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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Nach der Tagesordnung, welche die ständige Deputation des Kongresses
w Berlin endgiltig berathen und festgestellt hat. wird die Versammlung nächst
den Berichten über die vom vorjährigen Congreß gestellten Ausgaben und
den daran geknüpften Specialerörterungen hauptsächlich in der ersten Abthei¬
lung die Frage:

"auf welchen geeignetsten Wegen volkswirthschaftliche Kenntmsse zu ver¬
breiten seien"

M Discussion stellen. Die zweite Abtheilung wird sich mehr mit dem Ge-
>verbewesen insbesondere beschäftigen, und hier soll unter anderem die zur
Überschrift dieses Aussatzes dienende Frage besprochen werden.

Seit einigen Jahren wurde viel für und gegen die Aufhebung der
Wuchergesetze geschrieben und zwar von Laien und Gelehrten, und während
ieme mit sehr'seltenen Ausnahmen für die Aufhebung in die Schranken tra¬
ten, waren die Stimmen der Rechtsgelehrten wenigstens getheilt, und wie
preußische Handelsminister v. d. Heydt in einem Circulnr an die könig-
l'chen Regierungen wegen Begutachtung dieser Frage bekannt machte, theil-
'en sich die bereits vorliegenden Gutachten in solche, welche unbedingte
Aufhebung verlangten, und in solche, welche Beibehaltung, theils sogar
Schärfung beantragten. Das ist der Streit zwischen der Theorie und
der Praxis, und jedenfalls rührt diese völlige Meinungsverschiedenheit wol
nur daher, weil man sich vielfältig keinen rechten Begriff davon macht, was
Sucher ist. Die Theoretiker denken nur an das Verbrechen, das in so be¬
zeichnender Weis" wie folgt geschildert wird: "Man stellt sich den von göttlichen
und menschlichen Gesetzen verbotenen Wucher immer als ein greuliches, wahr-
bust Entsetzen erregendes Gespenst vor. -- es ist eine hohläugige Harpye,
welche im Finstern umherschleichend ihre Opfer aufsucht, um sie mit ihren
fürchterlichen Krallen zu zerfleischen und ihnen das Herzblut auszusagen. Sie
'°de ihr Opfer nicht los. so lange sie noch einen Tropfen Blut in demselben
lpürt, wenn es ihr nicht gewaltsam entrissen wird. Je mehr Opfer ihr gc-
Wlcn sind, desto unersättlicher ist sie und desto größer wird ihre Gier nach
Neuen. Die Höhle, welche sie bewohnt, ist nach allen Seiten mit einem un-
llchbaren Netz umspannt und die Schlingen weit umhergeworfen. Der tru-
^ische blendende Schimmer des zum nackten Leben und dessen vielfachen Be¬
dürfnissen unentbehrlichen Geldes ist die verführerische, unwiderstehliche Lock-
'p"se. welche die armen Bethörten verführt; aber wehe, wenn euren solchen
"ur einmal ein einzelnes Fädchen jenes Netzes erfaßt hat! D.e Harpye zieht
'du fast unmerkbar herbei - näher und immer näher, bis er vollständig um-
?<"ut und gefesselt ist und dann erst in wilden, verzweiflungsvollen Zuckungen
^ur unvermeidlichen Schicksal zu entrinnen sucht, bis er zuletzt den ohn¬
mächtigen, fruchtlosen Widerstand ausgibt und regungslos mit erdrückten Weh-


Nach der Tagesordnung, welche die ständige Deputation des Kongresses
w Berlin endgiltig berathen und festgestellt hat. wird die Versammlung nächst
den Berichten über die vom vorjährigen Congreß gestellten Ausgaben und
den daran geknüpften Specialerörterungen hauptsächlich in der ersten Abthei¬
lung die Frage:

»auf welchen geeignetsten Wegen volkswirthschaftliche Kenntmsse zu ver¬
breiten seien"

M Discussion stellen. Die zweite Abtheilung wird sich mehr mit dem Ge-
>verbewesen insbesondere beschäftigen, und hier soll unter anderem die zur
Überschrift dieses Aussatzes dienende Frage besprochen werden.

