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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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liebe aufgehört, sich in der Natur zu offenbaren, und ist nur in der Geschichte
erkennbar; darum ist das Christenthum seinem innersten Geiste nach und im
höchsten Sinn historisch. In der idealen Welt, also vornehmlich der Geschichte,
legt das Göttliche die Hülle ab. sie ist das lautgewordene Mysterium des
göttlichen Reichs. Das Christenthum ist das geoffenbarte Mysterium und
seiner Natur nach cholerisch, wie das Heidenthum seiner Natur nach exoterisch.
In dem Verhältniß, daß die ideelle Welt offenbar wurde, mußte im Christen¬
thum die Natur als Geheimniß zurücktreten. Die höchste Religiosität, die
sich im christlichen Mysticismus ausdrückte, hielt das Geheimniß der Natur
und das der Menschwerdung Gottes sür eins und dasselbe. <' "In der schön¬
sten Blüte der griechischen Religion und Poesie offenbarte sich die ewige Noth¬
wendigkeit der Natur, wo der Widerstreit des Unendlichen und Endlichen noch
im gemeinschaftlichen Keim des Endlichen verschlossen ruht. Die neue Welt
beginnt mit einem allgemeinen Sündenfall, einem Abbrechen des Menschen
von der Natur." "Der Schluß der alten Zeit konnte nur dadurch gemacht
werden, daß das Unendliche in das Endliche kam, um es in eigner Person
Gott zu opfern und dadurch Gott zu versöhnen. Die erste Idee des Christen¬
thums ist daher nothwendig der menschgewordene Gott, Christus als Gipfel
und Ende der alten Götterwelt, als Grenze der beiden Welten. Er selbst
geht zurück ins Unsichtbare und verheißt statt seiner den Geist, das ideale
Princip, welches das Endliche zum Unendlichen zurückführt und als solches
dos Princip der neuen Welt ist. Die Vollendung der christlichen Ansicht des
Universums liegt in der Idee der Dreieinigkeit. Der ewige, aus dem Wesen
des Vaters aller Dinge geborene Sohn Gottes ist das Endliche selbst, wie es
in der ewigen Anschauung Gottes ist und welches als ein leidender und den
Verhängnissen der Zeit unterworfener Gott erscheint, der im Gipfel seiner Er¬
scheinung, in Christo, die Welt der Endlichkeit schließt und die der Unend¬
lichkeit eröffnet." "Seinem Ursprung nach ist das Christenthum aus der Ge¬
schichte und Bildung der Zeit seines Entstehens natürlich und als eine blos
einzelne Erscheinung des allgemeinen Geistes der Zeit erklärbar. Das Chri¬
stenthum war nur das Erste, wodurch derselbe ausgesprochen wurde. Das
römische Reich war Jahrhunderte zuvor reif zum Christenthum, ehe Konstan¬
tin das Kreuz zum Panier der neuen Weltherrschaft wählte. Die vollste Be¬
friedigung durch das Aeußere führte die Sehnsucht nach dem Innern und
Unsichtbaren herbei, ein zerfallendes Reich, dessen Macht blos zeitlich war,
der Verlorne Muth zum Objectiven, das Unglück der Zeit mußten die allge¬
meine Empfänglichkeit für eine Religion schaffen, die den Menschen an das
Ideale zurückwies. Verleugnung lehrte und zum Glück machte. Christus als
der Einzelne ist eine völlig begreifliche Person, und es war eine absolute Noth¬
wendigkeit, ihn als symbolische Person und in höherer Bedeutung zu fassen.


liebe aufgehört, sich in der Natur zu offenbaren, und ist nur in der Geschichte
erkennbar; darum ist das Christenthum seinem innersten Geiste nach und im
höchsten Sinn historisch. In der idealen Welt, also vornehmlich der Geschichte,
legt das Göttliche die Hülle ab. sie ist das lautgewordene Mysterium des
göttlichen Reichs. Das Christenthum ist das geoffenbarte Mysterium und
seiner Natur nach cholerisch, wie das Heidenthum seiner Natur nach exoterisch.
