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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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und einige Nitualvorschriften, gibt es verschiedene Ansichten. Daraus ent¬
wickelten sich die Schulen oder Riten der Chanasiten, der Schafeiten, der Hcnnb^
litem und der Mautner. Die Chanasiten, davon benannt, daß sie die religiös
Waschung nur in fließendem Wasser vollziehen zu dürfen glauben, weshalb w
ihren Moscheen sich stets eine Chanafijeh, d. i. ein hochstehender Wasserbehält^
mit Rohren, aus denen das flüssige Element herabfällt, befindet, sind jetzt wie
in der ganzen europäischen Türkei und in Kleinasien so auch in Jerusnle'U
bei weitem die zahlreichsten. Die Schaseiten. welche früher in Jerusalem
allein herrschten, haben hier gegenwärtig nur noch wenige Anhänger. 2^
Gebiet beschränkt sich aus Kairo, einzelne Theile des Nildelta und Arabien,
während die Mautner ihren Sitz in Oberägypten haben. Die Hambalite"
zählen nur noch einige Gemeinden in Nordafrika. Beobachten die Mohaniw^
dauer Jerusalems gewissenhafter als andere die äußern Vorschriften ihre
Glaubens, so ist nach manchen Zeichen anzunehmen, daß der alte relig>">
Geist auch unter ihnen nicht mehr lebt, und so vermochte die Aufregung, ^
infolge der Revolution in Indien durch die ganze mohammedanische ^
ging, unter ihnen auch nur den alten Christenhaß wieder zu entzünden.
Sie kennen aber die Macht der Franken zu gut, um sich Thätlichkeiten zu ^
landen, wie sie früher vorkamen. Wenn türkische Würdenträger zusanune>
kommen, sagte mir eine verläßliche Autorität, so ist das Thema ihrer Unke^
Haltung fast immer der Untergang des Sultansreiches, und selten findet M
-einer, der nicht fürchtet, denselben erleben zu müssen.

Man kann aber auch nach dem, was in Jerusalem geschieht, nur wu"
schen, daß die Katastrophe bald eintrete. Die Geschäfte werden von den ^'
cnnren nur dann mit Eifer gefördert, wenn für den Verwalter oder Nichts
dabei ein Bortheil herausspringt, und schreiende Willkür, dreiste Bestechlich^'
grobe Pflichtverletzung sind von den Kreisen des Paschas herab bis zu ^
untersten an der Tagesordnung. Nur mit den Soldaten scheint man ^
Ausnahme zu machen. Sie stecken zwar im gröbsten Tuch, und ihre ^
bekicidung erweckt das tiefste Mitleid mit ihren Sohlen und Zehen.
Bewaffnung aber -- sie besteht zum Theil in Miniögewehren -- ist vortrci
lich, die Kasernen find reinlich, die Verpflegung mit Lebensmitteln dabei
auch werden sie auf dem Exercierplatz in dem Olivenwäldchcn am Herod^
thor fleißig im Manövriren und Bajonettfechtcn geübt. Alle übrigen ^
thauen des Sultans, einige Patricierfamilien (Effendis) etwa ausgcnomnn



") Woher Pastor Wolfs die Behauptung hat, der Kvrnu sei "das Lesebuch der Mos""N^
dauer jedes Standes in den Tagen der Kindheit und des Mannesalters", ist räthselhaN' ^j,
von den Türken und Arabern Jerusalems können, wie ich aus bester Quelle weiß, keine
hundert lesen. Noch unverantwortlicher aber ist es, wenn derselbe Reisende meint, '^">
hammedaücr sei vielleicht der empfänglichste Mensch für das Christenthum. Er ist
Hindu sicher der unempfänglichste

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wickelten sich die Schulen oder Riten der Chanasiten, der Schafeiten, der Hcnnb^
litem und der Mautner. Die Chanasiten, davon benannt, daß sie die religiös
Waschung nur in fließendem Wasser vollziehen zu dürfen glauben, weshalb w
ihren Moscheen sich stets eine Chanafijeh, d. i. ein hochstehender Wasserbehält^
mit Rohren, aus denen das flüssige Element herabfällt, befindet, sind jetzt wie
in der ganzen europäischen Türkei und in Kleinasien so auch in Jerusnle'U
bei weitem die zahlreichsten. Die Schaseiten. welche früher in Jerusalem
allein herrschten, haben hier gegenwärtig nur noch wenige Anhänger. 2^
Gebiet beschränkt sich aus Kairo, einzelne Theile des Nildelta und Arabien,
während die Mautner ihren Sitz in Oberägypten haben. Die Hambalite»
zählen nur noch einige Gemeinden in Nordafrika. Beobachten die Mohaniw^
dauer Jerusalems gewissenhafter als andere die äußern Vorschriften ihre
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Geist auch unter ihnen nicht mehr lebt, und so vermochte die Aufregung, ^
infolge der Revolution in Indien durch die ganze mohammedanische ^
ging, unter ihnen auch nur den alten Christenhaß wieder zu entzünden.
Sie kennen aber die Macht der Franken zu gut, um sich Thätlichkeiten zu ^
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Haltung fast immer der Untergang des Sultansreiches, und selten findet M
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cnnren nur dann mit Eifer gefördert, wenn für den Verwalter oder Nichts
dabei ein Bortheil herausspringt, und schreiende Willkür, dreiste Bestechlich^'
grobe Pflichtverletzung sind von den Kreisen des Paschas herab bis zu ^
untersten an der Tagesordnung. Nur mit den Soldaten scheint man ^
Ausnahme zu machen. Sie stecken zwar im gröbsten Tuch, und ihre ^
bekicidung erweckt das tiefste Mitleid mit ihren Sohlen und Zehen.
Bewaffnung aber — sie besteht zum Theil in Miniögewehren — ist vortrci
lich, die Kasernen find reinlich, die Verpflegung mit Lebensmitteln dabei
auch werden sie auf dem Exercierplatz in dem Olivenwäldchcn am Herod^
thor fleißig im Manövriren und Bajonettfechtcn geübt. Alle übrigen ^
thauen des Sultans, einige Patricierfamilien (Effendis) etwa ausgcnomnn



