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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Ein solcher Magier ist Schelling und er ist darin im Bunde mit allen
Dichtern und Denkern der Zeit. Er will den Schatten auffangen, den der
Geist auf die Erde wirst und ihn der intellectuellen Anschauung vorstellen.
Schon dieser Vorsatz setzt ihn in Entzücken. Es ist damit freilich noch nicht
viel gewonnen, das Bild, das ihm vorschwebt, hat noch ziemlich undeutliche
Umrisse, aber es ist auch keine bloße Starrheit. Der gebildete Geist sehnt sich
nach etwas, was ihm die Religion des Ungebildeten ersetzt; in diesem Suchen
geräth er auf wunderbare Irrfahrten, aber er entdeckt auch manchen kost¬
baren Edelstein, und nicht blos für den Suchenden selbst, sondern auch für uns
Nachgeborne hat das Bild dieser Irrfahrt etwas unaussprechlich Anziehen¬
des. Der Schatz ist nicht gehoben, aber wie in Goethes Schatzgräber ist doch
dabei zum Vorschein gekommen, was die Menschheit wirklich fördert.

Ein ernsthafter und eingehender Kritiker fand sich für die Schellingsche
Philosophie schon 1796.

Es war der Studiosus Herbart in Jena; die Recensionen, die er seinem
Lehrer Fichte vorlegte, sind noch vorhanden und machen seinem Scharfsinn
und seiner Wahrheitsliebe alle Ehre. Wie Fichte sie aufgenommen, ist nicht
bekannt.

Im Frühjahr 1796 verließ Schelling Tübingen und begab sich in Be¬
gleitung zweier jungen Barone von Riedesel nach Leipzig, wo er für das
philosophische Journal eine Reihe von Abhandlungen schrieb, die zur weitern
Erläuterung des neuen Systems dienen sollten; sie sind hauptsächlich polemischer
Natur und schon damals schlägt Schelling gegen die alten Kantianer jenen
burschikosen Ton göttlicher Grobheit an. der wol durch die gleichzeitigen
Genien angeregt wurde. Er bemerkt in diesen Aufsätzen, daß vor der Wie¬
derkehr der Verfinsterung der menschliche Geist ziemlich gesichert sei: "desto
mehr aber müssen wir jetzt darüber wachen, daß nicht eine einseitige Richtung,
die nie das Ganze der Menschheit, sondern immer nur ein Bruchstück -vor
Augen hat. den menschlichen Geist in seinen Fortschritten aufhalte oder seine
Kraft lähme. deren Kern und Mittelpunkt nur da liegt, wo alle Kräfte des
Menschen zusammenkommen." Er macht auf die Naturwissenschaft aufmerk¬
sam, "in welcher Männer von echt philosophischem Geist ohne Geräusch
Entdeckungen machten, an die sich bald die gesunde Philosophie unmittelbar
anschließen wird und die nur ein vom Interesse der Wissenschaft überhaupt
belebter Kopf vollends zusammenstellen darf, um dadurch aus einmal die
ganze Jammerepoche der Kantianer vergessen zu machen, die noch jetzt un¬
wissend, was außer ihnen vorgeht, sich mit ihrem Hirngespinnst von Dingen
an sich herumschlagen." Er eifert gegen die Accommodation der neuen ratio¬
nalistischen Theologie. Der Offenbarungsbegriff zerstöre in der Wissenschaft
aller Vernunftgebrauch und müsse aus der Wissenschaft verschwinden. Den


Ein solcher Magier ist Schelling und er ist darin im Bunde mit allen
Dichtern und Denkern der Zeit. Er will den Schatten auffangen, den der
Geist auf die Erde wirst und ihn der intellectuellen Anschauung vorstellen.
Schon dieser Vorsatz setzt ihn in Entzücken. Es ist damit freilich noch nicht
viel gewonnen, das Bild, das ihm vorschwebt, hat noch ziemlich undeutliche
Umrisse, aber es ist auch keine bloße Starrheit. Der gebildete Geist sehnt sich
nach etwas, was ihm die Religion des Ungebildeten ersetzt; in diesem Suchen
geräth er auf wunderbare Irrfahrten, aber er entdeckt auch manchen kost¬
baren Edelstein, und nicht blos für den Suchenden selbst, sondern auch für uns
Nachgeborne hat das Bild dieser Irrfahrt etwas unaussprechlich Anziehen¬
des. Der Schatz ist nicht gehoben, aber wie in Goethes Schatzgräber ist doch
dabei zum Vorschein gekommen, was die Menschheit wirklich fördert.

Ein ernsthafter und eingehender Kritiker fand sich für die Schellingsche
Philosophie schon 1796.

Es war der Studiosus Herbart in Jena; die Recensionen, die er seinem
Lehrer Fichte vorlegte, sind noch vorhanden und machen seinem Scharfsinn
und seiner Wahrheitsliebe alle Ehre. Wie Fichte sie aufgenommen, ist nicht
bekannt.

Im Frühjahr 1796 verließ Schelling Tübingen und begab sich in Be¬
gleitung zweier jungen Barone von Riedesel nach Leipzig, wo er für das
philosophische Journal eine Reihe von Abhandlungen schrieb, die zur weitern
Erläuterung des neuen Systems dienen sollten; sie sind hauptsächlich polemischer
Natur und schon damals schlägt Schelling gegen die alten Kantianer jenen
burschikosen Ton göttlicher Grobheit an. der wol durch die gleichzeitigen
Genien angeregt wurde. Er bemerkt in diesen Aufsätzen, daß vor der Wie¬
derkehr der Verfinsterung der menschliche Geist ziemlich gesichert sei: „desto
mehr aber müssen wir jetzt darüber wachen, daß nicht eine einseitige Richtung,
die nie das Ganze der Menschheit, sondern immer nur ein Bruchstück -vor
Augen hat. den menschlichen Geist in seinen Fortschritten aufhalte oder seine
Kraft lähme. deren Kern und Mittelpunkt nur da liegt, wo alle Kräfte des
Menschen zusammenkommen." Er macht auf die Naturwissenschaft aufmerk¬
sam, „in welcher Männer von echt philosophischem Geist ohne Geräusch
Entdeckungen machten, an die sich bald die gesunde Philosophie unmittelbar
anschließen wird und die nur ein vom Interesse der Wissenschaft überhaupt
belebter Kopf vollends zusammenstellen darf, um dadurch aus einmal die
ganze Jammerepoche der Kantianer vergessen zu machen, die noch jetzt un¬
wissend, was außer ihnen vorgeht, sich mit ihrem Hirngespinnst von Dingen
an sich herumschlagen." Er eifert gegen die Accommodation der neuen ratio¬
nalistischen Theologie. Der Offenbarungsbegriff zerstöre in der Wissenschaft
aller Vernunftgebrauch und müsse aus der Wissenschaft verschwinden. Den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/62>, abgerufen am 31.05.2024.