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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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durch die strenge Sonntagsfeier in Schottland und Amerika, geschieht es auf
Kosten der Gemüthlichkeit.

Diesen Mangel an Zusammenhang im protestantischen Cultus und die
Uebelstände, die daraus hervorgehn, hat schon Goethe ganz richtig charakten-
sirt, dem man gewiß eine übertriebene Vorliebe sür den Katholicismus nicht
zuschreiben wird. Die höchst merkwürdige Stelle steht in Wahrheit und Dich'
tung im sechsten Buch, Seite 89 und folgende. Sie ist nur wenig Jahre nach
dem Uebertritt Schlegels geschrieben, der Goethe im Anfang so sehr erzürnt hatte.
Goethe schildert die Sache ganz objectiv und man kann gegen seine Gründe
nichts einwenden, es ist nur so viel Ironie darin, als sich mit der Humorist"'
schen Ausfassung des Lebens verträgt, welche dieses Buch überhaupt charaktew
Sire. Goethe sucht sich deutlich zu machen, was die Romantiker eigentlich im
Katholicismus anzieht, und er. der keins von allen Bekenntnissen unterschrieben
hätte, die man ihm vorlegte, findet die vollkommen sachgemäße Erklärung.

Der Unterschied liegt nicht blos in der Größe und Zahl der Feste und
Sacramente, sondern auch in der Art und Weise ihrer Feier. In den LäN'
dern, wo das katholische Leben wirklich blüht, namentlich im Süden, haben
die Feste einen überwiegend frohen, ja man möchte sagen lustigen Charakter,
sie erinnern an Correggios Madonnenbilder aus der spätern Periode, aus
denen ein so übermüthiges, ausgelassenes Leben tobt, daß man in den Jubel
mit einstimmen möchte. Der protestantische Gottesdienst beschränkt sich f°'
ausschließlich auf die Predigt, bei der man doch nur Zuhörer ist. und die Lieder,
in denen die Gemeinde sich ausspricht, haben durchweg einen ernsten, ja i"'
weilen finstern Charakter. Die Freude des Festtags fängt erst außerhalb der
Kirche an. in der Schenke. Man kann sagen, daß fast jede Bewegung
den Katholiken einen sinnlich verständlichen Charakter trägt, bei den Prote'
standen eine Abstraction voraussetzt. Der Katholik wirst sich vor Gott oder
seinen Heiligen nieder, was das heißen soll versteht jedermann; der Protestan
dagegen, der die Pflicht hat, sich beim Eintritt in die Kirche im Gebet z"
sammeln, drückt diese Sammlung dadurch aus, daß er in den Hut sieht. ^
Symbolik dieses Verfahrens ist nur durch die Abstraction zu verstehn. An"?
der bilderstürmende Geist der Reformation hat zu der abfiracten Form de
Gottesdienstes viel beigetragen, denn wenn wir auch froh sein können, d>
greulichen Märtyrerbilder los zu sein, so vermissen wir doch schmerzlich
Mutter mit dem Kind, die den gemüthlichen Zusammenhang zwischen
und den Menschen viel lebhafter versinnlicht als das Bild des Gekreuzigte"'
das wir ausschließlich haben stehn lassen.

Alle diese Veränderungen hat die Reformation aus sehr wohl erwogen
Gründen eingeführt, und was der ästhetische Sinn verlor, hat der sittliche M
gewonnen. Aber ein Verlust bleibt es doch, und am auffallendsten zeigte er M


durch die strenge Sonntagsfeier in Schottland und Amerika, geschieht es auf
Kosten der Gemüthlichkeit.

Diesen Mangel an Zusammenhang im protestantischen Cultus und die
Uebelstände, die daraus hervorgehn, hat schon Goethe ganz richtig charakten-
sirt, dem man gewiß eine übertriebene Vorliebe sür den Katholicismus nicht
zuschreiben wird. Die höchst merkwürdige Stelle steht in Wahrheit und Dich'
tung im sechsten Buch, Seite 89 und folgende. Sie ist nur wenig Jahre nach
dem Uebertritt Schlegels geschrieben, der Goethe im Anfang so sehr erzürnt hatte.
Goethe schildert die Sache ganz objectiv und man kann gegen seine Gründe
nichts einwenden, es ist nur so viel Ironie darin, als sich mit der Humorist«'
schen Ausfassung des Lebens verträgt, welche dieses Buch überhaupt charaktew
Sire. Goethe sucht sich deutlich zu machen, was die Romantiker eigentlich im
Katholicismus anzieht, und er. der keins von allen Bekenntnissen unterschrieben
hätte, die man ihm vorlegte, findet die vollkommen sachgemäße Erklärung.