") Woher Pastor Wolfs die Behauptung hat, der Kvrnu sei „das Lesebuch der Mos""N^
dauer jedes Standes in den Tagen der Kindheit und des Mannesalters", ist räthselhaN' ^j,
von den Türken und Arabern Jerusalems können, wie ich aus bester Quelle weiß, keine
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[0342] und einige Nitualvorschriften, gibt es verschiedene Ansichten. Daraus ent¬ wickelten sich die Schulen oder Riten der Chanasiten, der Schafeiten, der Hcnnb^ litem und der Mautner. Die Chanasiten, davon benannt, daß sie die religiös Waschung nur in fließendem Wasser vollziehen zu dürfen glauben, weshalb w ihren Moscheen sich stets eine Chanafijeh, d. i. ein hochstehender Wasserbehält^ mit Rohren, aus denen das flüssige Element herabfällt, befindet, sind jetzt wie in der ganzen europäischen Türkei und in Kleinasien so auch in Jerusnle'U bei weitem die zahlreichsten. Die Schaseiten. welche früher in Jerusalem allein herrschten, haben hier gegenwärtig nur noch wenige Anhänger. 2^ Gebiet beschränkt sich aus Kairo, einzelne Theile des Nildelta und Arabien, während die Mautner ihren Sitz in Oberägypten haben. Die Hambalite» zählen nur noch einige Gemeinden in Nordafrika. Beobachten die Mohaniw^ dauer Jerusalems gewissenhafter als andere die äußern Vorschriften ihre Glaubens, so ist nach manchen Zeichen anzunehmen, daß der alte relig>"> Geist auch unter ihnen nicht mehr lebt, und so vermochte die Aufregung, ^ infolge der Revolution in Indien durch die ganze mohammedanische ^ ging, unter ihnen auch nur den alten Christenhaß wieder zu entzünden. Sie kennen aber die Macht der Franken zu gut, um sich Thätlichkeiten zu ^ landen, wie sie früher vorkamen. Wenn türkische Würdenträger zusanune> kommen, sagte mir eine verläßliche Autorität, so ist das Thema ihrer Unke^ Haltung fast immer der Untergang des Sultansreiches, und selten findet M -einer, der nicht fürchtet, denselben erleben zu müssen. Man kann aber auch nach dem, was in Jerusalem geschieht, nur wu» schen, daß die Katastrophe bald eintrete. Die Geschäfte werden von den ^' cnnren nur dann mit Eifer gefördert, wenn für den Verwalter oder Nichts dabei ein Bortheil herausspringt, und schreiende Willkür, dreiste Bestechlich^' grobe Pflichtverletzung sind von den Kreisen des Paschas herab bis zu ^ untersten an der Tagesordnung. Nur mit den Soldaten scheint man ^ Ausnahme zu machen. Sie stecken zwar im gröbsten Tuch, und ihre ^ bekicidung erweckt das tiefste Mitleid mit ihren Sohlen und Zehen. Bewaffnung aber — sie besteht zum Theil in Miniögewehren — ist vortrci lich, die Kasernen find reinlich, die Verpflegung mit Lebensmitteln dabei auch werden sie auf dem Exercierplatz in dem Olivenwäldchcn am Herod^ thor fleißig im Manövriren und Bajonettfechtcn geübt. Alle übrigen ^ thauen des Sultans, einige Patricierfamilien (Effendis) etwa ausgcnomnn ") Woher Pastor Wolfs die Behauptung hat, der Kvrnu sei „das Lesebuch der Mos""N^ dauer jedes Standes in den Tagen der Kindheit und des Mannesalters", ist räthselhaN' ^j, von den Türken und Arabern Jerusalems können, wie ich aus bester Quelle weiß, keine hundert lesen. Noch unverantwortlicher aber ist es, wenn derselbe Reisende meint, '^»> hammedaücr sei vielleicht der empfänglichste Mensch für das Christenthum. Er ist Hindu sicher der unempfänglichste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/342>, abgerufen am 26.05.2024.