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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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läge soll der Ausschuß eben derjenigen Versammlung theilnehmen, weiche
die "Verfassung gebrochen" hat! Er lehnt natürlich ab. Aber ohne das abzu¬
warten, hat Hassenpflug schon am Tage zuvor eine Verordnung erlassen, durch
welche die Fort- und Nachcrhebung aller Steuern und Abgaben befohlen wird.
Der ständische Ausschuß remonstrirt, verlangt die Zurücknahme der Verordnung;
die Behörden beschließen, ihr keine Folge zu geben; denn §. I4ö der Verfassung
bestimmt, daß die landständische Bewilligung in den Steuerausschreiben erwähnt
werden soll, und ohne sie weder die ErHeber zur Einforderung berechtigt, noch die
Verpflichteten die Entrichtung schuldig sind, und §. Ki macht jeden Staats¬
diener verantwortlich, der sich einer Verletzung der Verfassung, "namentlich
auch durch Vollziehung einer nicht in der verfassungsmäßigen
Form ergangenen Verfügung einer höchsten Staatsbehörde" u. s. w.
schuldig macht. Die Behörden stellen dies vor und bitten, sie der Nothwenig¬
keit zu entheben, den Gehorsam zu versagen. Die Negierung verhängt den
Kriegszustand über das Land. Aber auch diese Maßregel scheitert an der
Treue der auf die Verfassung beeidigten Offiziere. Die Minister und der Kur¬
fürst entfernen sich, vor den Folgen der eignen Thaten fliehend, nach Wil¬
helmsbad. Bairische und östreichische Truppen ziehen ein, um "den Aufruhr"
W Hessen zu bewältigen, einen Aufruhr, den Hr. v. Manteuffel selbst eine
Revolution in Schlafrock und Pantoffeln nannte, um damit anzusprechen,
daß er das Gegentheil des Aufruhrs war, nämlich ein ernsthaftes Beharren
^f dem Recht.

Es ist offenbar: Hassenpflugs Streben war. während er sonst sich darauf
^schränkte, die Verfassung zu entkräften und zu untergraben, jetzt daraus ge¬
achtet, sie bei Seite zu werfen. Er konnte dazu den Streit zwischen Preußen
und Oestreich um die "Union" wie einen Hebel benutzen; jeder Fortschritt
Östreichs und der Reactivirung des Bundestags bezeichnet daher auch einen
'veitern Schritt Hassenpflugs gegen die kurhessischc Verfassung. Und wenn er
selbst geflissentlich und muthwillig dem Landtag jede Möglichkeit entzieht, seine
Forderungen zu prüfen und den Staatshaushalt festzusetzen, was die Voraus-
setzung jeder Steuerbewilligung bildet, insbesondere aber nach der kurhessischen
Verfassung dafür vorausgesetzt wird, beschuldigt er, beschuldigen andere mit
>I"n die Landstände der Steuerverweigerung und des Verfassungsbruchcs!
^ut doch verlangt er alsbald und erreicht beim Bundestag die Aufhebung
^ Verfassung und erkennt damit an, daß nicht der Bruch derselben, sondern
d>e Treue für die Verfassung ihm gegenübersteht.

Der Bundestag freilich, am 2. Septbr. ohne Preußen zusammengetreten,
^ußte damals die Wünsche Hassenpflugs erfüllen. Die Union zerfiel mehr
und mehr. Preußen, den offnen Kampf gegen Deutsche scheuend, schwankte;
Kurhessen mußte für den auflebenden Bundestag gewonnen werden. Grade


läge soll der Ausschuß eben derjenigen Versammlung theilnehmen, weiche
die „Verfassung gebrochen" hat! Er lehnt natürlich ab. Aber ohne das abzu¬
warten, hat Hassenpflug schon am Tage zuvor eine Verordnung erlassen, durch
welche die Fort- und Nachcrhebung aller Steuern und Abgaben befohlen wird.
Der ständische Ausschuß remonstrirt, verlangt die Zurücknahme der Verordnung;
die Behörden beschließen, ihr keine Folge zu geben; denn §. I4ö der Verfassung
bestimmt, daß die landständische Bewilligung in den Steuerausschreiben erwähnt
werden soll, und ohne sie weder die ErHeber zur Einforderung berechtigt, noch die
Verpflichteten die Entrichtung schuldig sind, und §. Ki macht jeden Staats¬
diener verantwortlich, der sich einer Verletzung der Verfassung, „namentlich
auch durch Vollziehung einer nicht in der verfassungsmäßigen
Form ergangenen Verfügung einer höchsten Staatsbehörde" u. s. w.
schuldig macht. Die Behörden stellen dies vor und bitten, sie der Nothwenig¬
keit zu entheben, den Gehorsam zu versagen. Die Negierung verhängt den
Kriegszustand über das Land. Aber auch diese Maßregel scheitert an der
Treue der auf die Verfassung beeidigten Offiziere. Die Minister und der Kur¬
fürst entfernen sich, vor den Folgen der eignen Thaten fliehend, nach Wil¬
helmsbad. Bairische und östreichische Truppen ziehen ein, um „den Aufruhr"
W Hessen zu bewältigen, einen Aufruhr, den Hr. v. Manteuffel selbst eine
Revolution in Schlafrock und Pantoffeln nannte, um damit anzusprechen,
daß er das Gegentheil des Aufruhrs war, nämlich ein ernsthaftes Beharren
^f dem Recht.