Der Unterschied liegt nicht blos in der Größe und Zahl der Feste und
Sacramente, sondern auch in der Art und Weise ihrer Feier. In den LäN'
dern, wo das katholische Leben wirklich blüht, namentlich im Süden, haben
die Feste einen überwiegend frohen, ja man möchte sagen lustigen Charakter,
sie erinnern an Correggios Madonnenbilder aus der spätern Periode, aus
denen ein so übermüthiges, ausgelassenes Leben tobt, daß man in den Jubel
mit einstimmen möchte. Der protestantische Gottesdienst beschränkt sich f°'
ausschließlich auf die Predigt, bei der man doch nur Zuhörer ist. und die Lieder,
in denen die Gemeinde sich ausspricht, haben durchweg einen ernsten, ja i"'
weilen finstern Charakter. Die Freude des Festtags fängt erst außerhalb der
Kirche an. in der Schenke. Man kann sagen, daß fast jede Bewegung
den Katholiken einen sinnlich verständlichen Charakter trägt, bei den Prote'
standen eine Abstraction voraussetzt. Der Katholik wirst sich vor Gott oder
seinen Heiligen nieder, was das heißen soll versteht jedermann; der Protestan
dagegen, der die Pflicht hat, sich beim Eintritt in die Kirche im Gebet z"
sammeln, drückt diese Sammlung dadurch aus, daß er in den Hut sieht. ^
Symbolik dieses Verfahrens ist nur durch die Abstraction zu verstehn. An«?
der bilderstürmende Geist der Reformation hat zu der abfiracten Form de
Gottesdienstes viel beigetragen, denn wenn wir auch froh sein können, d>
greulichen Märtyrerbilder los zu sein, so vermissen wir doch schmerzlich
Mutter mit dem Kind, die den gemüthlichen Zusammenhang zwischen
und den Menschen viel lebhafter versinnlicht als das Bild des Gekreuzigte"'
das wir ausschließlich haben stehn lassen.

Alle diese Veränderungen hat die Reformation aus sehr wohl erwogen
Gründen eingeführt, und was der ästhetische Sinn verlor, hat der sittliche M
gewonnen. Aber ein Verlust bleibt es doch, und am auffallendsten zeigte er M


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[0148] durch die strenge Sonntagsfeier in Schottland und Amerika, geschieht es auf Kosten der Gemüthlichkeit. Diesen Mangel an Zusammenhang im protestantischen Cultus und die Uebelstände, die daraus hervorgehn, hat schon Goethe ganz richtig charakten- sirt, dem man gewiß eine übertriebene Vorliebe sür den Katholicismus nicht zuschreiben wird. Die höchst merkwürdige Stelle steht in Wahrheit und Dich' tung im sechsten Buch, Seite 89 und folgende. Sie ist nur wenig Jahre nach dem Uebertritt Schlegels geschrieben, der Goethe im Anfang so sehr erzürnt hatte. Goethe schildert die Sache ganz objectiv und man kann gegen seine Gründe nichts einwenden, es ist nur so viel Ironie darin, als sich mit der Humorist«' schen Ausfassung des Lebens verträgt, welche dieses Buch überhaupt charaktew Sire. Goethe sucht sich deutlich zu machen, was die Romantiker eigentlich im Katholicismus anzieht, und er. der keins von allen Bekenntnissen unterschrieben hätte, die man ihm vorlegte, findet die vollkommen sachgemäße Erklärung. Der Unterschied liegt nicht blos in der Größe und Zahl der Feste und Sacramente, sondern auch in der Art und Weise ihrer Feier. In den LäN' dern, wo das katholische Leben wirklich blüht, namentlich im Süden, haben die Feste einen überwiegend frohen, ja man möchte sagen lustigen Charakter, sie erinnern an Correggios Madonnenbilder aus der spätern Periode, aus denen ein so übermüthiges, ausgelassenes Leben tobt, daß man in den Jubel mit einstimmen möchte. Der protestantische Gottesdienst beschränkt sich f°' ausschließlich auf die Predigt, bei der man doch nur Zuhörer ist. und die Lieder, in denen die Gemeinde sich ausspricht, haben durchweg einen ernsten, ja i"' weilen finstern Charakter. Die Freude des Festtags fängt erst außerhalb der Kirche an. in der Schenke. Man kann sagen, daß fast jede Bewegung den Katholiken einen sinnlich verständlichen Charakter trägt, bei den Prote' standen eine Abstraction voraussetzt. Der Katholik wirst sich vor Gott oder seinen Heiligen nieder, was das heißen soll versteht jedermann; der Protestan dagegen, der die Pflicht hat, sich beim Eintritt in die Kirche im Gebet z" sammeln, drückt diese Sammlung dadurch aus, daß er in den Hut sieht. ^ Symbolik dieses Verfahrens ist nur durch die Abstraction zu verstehn. An«? der bilderstürmende Geist der Reformation hat zu der abfiracten Form de Gottesdienstes viel beigetragen, denn wenn wir auch froh sein können, d> greulichen Märtyrerbilder los zu sein, so vermissen wir doch schmerzlich Mutter mit dem Kind, die den gemüthlichen Zusammenhang zwischen und den Menschen viel lebhafter versinnlicht als das Bild des Gekreuzigte"' das wir ausschließlich haben stehn lassen. Alle diese Veränderungen hat die Reformation aus sehr wohl erwogen Gründen eingeführt, und was der ästhetische Sinn verlor, hat der sittliche M gewonnen. Aber ein Verlust bleibt es doch, und am auffallendsten zeigte er M

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/148>, abgerufen am 14.06.2024.