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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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und zwischen den leitenden Ministern der Mittelstaaten finden Konferenzen statt,
um, vielleicht in Uebereinstimmung mit Oestreich, anderweitige Projecte für
eine Reform der deutschen Bundesverfassung zu ersinnen. Wie man auch über
den Werth dieser verschiedenen Thatsachen denken mag, so viel stellt sich mit
überwiegender Klarheit heraus, daß auf diesem Wege die deutsche Einheit
wenigstens nicht schnell zu Stande kommt. Die beiden erstgenannten Noten
setzen, wie billig, die freiwillige Einstimmung aller betheiligten Fürsten voraus,
und es läßt sich erwarten, daß von der andern Seite dieselbe Voraussetzung
stattfinden werde; mit einem Wort, es handelt sich wieder um Aufspeicherung
schätzbaren Materials. Die Zeit drängt aber; die europäischen Verwicklungen
werden vielleicht bald wieder eine Betheiligung Deutschlands in Anspruch
nehmen, und wenn bis dahin die deutsche Einheit nicht zu Stande kommt,
so muß man versuchen, wie es ohne deutsche Einheit gehn will.

In erster Linie steht noch immer die italienische Frage; an sie reiht sich
vielleicht bald die orientalische , die mit ihr auf das genaueste zusammenhängt.
Denn wie sich der europäische Areopag den Wünschen der Rumänen und der
Serben gegenüber verhalten wird, das hängt doch zum großen Theil davon
ab, wie sich Oestreich und Frankreich in Bezug auf die italienische Frage eini¬
gen. Daß sie sich bis jetzt noch nicht geeinigt haben, steht fest; der Kaiser
Napoleon ist rasch in seinen Entschlüssen, und so kann die Entscheidung über
Nacht kommen, um so mehr, da das unglückselige Ereigniß von Parma gezeigt
hat. daß es mit dem bisherigen Provisorium so nicht fortgehn kann.

Die Entscheidung darf Preußen nicht unvorbereitet treffen, und es muß
sich vorher klar machen, welche Partei es in dem zu erwartenden europäischen
Congreß zu nehmen, ob es sich überhaupt an demselben zu betheiligen hat.
Wartet es wieder ab. was ihm die Ereignisse bringen, so geräth es wieder
in jene Politik des Zufalls und der einander paralysirenden Rechtsbedenken,
die dem Frieden von Villafranca vorausging.

Zunächst liegt auf der Hand, daß von einem Rechtsverhältniß Preußens
gegen eine der betheiligten Mächte nicht mehr die Rede ist. Oestreich hat über
seinen Besitzstand mit Frankreich ohne Zuziehung eines dritten paciscirt. die
ehemaligen Beherrscher von Toscana. Modena und Parma stehen in keinem
Rechtsverhältniß zum deutschen Bunde. Preußen hat also nach dieser Seite
vollkommen freie Hand.

Wenn man blos das Wohl der Italiener berücksichtigt, so ist es augen¬
scheinlich, daß die Einverleibung jener Länder in das Königreich Sardinien
für sie der günstigste Ausgang sein würde. Die allgemeine Stimme hat
sich dafür ausgesprochen, Sardinien ist anerkannt der am besten verwaltete Staat
Italiens, er würde als Träger der Nationalität noch schneller fortschreiten,
und zugleich einen Umfang haben, der ihm verstattete, eine unabhängige


und zwischen den leitenden Ministern der Mittelstaaten finden Konferenzen statt,
um, vielleicht in Uebereinstimmung mit Oestreich, anderweitige Projecte für
eine Reform der deutschen Bundesverfassung zu ersinnen. Wie man auch über
den Werth dieser verschiedenen Thatsachen denken mag, so viel stellt sich mit
überwiegender Klarheit heraus, daß auf diesem Wege die deutsche Einheit
wenigstens nicht schnell zu Stande kommt. Die beiden erstgenannten Noten
setzen, wie billig, die freiwillige Einstimmung aller betheiligten Fürsten voraus,
und es läßt sich erwarten, daß von der andern Seite dieselbe Voraussetzung
stattfinden werde; mit einem Wort, es handelt sich wieder um Aufspeicherung
schätzbaren Materials. Die Zeit drängt aber; die europäischen Verwicklungen
werden vielleicht bald wieder eine Betheiligung Deutschlands in Anspruch
nehmen, und wenn bis dahin die deutsche Einheit nicht zu Stande kommt,
so muß man versuchen, wie es ohne deutsche Einheit gehn will.

In erster Linie steht noch immer die italienische Frage; an sie reiht sich
vielleicht bald die orientalische , die mit ihr auf das genaueste zusammenhängt.
Denn wie sich der europäische Areopag den Wünschen der Rumänen und der
Serben gegenüber verhalten wird, das hängt doch zum großen Theil davon
ab, wie sich Oestreich und Frankreich in Bezug auf die italienische Frage eini¬
gen. Daß sie sich bis jetzt noch nicht geeinigt haben, steht fest; der Kaiser
Napoleon ist rasch in seinen Entschlüssen, und so kann die Entscheidung über
Nacht kommen, um so mehr, da das unglückselige Ereigniß von Parma gezeigt
hat. daß es mit dem bisherigen Provisorium so nicht fortgehn kann.

Die Entscheidung darf Preußen nicht unvorbereitet treffen, und es muß
sich vorher klar machen, welche Partei es in dem zu erwartenden europäischen
Congreß zu nehmen, ob es sich überhaupt an demselben zu betheiligen hat.
Wartet es wieder ab. was ihm die Ereignisse bringen, so geräth es wieder
in jene Politik des Zufalls und der einander paralysirenden Rechtsbedenken,
die dem Frieden von Villafranca vorausging.

Zunächst liegt auf der Hand, daß von einem Rechtsverhältniß Preußens
gegen eine der betheiligten Mächte nicht mehr die Rede ist. Oestreich hat über
seinen Besitzstand mit Frankreich ohne Zuziehung eines dritten paciscirt. die
ehemaligen Beherrscher von Toscana. Modena und Parma stehen in keinem
Rechtsverhältniß zum deutschen Bunde. Preußen hat also nach dieser Seite
vollkommen freie Hand.

Wenn man blos das Wohl der Italiener berücksichtigt, so ist es augen¬
scheinlich, daß die Einverleibung jener Länder in das Königreich Sardinien
für sie der günstigste Ausgang sein würde. Die allgemeine Stimme hat
sich dafür ausgesprochen, Sardinien ist anerkannt der am besten verwaltete Staat
Italiens, er würde als Träger der Nationalität noch schneller fortschreiten,
und zugleich einen Umfang haben, der ihm verstattete, eine unabhängige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/126>, abgerufen am 21.05.2024.