stolz zeigten auf die Menge deutscher In¬<lb/>
telligenz, welche im Heere steckt, und daß sie dieser rücksichtslos oder vielmehr<lb/>
rücksichtsvoll die gebührende Stellung einräumten, statt das gute Recht dieser<lb/>
Intelligenz an die verderbten Geschlechter zu verschleudern, welche eben auch<lb/>
solche Traditionen sind, wie das berühmte Festungsviereck.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_45"> Kaum sind jemals einem Feldherrn günstigere Chancen des Sieges ge¬<lb/>
boten worden, als dem Feldzeugmeister Giulay am Tessin. Und was ist da¬<lb/>
raus geworden? Aus dem möglichen glänzenden Siege eine wirkliche glän¬<lb/>
zende Niederlage. Welcher Feldherr hatte jemals tapferere, hartnäckigere,<lb/>
lasere Soldaten? Wer hat sie jemals ärger mißbraucht und weniger gethan,<lb/>
^hre Kräfte durch richtige Verwendung zu verwerthen? Wem bot der Feind<lb/>
^ bequemere Gelegenheit zur Wirkung auf der für ihn günstigsten Linie? und<lb/>
welcher Feldherr hat je weniger als Giulay Vortheil daraus zu ziehen ge¬<lb/>
wußt, obgleich ihm, wie es constatirt ist, früh genug bekannt war, was<lb/>
der Feind im Schilde führe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_46"> Was sollten wol einem Führer dieser Art Etsch und Mincio mit ihren<lb/>
festen Grenzsteinen nützen? Die festen Grenzsteine sind doch nur Steine. Wird<lb/>
ein solcher Mann das Brod des Sieges aus ihnen backen?</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III, 13os. 3</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0031] treiben, so müßten sie auch wol noch die dortigen vier Festungen räumen, und dieselben Leute, welche uns versichern, daß die Niederlage von Magenta eigentlich ein Vortheil für die Oestreicher gewesen sei, weil sie sich infolge da¬ von ihren Quellen nähern, würden vielleicht uns auch vordemonstriren, daß das Aufgeben von Mincio und Etsch ein noch größerer Vortheil für die Oest¬ reicher sei, weil sie sich nun offenbar noch mehr ihren Quellen nähern. Was noch nicht ist. kann noch werden; für jetzt aber werden der Mincio- linie und dem Festungsviereck ja noch magische Eigenschaften zugeschrieben. Wahrhaftig, man spricht jetzt wieder von dieser Festungsgruppe, als ob sie von sich selbst wirke, als ob sie handeln könne, wie ein vernünftiger Mensch. Dieses indessen verhält sich gar nicht so. Im besten Falle kann eine solche Gruppe als eine tüchtige Maschine betrachtet werden, welche der Mensch mit Leib und Seele erst beleben und ausnutzen muß, die er allein regieren und bald zweckmäßig, bald unzweckmäßig gebrauchen kann. Unzweckmäßig gebraucht nutzt die Festungsgruppe ebenso wenig als die gezogenen Schießprügel. Aber grade das blinde stiermüßige Vertrauen auf die unbedingte Wirkung solcher Maschinen, über denen man den Geist, der sie gebrauchen sollte, glaubt entbehren zu können, ist kein Prognostikon des Sieges. Die Hauptsache für die Oestreichs würde wol sein, daß sie einen Geist an die Spitze ihres Heeres brächten, daß sie endlich einmal die Verhältnisse des Oberbefehles klar und angemessen gestalteten, daß sie nicht mehr stolz seien aus die Menge deutscher Fürsten und Herrn. ..welche die Fahne Oestreichs hoch haltensondern praktischen Stolz zeigten auf die Menge deutscher In¬ telligenz, welche im Heere steckt, und daß sie dieser rücksichtslos oder vielmehr rücksichtsvoll die gebührende Stellung einräumten, statt das gute Recht dieser Intelligenz an die verderbten Geschlechter zu verschleudern, welche eben auch solche Traditionen sind, wie das berühmte Festungsviereck. Kaum sind jemals einem Feldherrn günstigere Chancen des Sieges ge¬ boten worden, als dem Feldzeugmeister Giulay am Tessin. Und was ist da¬ raus geworden? Aus dem möglichen glänzenden Siege eine wirkliche glän¬ zende Niederlage. Welcher Feldherr hatte jemals tapferere, hartnäckigere, lasere Soldaten? Wer hat sie jemals ärger mißbraucht und weniger gethan, ^hre Kräfte durch richtige Verwendung zu verwerthen? Wem bot der Feind ^ bequemere Gelegenheit zur Wirkung auf der für ihn günstigsten Linie? und welcher Feldherr hat je weniger als Giulay Vortheil daraus zu ziehen ge¬ wußt, obgleich ihm, wie es constatirt ist, früh genug bekannt war, was der Feind im Schilde führe. Was sollten wol einem Führer dieser Art Etsch und Mincio mit ihren festen Grenzsteinen nützen? Die festen Grenzsteine sind doch nur Steine. Wird ein solcher Mann das Brod des Sieges aus ihnen backen? Grenzboten III, 13os. 3

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/31
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/31>, abgerufen am 11.05.2024.