Es ist offenbar: Hassenpflugs Streben war. während er sonst sich darauf
^schränkte, die Verfassung zu entkräften und zu untergraben, jetzt daraus ge¬
achtet, sie bei Seite zu werfen. Er konnte dazu den Streit zwischen Preußen
und Oestreich um die „Union" wie einen Hebel benutzen; jeder Fortschritt
Östreichs und der Reactivirung des Bundestags bezeichnet daher auch einen
'veitern Schritt Hassenpflugs gegen die kurhessischc Verfassung. Und wenn er
selbst geflissentlich und muthwillig dem Landtag jede Möglichkeit entzieht, seine
Forderungen zu prüfen und den Staatshaushalt festzusetzen, was die Voraus-
setzung jeder Steuerbewilligung bildet, insbesondere aber nach der kurhessischen
Verfassung dafür vorausgesetzt wird, beschuldigt er, beschuldigen andere mit
>I»n die Landstände der Steuerverweigerung und des Verfassungsbruchcs!
^ut doch verlangt er alsbald und erreicht beim Bundestag die Aufhebung
^ Verfassung und erkennt damit an, daß nicht der Bruch derselben, sondern
d>e Treue für die Verfassung ihm gegenübersteht.

Der Bundestag freilich, am 2. Septbr. ohne Preußen zusammengetreten,
^ußte damals die Wünsche Hassenpflugs erfüllen. Die Union zerfiel mehr
und mehr. Preußen, den offnen Kampf gegen Deutsche scheuend, schwankte;
Kurhessen mußte für den auflebenden Bundestag gewonnen werden. Grade


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[0177] läge soll der Ausschuß eben derjenigen Versammlung theilnehmen, weiche die „Verfassung gebrochen" hat! Er lehnt natürlich ab. Aber ohne das abzu¬ warten, hat Hassenpflug schon am Tage zuvor eine Verordnung erlassen, durch welche die Fort- und Nachcrhebung aller Steuern und Abgaben befohlen wird. Der ständische Ausschuß remonstrirt, verlangt die Zurücknahme der Verordnung; die Behörden beschließen, ihr keine Folge zu geben; denn §. I4ö der Verfassung bestimmt, daß die landständische Bewilligung in den Steuerausschreiben erwähnt werden soll, und ohne sie weder die ErHeber zur Einforderung berechtigt, noch die Verpflichteten die Entrichtung schuldig sind, und §. Ki macht jeden Staats¬ diener verantwortlich, der sich einer Verletzung der Verfassung, „namentlich auch durch Vollziehung einer nicht in der verfassungsmäßigen Form ergangenen Verfügung einer höchsten Staatsbehörde" u. s. w. schuldig macht. Die Behörden stellen dies vor und bitten, sie der Nothwenig¬ keit zu entheben, den Gehorsam zu versagen. Die Negierung verhängt den Kriegszustand über das Land. Aber auch diese Maßregel scheitert an der Treue der auf die Verfassung beeidigten Offiziere. Die Minister und der Kur¬ fürst entfernen sich, vor den Folgen der eignen Thaten fliehend, nach Wil¬ helmsbad. Bairische und östreichische Truppen ziehen ein, um „den Aufruhr" W Hessen zu bewältigen, einen Aufruhr, den Hr. v. Manteuffel selbst eine Revolution in Schlafrock und Pantoffeln nannte, um damit anzusprechen, daß er das Gegentheil des Aufruhrs war, nämlich ein ernsthaftes Beharren ^f dem Recht. Es ist offenbar: Hassenpflugs Streben war. während er sonst sich darauf ^schränkte, die Verfassung zu entkräften und zu untergraben, jetzt daraus ge¬ achtet, sie bei Seite zu werfen. Er konnte dazu den Streit zwischen Preußen und Oestreich um die „Union" wie einen Hebel benutzen; jeder Fortschritt Östreichs und der Reactivirung des Bundestags bezeichnet daher auch einen 'veitern Schritt Hassenpflugs gegen die kurhessischc Verfassung. Und wenn er selbst geflissentlich und muthwillig dem Landtag jede Möglichkeit entzieht, seine Forderungen zu prüfen und den Staatshaushalt festzusetzen, was die Voraus- setzung jeder Steuerbewilligung bildet, insbesondere aber nach der kurhessischen Verfassung dafür vorausgesetzt wird, beschuldigt er, beschuldigen andere mit >I»n die Landstände der Steuerverweigerung und des Verfassungsbruchcs! ^ut doch verlangt er alsbald und erreicht beim Bundestag die Aufhebung ^ Verfassung und erkennt damit an, daß nicht der Bruch derselben, sondern d>e Treue für die Verfassung ihm gegenübersteht. Der Bundestag freilich, am 2. Septbr. ohne Preußen zusammengetreten, ^ußte damals die Wünsche Hassenpflugs erfüllen. Die Union zerfiel mehr und mehr. Preußen, den offnen Kampf gegen Deutsche scheuend, schwankte; Kurhessen mußte für den auflebenden Bundestag gewonnen werden. Grade

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/177>, abgerufen am 15.06.2024.