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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Nachrichten betreffend, es nicht zum Religionsstück machen, daß das Wissen, Glau¬
ben und Bekennen derselben für sich etwas sei, wodurch wir uns Gott wohl¬
gefällig machen können." -- "Was aber Wunder überhaupt betrifft, so findet
sich, daß vernünftige Menschen den Glauben an dieselben, dem sie gleichwol
nicht zu entsagen gemeint sind, doch niemals wollen praktisch aufkommen las¬
sen, welches so viel sagen will, als: sie glauben zwar, was die Theorie be¬
trifft, daß es dergleichen gebe, in Geschäften aber statuiren sie keine."

Untersuchen wir nun, in wie weit das Religionssystem des Nationalis¬
mus den Verstand befriedigen konnte, so werden wir die allgemeine Reaction
gegen die oft kindischen Auslegungen, welche Paulus versuchte, sehr begreif¬
lich finden. Anders verhält es sich mit Kant. Denn dieser suchte nur festzu¬
stellen, wie viel wir von Gott wissen können und wie viel uns für unsern
praktischen Gebrauch von ihm zu wissen nöthig sei; was jenseit dieser Grenze
^g, schob er als etwas, das man annehmen oder auch nicht annehmen könne, bei
Seite. Gegen diese Scheidung hätte der schlichte Verstand an sich nichts einzu¬
senden gehabt, wol aber empörte sich der speculative Geist, stolz auf seine
neuen Errungenschaften, gegen diese Resignation des Denkens, und Schelling
Und Hegel sagten von der überirdischen Welt eine große Menge von Dingen
aus. die sich mehr oder minder auf den Katechismus bezogen oder die sie
durch den Syllogismus festgestellt zu haben meinten. Da aber diese Fortschritte
der Speculation im Bewußtsein der Gegenwart nicht gehaftet haben, so dür¬
fen wir darüber wol zur Tagesordnung übergehn.

Was nun die von einer entgegengesetzten Seite angeregte Forderung be¬
trifft, man solle den Verstand überhaupt zum Schweigen bringen, wo es sich
n>n den Glauben handle, so können wir einen unverdächtigen Zeugen anfüh¬
rn, Gentz, der sich aus äußern und innern Gründen ernsthaft bemühte,
jener Forderung gerecht zu werden. Er schreibt 6. April 1817 an Adam
Müller: "Die Weltgesetze, werden Sie mir sagen, sind Offenbarungen Gottes,
denen die Vernunft sich unterwerfen muß. Ich frage daher: sind sie Ihnen
^on Gott unmittelbar geoffenbart worden? Antworten Sie: ja, so erwiedre
'H, ohne es weiter zu bezweifeln: desto besser für Sie! Mir wurde das Glück
^ehe zu Theil. Antworten Sie: nein! so ruht Ihre Ueberzeugung von jenen
Offenbarungen nur auf dem Glauben an das, was andern offenbart wurde,
^un. dieser Glaube fehlt mir ebenfalls." -- "Um auch nur zu erkennen, daß
^ Gesetze gibt, die höher als alle Vernunft sind, muß ich schlechterdings ein
Medium haben, wodurch ich dies erkenne. Ist dies Medium die Vernunft,
f° tritt offenbar die Competenz der Vernunft wieder ein. Ist das Medium
"lebt die Vernunft, so muß ich wenigstens wissen, wo und was es ist. Er¬
lären Sie es mir, wie Sie wollen -- mein erstes Bedürfniß wird immer
wieder das der Appellation an meine Vernunft sein; denn auf welchem an-


Grenzboten IV. 1Sö9. 17

Nachrichten betreffend, es nicht zum Religionsstück machen, daß das Wissen, Glau¬
ben und Bekennen derselben für sich etwas sei, wodurch wir uns Gott wohl¬
gefällig machen können." — „Was aber Wunder überhaupt betrifft, so findet
sich, daß vernünftige Menschen den Glauben an dieselben, dem sie gleichwol
nicht zu entsagen gemeint sind, doch niemals wollen praktisch aufkommen las¬
sen, welches so viel sagen will, als: sie glauben zwar, was die Theorie be¬
trifft, daß es dergleichen gebe, in Geschäften aber statuiren sie keine."

Untersuchen wir nun, in wie weit das Religionssystem des Nationalis¬
mus den Verstand befriedigen konnte, so werden wir die allgemeine Reaction
gegen die oft kindischen Auslegungen, welche Paulus versuchte, sehr begreif¬
lich finden. Anders verhält es sich mit Kant. Denn dieser suchte nur festzu¬
stellen, wie viel wir von Gott wissen können und wie viel uns für unsern
praktischen Gebrauch von ihm zu wissen nöthig sei; was jenseit dieser Grenze
^g, schob er als etwas, das man annehmen oder auch nicht annehmen könne, bei
Seite. Gegen diese Scheidung hätte der schlichte Verstand an sich nichts einzu¬
senden gehabt, wol aber empörte sich der speculative Geist, stolz auf seine
neuen Errungenschaften, gegen diese Resignation des Denkens, und Schelling
Und Hegel sagten von der überirdischen Welt eine große Menge von Dingen
aus. die sich mehr oder minder auf den Katechismus bezogen oder die sie
durch den Syllogismus festgestellt zu haben meinten. Da aber diese Fortschritte
der Speculation im Bewußtsein der Gegenwart nicht gehaftet haben, so dür¬
fen wir darüber wol zur Tagesordnung übergehn.

