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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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reiche Rolle gespielt. Ein starkes, tapferes Bergvolk theilten sie die Neigung
ihrer Nachbarn, der Schweizer, sich nach der schönen und reichen italischen
Ebene hin auszubreiten und wußten sich ebenso wie jene sicher und fast un¬
angreifbar in ihren Bergen. Als Kaiser Maximilian der Erste ihren Gesand¬
ten zu Jnspruck einst drohte, er werde genöthigt sein, sie mit den Waffen
heimzusuchen, antworteten ihm jene: thut das nicht, Herr, denn die Unsrigen
sind ein derbes Volk, und den Respect vor den Kronen haben sie nicht
gelernt!

Das Veltlin bekam zuerst die geeinigte Macht der drei Bünde zu fühlen.
Das alte Gelüst der Rhätier nach dem wichtigen Thal, das ihnen den Weg
nach Mailand, Bergamo, Brescia öffnete, hatte einen scheinbaren Rechtstitel
bekommen, als während der Streitigkeiten der Visconti untereinander einer
von ihnen, Mastino Visconti, zu dem schon genannten Bischof Hartmann von
Chur flüchtete und ihm für den gewährten Schutz all seine angeblichen An¬
sprüche auf das Veltlin nebst Chiavenna, Poschiavo und Bormio abtrat. Seit¬
dem waren die Graubündtner die beständigen Widersacher der Herzöge von
Mailand, und von Zeit zu Zeit wiederholten sie ihre Versuche, sich im Veltlin
festzusetzen, wobei sie häufig mit Mord und Brand bis weit ins Mailändische
schweiften. Bei solchen Streifzügen blieb es eine Zeit lang. Aber der geeig¬
nete Zeitpunkt für sie sollte bald kommen.

Man weiß, wie wechselvoll die Geschicke Oberitaliens waren, seitdem der
Herzog Ludovico Sforza von Mailand, genannt it Moro, Karl den Achten von
Frankreich ins Land gerufen hatte. Die Schwäche der oft wechselnden und
ihrer selbst nie gewissen Gewalten ward von den kriegerischen Nachbarn in den
Bergen nicht unbenutzt gelassen. Während die schweizer Eidgenossen sich im
tesfiner Land festsetzten, drangen 1512 die Graubündtner von neuem im Velt¬
lin ein; hier war an einen Widerstand nicht zu denken; die drückende Härte des
französischen Regiments, das sie nicht einmal vor den Landesfeinden zu schützen
vermochte, war längst verhaßt gewesen, und ebenso wenig mochten die Ber¬
liner Neigung haben, sich der Herrschaft des eben jetzt durch die Schweizer
wieder eingesetzten Maximilian Sforza von Mailand zu fügen; es war nicht
schwer vorauszusehn, daß auch die Regierung des neuen Herzogs nicht eben
leicht auf dem Lande lasten würde, wenn sich derselbe nur der eingegangenen
Verpflichtungen an die Schweizer entledigen wollte.

So wurden die Graubündtner jetzt mit Freuden aufgenommen; das Viva
Grigioni! hallte durch das ganze Thal, eine Versammlung der Gemeinden trat
zusammen, und in dem Frieden von Janke (April 1513) schloß man eine Con-
föderation. wonach das Veltlin als freie gleichberechtigte Landschaft zu den drei
Bünden hinzutreten, seine alten Freiheiten behalten und seine Deputirten zu
den gemeinsamen Bundestagen schicken sollte. So nahmen die .Graubündtner


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reiche Rolle gespielt. Ein starkes, tapferes Bergvolk theilten sie die Neigung
ihrer Nachbarn, der Schweizer, sich nach der schönen und reichen italischen
Ebene hin auszubreiten und wußten sich ebenso wie jene sicher und fast un¬
angreifbar in ihren Bergen. Als Kaiser Maximilian der Erste ihren Gesand¬
ten zu Jnspruck einst drohte, er werde genöthigt sein, sie mit den Waffen
heimzusuchen, antworteten ihm jene: thut das nicht, Herr, denn die Unsrigen
sind ein derbes Volk, und den Respect vor den Kronen haben sie nicht
gelernt!

Das Veltlin bekam zuerst die geeinigte Macht der drei Bünde zu fühlen.
Das alte Gelüst der Rhätier nach dem wichtigen Thal, das ihnen den Weg
nach Mailand, Bergamo, Brescia öffnete, hatte einen scheinbaren Rechtstitel
bekommen, als während der Streitigkeiten der Visconti untereinander einer
von ihnen, Mastino Visconti, zu dem schon genannten Bischof Hartmann von
Chur flüchtete und ihm für den gewährten Schutz all seine angeblichen An¬
sprüche auf das Veltlin nebst Chiavenna, Poschiavo und Bormio abtrat. Seit¬
dem waren die Graubündtner die beständigen Widersacher der Herzöge von
Mailand, und von Zeit zu Zeit wiederholten sie ihre Versuche, sich im Veltlin
festzusetzen, wobei sie häufig mit Mord und Brand bis weit ins Mailändische
schweiften. Bei solchen Streifzügen blieb es eine Zeit lang. Aber der geeig¬
nete Zeitpunkt für sie sollte bald kommen.

Man weiß, wie wechselvoll die Geschicke Oberitaliens waren, seitdem der
Herzog Ludovico Sforza von Mailand, genannt it Moro, Karl den Achten von
Frankreich ins Land gerufen hatte. Die Schwäche der oft wechselnden und
ihrer selbst nie gewissen Gewalten ward von den kriegerischen Nachbarn in den
Bergen nicht unbenutzt gelassen. Während die schweizer Eidgenossen sich im
tesfiner Land festsetzten, drangen 1512 die Graubündtner von neuem im Velt¬
lin ein; hier war an einen Widerstand nicht zu denken; die drückende Härte des
französischen Regiments, das sie nicht einmal vor den Landesfeinden zu schützen
vermochte, war längst verhaßt gewesen, und ebenso wenig mochten die Ber¬
liner Neigung haben, sich der Herrschaft des eben jetzt durch die Schweizer
wieder eingesetzten Maximilian Sforza von Mailand zu fügen; es war nicht
schwer vorauszusehn, daß auch die Regierung des neuen Herzogs nicht eben
leicht auf dem Lande lasten würde, wenn sich derselbe nur der eingegangenen
Verpflichtungen an die Schweizer entledigen wollte.

So wurden die Graubündtner jetzt mit Freuden aufgenommen; das Viva
Grigioni! hallte durch das ganze Thal, eine Versammlung der Gemeinden trat
zusammen, und in dem Frieden von Janke (April 1513) schloß man eine Con-
föderation. wonach das Veltlin als freie gleichberechtigte Landschaft zu den drei
Bünden hinzutreten, seine alten Freiheiten behalten und seine Deputirten zu
den gemeinsamen Bundestagen schicken sollte. So nahmen die .Graubündtner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/97>, abgerufen am 05.06.2024.