Seit einigen Jahren wurde viel für und gegen die Aufhebung der
Wuchergesetze geschrieben und zwar von Laien und Gelehrten, und während
ieme mit sehr'seltenen Ausnahmen für die Aufhebung in die Schranken tra¬
ten, waren die Stimmen der Rechtsgelehrten wenigstens getheilt, und wie
preußische Handelsminister v. d. Heydt in einem Circulnr an die könig-
l'chen Regierungen wegen Begutachtung dieser Frage bekannt machte, theil-
'en sich die bereits vorliegenden Gutachten in solche, welche unbedingte
Aufhebung verlangten, und in solche, welche Beibehaltung, theils sogar
Schärfung beantragten. Das ist der Streit zwischen der Theorie und
der Praxis, und jedenfalls rührt diese völlige Meinungsverschiedenheit wol
nur daher, weil man sich vielfältig keinen rechten Begriff davon macht, was
Sucher ist. Die Theoretiker denken nur an das Verbrechen, das in so be¬
zeichnender Weis« wie folgt geschildert wird: „Man stellt sich den von göttlichen
und menschlichen Gesetzen verbotenen Wucher immer als ein greuliches, wahr-
bust Entsetzen erregendes Gespenst vor. — es ist eine hohläugige Harpye,
welche im Finstern umherschleichend ihre Opfer aufsucht, um sie mit ihren
fürchterlichen Krallen zu zerfleischen und ihnen das Herzblut auszusagen. Sie
'°de ihr Opfer nicht los. so lange sie noch einen Tropfen Blut in demselben
lpürt, wenn es ihr nicht gewaltsam entrissen wird. Je mehr Opfer ihr gc-
Wlcn sind, desto unersättlicher ist sie und desto größer wird ihre Gier nach
Neuen. Die Höhle, welche sie bewohnt, ist nach allen Seiten mit einem un-
llchbaren Netz umspannt und die Schlingen weit umhergeworfen. Der tru-
^ische blendende Schimmer des zum nackten Leben und dessen vielfachen Be¬
dürfnissen unentbehrlichen Geldes ist die verführerische, unwiderstehliche Lock-
'p"se. welche die armen Bethörten verführt; aber wehe, wenn euren solchen
"ur einmal ein einzelnes Fädchen jenes Netzes erfaßt hat! D.e Harpye zieht
'du fast unmerkbar herbei - näher und immer näher, bis er vollständig um-
?<"ut und gefesselt ist und dann erst in wilden, verzweiflungsvollen Zuckungen
^ur unvermeidlichen Schicksal zu entrinnen sucht, bis er zuletzt den ohn¬
mächtigen, fruchtlosen Widerstand ausgibt und regungslos mit erdrückten Weh-


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[0403] Nach der Tagesordnung, welche die ständige Deputation des Kongresses w Berlin endgiltig berathen und festgestellt hat. wird die Versammlung nächst den Berichten über die vom vorjährigen Congreß gestellten Ausgaben und den daran geknüpften Specialerörterungen hauptsächlich in der ersten Abthei¬ lung die Frage: »auf welchen geeignetsten Wegen volkswirthschaftliche Kenntmsse zu ver¬ breiten seien" M Discussion stellen. Die zweite Abtheilung wird sich mehr mit dem Ge- >verbewesen insbesondere beschäftigen, und hier soll unter anderem die zur Überschrift dieses Aussatzes dienende Frage besprochen werden. Seit einigen Jahren wurde viel für und gegen die Aufhebung der Wuchergesetze geschrieben und zwar von Laien und Gelehrten, und während ieme mit sehr'seltenen Ausnahmen für die Aufhebung in die Schranken tra¬ ten, waren die Stimmen der Rechtsgelehrten wenigstens getheilt, und wie preußische Handelsminister v. d. Heydt in einem Circulnr an die könig- l'chen Regierungen wegen Begutachtung dieser Frage bekannt machte, theil- 'en sich die bereits vorliegenden Gutachten in solche, welche unbedingte Aufhebung verlangten, und in solche, welche Beibehaltung, theils sogar Schärfung beantragten. Das ist der Streit zwischen der Theorie und der Praxis, und jedenfalls rührt diese völlige Meinungsverschiedenheit wol nur daher, weil man sich vielfältig keinen rechten Begriff davon macht, was Sucher ist. Die Theoretiker denken nur an das Verbrechen, das in so be¬ zeichnender Weis« wie folgt geschildert wird: „Man stellt sich den von göttlichen und menschlichen Gesetzen verbotenen Wucher immer als ein greuliches, wahr- bust Entsetzen erregendes Gespenst vor. — es ist eine hohläugige Harpye, welche im Finstern umherschleichend ihre Opfer aufsucht, um sie mit ihren fürchterlichen Krallen zu zerfleischen und ihnen das Herzblut auszusagen. Sie '°de ihr Opfer nicht los. so lange sie noch einen Tropfen Blut in demselben lpürt, wenn es ihr nicht gewaltsam entrissen wird. Je mehr Opfer ihr gc- Wlcn sind, desto unersättlicher ist sie und desto größer wird ihre Gier nach Neuen. Die Höhle, welche sie bewohnt, ist nach allen Seiten mit einem un- llchbaren Netz umspannt und die Schlingen weit umhergeworfen. Der tru- ^ische blendende Schimmer des zum nackten Leben und dessen vielfachen Be¬ dürfnissen unentbehrlichen Geldes ist die verführerische, unwiderstehliche Lock- 'p"se. welche die armen Bethörten verführt; aber wehe, wenn euren solchen "ur einmal ein einzelnes Fädchen jenes Netzes erfaßt hat! D.e Harpye zieht 'du fast unmerkbar herbei - näher und immer näher, bis er vollständig um- ?<"ut und gefesselt ist und dann erst in wilden, verzweiflungsvollen Zuckungen ^ur unvermeidlichen Schicksal zu entrinnen sucht, bis er zuletzt den ohn¬ mächtigen, fruchtlosen Widerstand ausgibt und regungslos mit erdrückten Weh-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/403>, abgerufen am 12.05.2024.