Was nun die von einer entgegengesetzten Seite angeregte Forderung be¬
trifft, man solle den Verstand überhaupt zum Schweigen bringen, wo es sich
n>n den Glauben handle, so können wir einen unverdächtigen Zeugen anfüh¬
rn, Gentz, der sich aus äußern und innern Gründen ernsthaft bemühte,
jener Forderung gerecht zu werden. Er schreibt 6. April 1817 an Adam
Müller: „Die Weltgesetze, werden Sie mir sagen, sind Offenbarungen Gottes,
denen die Vernunft sich unterwerfen muß. Ich frage daher: sind sie Ihnen
^on Gott unmittelbar geoffenbart worden? Antworten Sie: ja, so erwiedre
'H, ohne es weiter zu bezweifeln: desto besser für Sie! Mir wurde das Glück
^ehe zu Theil. Antworten Sie: nein! so ruht Ihre Ueberzeugung von jenen
Offenbarungen nur auf dem Glauben an das, was andern offenbart wurde,
^un. dieser Glaube fehlt mir ebenfalls." — „Um auch nur zu erkennen, daß
^ Gesetze gibt, die höher als alle Vernunft sind, muß ich schlechterdings ein
Medium haben, wodurch ich dies erkenne. Ist dies Medium die Vernunft,
f° tritt offenbar die Competenz der Vernunft wieder ein. Ist das Medium
"lebt die Vernunft, so muß ich wenigstens wissen, wo und was es ist. Er¬
lären Sie es mir, wie Sie wollen — mein erstes Bedürfniß wird immer
wieder das der Appellation an meine Vernunft sein; denn auf welchem an-


Grenzboten IV. 1Sö9. 17
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[0141] Nachrichten betreffend, es nicht zum Religionsstück machen, daß das Wissen, Glau¬ ben und Bekennen derselben für sich etwas sei, wodurch wir uns Gott wohl¬ gefällig machen können." — „Was aber Wunder überhaupt betrifft, so findet sich, daß vernünftige Menschen den Glauben an dieselben, dem sie gleichwol nicht zu entsagen gemeint sind, doch niemals wollen praktisch aufkommen las¬ sen, welches so viel sagen will, als: sie glauben zwar, was die Theorie be¬ trifft, daß es dergleichen gebe, in Geschäften aber statuiren sie keine." Untersuchen wir nun, in wie weit das Religionssystem des Nationalis¬ mus den Verstand befriedigen konnte, so werden wir die allgemeine Reaction gegen die oft kindischen Auslegungen, welche Paulus versuchte, sehr begreif¬ lich finden. Anders verhält es sich mit Kant. Denn dieser suchte nur festzu¬ stellen, wie viel wir von Gott wissen können und wie viel uns für unsern praktischen Gebrauch von ihm zu wissen nöthig sei; was jenseit dieser Grenze ^g, schob er als etwas, das man annehmen oder auch nicht annehmen könne, bei Seite. Gegen diese Scheidung hätte der schlichte Verstand an sich nichts einzu¬ senden gehabt, wol aber empörte sich der speculative Geist, stolz auf seine neuen Errungenschaften, gegen diese Resignation des Denkens, und Schelling Und Hegel sagten von der überirdischen Welt eine große Menge von Dingen aus. die sich mehr oder minder auf den Katechismus bezogen oder die sie durch den Syllogismus festgestellt zu haben meinten. Da aber diese Fortschritte der Speculation im Bewußtsein der Gegenwart nicht gehaftet haben, so dür¬ fen wir darüber wol zur Tagesordnung übergehn. Was nun die von einer entgegengesetzten Seite angeregte Forderung be¬ trifft, man solle den Verstand überhaupt zum Schweigen bringen, wo es sich n>n den Glauben handle, so können wir einen unverdächtigen Zeugen anfüh¬ rn, Gentz, der sich aus äußern und innern Gründen ernsthaft bemühte, jener Forderung gerecht zu werden. Er schreibt 6. April 1817 an Adam Müller: „Die Weltgesetze, werden Sie mir sagen, sind Offenbarungen Gottes, denen die Vernunft sich unterwerfen muß. Ich frage daher: sind sie Ihnen ^on Gott unmittelbar geoffenbart worden? Antworten Sie: ja, so erwiedre 'H, ohne es weiter zu bezweifeln: desto besser für Sie! Mir wurde das Glück ^ehe zu Theil. Antworten Sie: nein! so ruht Ihre Ueberzeugung von jenen Offenbarungen nur auf dem Glauben an das, was andern offenbart wurde, ^un. dieser Glaube fehlt mir ebenfalls." — „Um auch nur zu erkennen, daß ^ Gesetze gibt, die höher als alle Vernunft sind, muß ich schlechterdings ein Medium haben, wodurch ich dies erkenne. Ist dies Medium die Vernunft, f° tritt offenbar die Competenz der Vernunft wieder ein. Ist das Medium "lebt die Vernunft, so muß ich wenigstens wissen, wo und was es ist. Er¬ lären Sie es mir, wie Sie wollen — mein erstes Bedürfniß wird immer wieder das der Appellation an meine Vernunft sein; denn auf welchem an- Grenzboten IV. 1Sö9. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/141>, abgerufen am 14.06.2024.