In dem Verhältniß, daß die ideelle Welt offenbar wurde, mußte im Christen¬
thum die Natur als Geheimniß zurücktreten. Die höchste Religiosität, die
sich im christlichen Mysticismus ausdrückte, hielt das Geheimniß der Natur
und das der Menschwerdung Gottes sür eins und dasselbe. <' „In der schön¬
sten Blüte der griechischen Religion und Poesie offenbarte sich die ewige Noth¬
wendigkeit der Natur, wo der Widerstreit des Unendlichen und Endlichen noch
im gemeinschaftlichen Keim des Endlichen verschlossen ruht. Die neue Welt
beginnt mit einem allgemeinen Sündenfall, einem Abbrechen des Menschen
von der Natur." „Der Schluß der alten Zeit konnte nur dadurch gemacht
werden, daß das Unendliche in das Endliche kam, um es in eigner Person
Gott zu opfern und dadurch Gott zu versöhnen. Die erste Idee des Christen¬
thums ist daher nothwendig der menschgewordene Gott, Christus als Gipfel
und Ende der alten Götterwelt, als Grenze der beiden Welten. Er selbst
geht zurück ins Unsichtbare und verheißt statt seiner den Geist, das ideale
Princip, welches das Endliche zum Unendlichen zurückführt und als solches
dos Princip der neuen Welt ist. Die Vollendung der christlichen Ansicht des
Universums liegt in der Idee der Dreieinigkeit. Der ewige, aus dem Wesen
des Vaters aller Dinge geborene Sohn Gottes ist das Endliche selbst, wie es
in der ewigen Anschauung Gottes ist und welches als ein leidender und den
Verhängnissen der Zeit unterworfener Gott erscheint, der im Gipfel seiner Er¬
scheinung, in Christo, die Welt der Endlichkeit schließt und die der Unend¬
lichkeit eröffnet." „Seinem Ursprung nach ist das Christenthum aus der Ge¬
schichte und Bildung der Zeit seines Entstehens natürlich und als eine blos
einzelne Erscheinung des allgemeinen Geistes der Zeit erklärbar. Das Chri¬
stenthum war nur das Erste, wodurch derselbe ausgesprochen wurde. Das
römische Reich war Jahrhunderte zuvor reif zum Christenthum, ehe Konstan¬
tin das Kreuz zum Panier der neuen Weltherrschaft wählte. Die vollste Be¬
friedigung durch das Aeußere führte die Sehnsucht nach dem Innern und
Unsichtbaren herbei, ein zerfallendes Reich, dessen Macht blos zeitlich war,
der Verlorne Muth zum Objectiven, das Unglück der Zeit mußten die allge¬
meine Empfänglichkeit für eine Religion schaffen, die den Menschen an das
Ideale zurückwies. Verleugnung lehrte und zum Glück machte. Christus als
der Einzelne ist eine völlig begreifliche Person, und es war eine absolute Noth¬
wendigkeit, ihn als symbolische Person und in höherer Bedeutung zu fassen.


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[0078] liebe aufgehört, sich in der Natur zu offenbaren, und ist nur in der Geschichte erkennbar; darum ist das Christenthum seinem innersten Geiste nach und im höchsten Sinn historisch. In der idealen Welt, also vornehmlich der Geschichte, legt das Göttliche die Hülle ab. sie ist das lautgewordene Mysterium des göttlichen Reichs. Das Christenthum ist das geoffenbarte Mysterium und seiner Natur nach cholerisch, wie das Heidenthum seiner Natur nach exoterisch. In dem Verhältniß, daß die ideelle Welt offenbar wurde, mußte im Christen¬ thum die Natur als Geheimniß zurücktreten. Die höchste Religiosität, die sich im christlichen Mysticismus ausdrückte, hielt das Geheimniß der Natur und das der Menschwerdung Gottes sür eins und dasselbe. <' „In der schön¬ sten Blüte der griechischen Religion und Poesie offenbarte sich die ewige Noth¬ wendigkeit der Natur, wo der Widerstreit des Unendlichen und Endlichen noch im gemeinschaftlichen Keim des Endlichen verschlossen ruht. Die neue Welt beginnt mit einem allgemeinen Sündenfall, einem Abbrechen des Menschen von der Natur." „Der Schluß der alten Zeit konnte nur dadurch gemacht werden, daß das Unendliche in das Endliche kam, um es in eigner Person Gott zu opfern und dadurch Gott zu versöhnen. Die erste Idee des Christen¬ thums ist daher nothwendig der menschgewordene Gott, Christus als Gipfel und Ende der alten Götterwelt, als Grenze der beiden Welten. Er selbst geht zurück ins Unsichtbare und verheißt statt seiner den Geist, das ideale Princip, welches das Endliche zum Unendlichen zurückführt und als solches dos Princip der neuen Welt ist. Die Vollendung der christlichen Ansicht des Universums liegt in der Idee der Dreieinigkeit. Der ewige, aus dem Wesen des Vaters aller Dinge geborene Sohn Gottes ist das Endliche selbst, wie es in der ewigen Anschauung Gottes ist und welches als ein leidender und den Verhängnissen der Zeit unterworfener Gott erscheint, der im Gipfel seiner Er¬ scheinung, in Christo, die Welt der Endlichkeit schließt und die der Unend¬ lichkeit eröffnet." „Seinem Ursprung nach ist das Christenthum aus der Ge¬ schichte und Bildung der Zeit seines Entstehens natürlich und als eine blos einzelne Erscheinung des allgemeinen Geistes der Zeit erklärbar. Das Chri¬ stenthum war nur das Erste, wodurch derselbe ausgesprochen wurde. Das römische Reich war Jahrhunderte zuvor reif zum Christenthum, ehe Konstan¬ tin das Kreuz zum Panier der neuen Weltherrschaft wählte. Die vollste Be¬ friedigung durch das Aeußere führte die Sehnsucht nach dem Innern und Unsichtbaren herbei, ein zerfallendes Reich, dessen Macht blos zeitlich war, der Verlorne Muth zum Objectiven, das Unglück der Zeit mußten die allge¬ meine Empfänglichkeit für eine Religion schaffen, die den Menschen an das Ideale zurückwies. Verleugnung lehrte und zum Glück machte. Christus als der Einzelne ist eine völlig begreifliche Person, und es war eine absolute Noth¬ wendigkeit, ihn als symbolische Person und in höherer Bedeutung zu fassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/78>, abgerufen am 31.05.2024.