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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Die Waldenser Pieumnts.

Sardinien ist der einzige constitutionelle Staat des unglücklichen, unter
geistlicher und weltlicher Gewaltherrschaft seufzenden Italiens und als solcher
hat er die Sympathien aller derer für sich, welche Gesetz und Gerechtigkeit
als die Grundsäulen einer jeden staatlichen Einrichtung anerkennen. Vor
allem aber müssen wir Protestanten die Negierung Sardiniens darum hoch¬
achten, weil dieser Staat in Italien der einzige ist, weicher Religionsfreiheit
proclcnnirt hat und den Protestanten vollkommene Gleichheit vor dem Ge¬
setz und unverkümmerte staatsbürgerliche Rechte gleich den Katholiken ge¬
währt, während in manchem katholischen Lande den Protestanten aus dem
Papier, aber nicht in der Praxis Rechte eingeräumt sind.

Jedermann kennt im Allgemeinen die Geschichte der Waldenser Pie-
monts und was sie seit Jahrhunderten unter der Glaubenstyrannei Roms
gelitten haben; wie treu sie demohngeachtet an ihren legitimen Herrschern,
den Herzogen von Piemont, hingen, die sie mehr als einmal aus der Gefahr
retteten und doch zum Dank für ihre Aufopferung eine nur geringfügige und
vorübergehende Erleichterung ihres Schicksals errangen.

Nachdem die grausamen Verfolgungen der Waldenser, in denen Tausende
derselben hingeopfert wurden, seit dem Anfang des vierzehnten Jahrhunderts
mit größeren und kleineren Unterbrechungen bis zu den Zeiten der französischen
Revolution gedauert hatten, ging den Verfolgten ein glücklicherer Stern auf.
Doch noch drohten einzelne Blitze; denn als im Jahr 1792 zwischen Frankreich
und Oestreich der Krieg erklärt war, schlug sich Piemont auf die Seite Oest¬
reichs. Gegen das Ende dieses Jahres aber war schon Savoyen von Montes-
quiou und die Provinz Nizza von Anselm erobert und mit Frankreich vereint
worden, welches sich zur Republik erklärte. Victor Amadeus der Dritte hatte
in diesem Kriege den Waldensern unter Gaubius Anführung die Vertheidigung
der Grenzen anvertraut. Die ganze Streitmacht der Waldenser war auf dein
Kamine der Alpen gelagert, um den eindringenden Feind abzuwehren, und in
ihren Thälern waren nur Greise, Kinder und Weiber zurückgeblieben.


Grenzboten IV. 1W9. 1
Die Waldenser Pieumnts.

Sardinien ist der einzige constitutionelle Staat des unglücklichen, unter
geistlicher und weltlicher Gewaltherrschaft seufzenden Italiens und als solcher
hat er die Sympathien aller derer für sich, welche Gesetz und Gerechtigkeit
als die Grundsäulen einer jeden staatlichen Einrichtung anerkennen. Vor
allem aber müssen wir Protestanten die Negierung Sardiniens darum hoch¬
achten, weil dieser Staat in Italien der einzige ist, weicher Religionsfreiheit
proclcnnirt hat und den Protestanten vollkommene Gleichheit vor dem Ge¬
setz und unverkümmerte staatsbürgerliche Rechte gleich den Katholiken ge¬
währt, während in manchem katholischen Lande den Protestanten aus dem
Papier, aber nicht in der Praxis Rechte eingeräumt sind.

Jedermann kennt im Allgemeinen die Geschichte der Waldenser Pie-
monts und was sie seit Jahrhunderten unter der Glaubenstyrannei Roms
gelitten haben; wie treu sie demohngeachtet an ihren legitimen Herrschern,
den Herzogen von Piemont, hingen, die sie mehr als einmal aus der Gefahr
retteten und doch zum Dank für ihre Aufopferung eine nur geringfügige und
vorübergehende Erleichterung ihres Schicksals errangen.

Nachdem die grausamen Verfolgungen der Waldenser, in denen Tausende
derselben hingeopfert wurden, seit dem Anfang des vierzehnten Jahrhunderts
mit größeren und kleineren Unterbrechungen bis zu den Zeiten der französischen
Revolution gedauert hatten, ging den Verfolgten ein glücklicherer Stern auf.
Doch noch drohten einzelne Blitze; denn als im Jahr 1792 zwischen Frankreich
und Oestreich der Krieg erklärt war, schlug sich Piemont auf die Seite Oest¬
reichs. Gegen das Ende dieses Jahres aber war schon Savoyen von Montes-
quiou und die Provinz Nizza von Anselm erobert und mit Frankreich vereint
worden, welches sich zur Republik erklärte. Victor Amadeus der Dritte hatte
in diesem Kriege den Waldensern unter Gaubius Anführung die Vertheidigung
der Grenzen anvertraut. Die ganze Streitmacht der Waldenser war auf dein
Kamine der Alpen gelagert, um den eindringenden Feind abzuwehren, und in
ihren Thälern waren nur Greise, Kinder und Weiber zurückgeblieben.


Grenzboten IV. 1W9. 1
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[0013] Die Waldenser Pieumnts. Sardinien ist der einzige constitutionelle Staat des unglücklichen, unter geistlicher und weltlicher Gewaltherrschaft seufzenden Italiens und als solcher hat er die Sympathien aller derer für sich, welche Gesetz und Gerechtigkeit als die Grundsäulen einer jeden staatlichen Einrichtung anerkennen. Vor allem aber müssen wir Protestanten die Negierung Sardiniens darum hoch¬ achten, weil dieser Staat in Italien der einzige ist, weicher Religionsfreiheit proclcnnirt hat und den Protestanten vollkommene Gleichheit vor dem Ge¬ setz und unverkümmerte staatsbürgerliche Rechte gleich den Katholiken ge¬ währt, während in manchem katholischen Lande den Protestanten aus dem Papier, aber nicht in der Praxis Rechte eingeräumt sind. Jedermann kennt im Allgemeinen die Geschichte der Waldenser Pie- monts und was sie seit Jahrhunderten unter der Glaubenstyrannei Roms gelitten haben; wie treu sie demohngeachtet an ihren legitimen Herrschern, den Herzogen von Piemont, hingen, die sie mehr als einmal aus der Gefahr retteten und doch zum Dank für ihre Aufopferung eine nur geringfügige und vorübergehende Erleichterung ihres Schicksals errangen. Nachdem die grausamen Verfolgungen der Waldenser, in denen Tausende derselben hingeopfert wurden, seit dem Anfang des vierzehnten Jahrhunderts mit größeren und kleineren Unterbrechungen bis zu den Zeiten der französischen Revolution gedauert hatten, ging den Verfolgten ein glücklicherer Stern auf. Doch noch drohten einzelne Blitze; denn als im Jahr 1792 zwischen Frankreich und Oestreich der Krieg erklärt war, schlug sich Piemont auf die Seite Oest¬ reichs. Gegen das Ende dieses Jahres aber war schon Savoyen von Montes- quiou und die Provinz Nizza von Anselm erobert und mit Frankreich vereint worden, welches sich zur Republik erklärte. Victor Amadeus der Dritte hatte in diesem Kriege den Waldensern unter Gaubius Anführung die Vertheidigung der Grenzen anvertraut. Die ganze Streitmacht der Waldenser war auf dein Kamine der Alpen gelagert, um den eindringenden Feind abzuwehren, und in ihren Thälern waren nur Greise, Kinder und Weiber zurückgeblieben. Grenzboten IV. 1W9. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/13>, abgerufen am 18.05.2024.