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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Mecklenburg. Herr v. Oertzen. Er begründete zunächst die Pflicht zum Ein¬
schreiten des Bundes mit Art 26. der wiener Schlußacte ("wenn in einem
Bundesstaate durch Widersetzlichkeit der Unterthanen gegen die
Obrigkeit die innere Ruhe unmittelbar gefährdet und eine Ver¬
breitung aufrührerischer Bewegungen zu fürchten oder ein wirk¬
licher Aufruhr zum Ausbruch gekommen ist und die Negierung selbst,
nach Erschöpfung der verfassungsmäßigen und gesetzlichen Mittel
den Beistand des Bundes anruft, so liegt der Bundesversammlung ob. :c."),
da es unbestritten feststehe, daß die kurfürstlich hessische Negierung bei einer
aus Veranlassung vou Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung
der landständischen Verfassung entstandenen Widersetzlichkeit von Unterthanen
gegen die Obrigkeit, namentlich bei Auflehnung der Behörden Legen die An¬
ordnungen der höchsten Staatsgewalt, die verfassungsmäßigen und gesetzlichen
Mittel zur Wiederherstellung der Ordnung ..für erschöpft erklärt" und den
Beistand des Bundes angerufen habe. Also die Widersetzlichkeit ist constatirt!
Ob aber auch die Gefährdung der inneren Ordnung und die Befürchtung auf¬
rührerischer Bewegungen, was noch außer der Widersetzlichkeit zur Voraus¬
setzung des Einschreitens des Bundes gehört? Und deshalb sind die ver¬
fassungsmäßigen Mittel wirklich erschöpft, weil die Regierung, die eine
Partei, sie für erschöpft erklärt? Diese Erklärung genügt zum Beweis?
Und doch fuhr der Herr Berichterstatter selbst fort: die Frage, aus welcher
der Streit in Kurhessen entsprungen, sei noch unentschieden! Diese Frage,
dcducirte er. den Ausgangspunkt des Streits, habe der Bund auch gar nicht
zu untersuchen, weil unter allen Umständen in einem monarchischen deut¬
schen Bundesstaat der Negierung das Recht und die Macht zustehen müsse, bei
zweifelhaften Verfassungsbestimmungen -- Herr v. Oertzen untersucht aber auch
nicht einmal, ob die betreffenden Verfassungsbestimmungen nur im mindesten
zweifelhaft sind -- diejenige Auslegung, welche sie für richtig hält, so lange
aufrecht zu halten, bis eine andere Auslegung auf verfassungsmüßigem oder
bundesrechtlichem Wege zur Geltung gebracht worden, und daß ein factisch^'
Widerstand der Unterthanen gegen die Obrigkeit unter keinen
Umständen von Bundeswegen anzuerkennen sei. Das nenne ich
doch probate Gründe, neben denen man anderer Gründe entbehren kann-
Von den provisorischen Maßregeln der Commissarien kommt der Ausschuß auf
die "Reform" der Verfassung und erklärt sich unter vollster Anerkennung der
Gründlichkett, Unparteilichkeit und Sachkunde, womit diese schwierige Frage
von den Commissarien bearbeitet sei. sowol mit den wesentlichen Principien,
die sie befolgt, als auch mit ihren hauptsächlichen Resultaten einverstanden-
Nur in einigen Punkten tritt er entgegen. Denn es sei historisch unrichtige
gewiß! -- daß z. B. beständige Ausschüsse mit landständischen Verfassungen


Mecklenburg. Herr v. Oertzen. Er begründete zunächst die Pflicht zum Ein¬
schreiten des Bundes mit Art 26. der wiener Schlußacte („wenn in einem
Bundesstaate durch Widersetzlichkeit der Unterthanen gegen die
Obrigkeit die innere Ruhe unmittelbar gefährdet und eine Ver¬
breitung aufrührerischer Bewegungen zu fürchten oder ein wirk¬
licher Aufruhr zum Ausbruch gekommen ist und die Negierung selbst,
nach Erschöpfung der verfassungsmäßigen und gesetzlichen Mittel
den Beistand des Bundes anruft, so liegt der Bundesversammlung ob. :c."),
da es unbestritten feststehe, daß die kurfürstlich hessische Negierung bei einer
aus Veranlassung vou Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung
der landständischen Verfassung entstandenen Widersetzlichkeit von Unterthanen
gegen die Obrigkeit, namentlich bei Auflehnung der Behörden Legen die An¬
ordnungen der höchsten Staatsgewalt, die verfassungsmäßigen und gesetzlichen
Mittel zur Wiederherstellung der Ordnung ..für erschöpft erklärt" und den
Beistand des Bundes angerufen habe. Also die Widersetzlichkeit ist constatirt!
Ob aber auch die Gefährdung der inneren Ordnung und die Befürchtung auf¬
rührerischer Bewegungen, was noch außer der Widersetzlichkeit zur Voraus¬
setzung des Einschreitens des Bundes gehört? Und deshalb sind die ver¬
fassungsmäßigen Mittel wirklich erschöpft, weil die Regierung, die eine
Partei, sie für erschöpft erklärt? Diese Erklärung genügt zum Beweis?
Und doch fuhr der Herr Berichterstatter selbst fort: die Frage, aus welcher
der Streit in Kurhessen entsprungen, sei noch unentschieden! Diese Frage,
dcducirte er. den Ausgangspunkt des Streits, habe der Bund auch gar nicht
zu untersuchen, weil unter allen Umständen in einem monarchischen deut¬
schen Bundesstaat der Negierung das Recht und die Macht zustehen müsse, bei
zweifelhaften Verfassungsbestimmungen — Herr v. Oertzen untersucht aber auch
nicht einmal, ob die betreffenden Verfassungsbestimmungen nur im mindesten
zweifelhaft sind — diejenige Auslegung, welche sie für richtig hält, so lange
aufrecht zu halten, bis eine andere Auslegung auf verfassungsmüßigem oder
bundesrechtlichem Wege zur Geltung gebracht worden, und daß ein factisch^'
Widerstand der Unterthanen gegen die Obrigkeit unter keinen
Umständen von Bundeswegen anzuerkennen sei. Das nenne ich
doch probate Gründe, neben denen man anderer Gründe entbehren kann-
Von den provisorischen Maßregeln der Commissarien kommt der Ausschuß auf
die „Reform" der Verfassung und erklärt sich unter vollster Anerkennung der
Gründlichkett, Unparteilichkeit und Sachkunde, womit diese schwierige Frage
von den Commissarien bearbeitet sei. sowol mit den wesentlichen Principien,
die sie befolgt, als auch mit ihren hauptsächlichen Resultaten einverstanden-
Nur in einigen Punkten tritt er entgegen. Denn es sei historisch unrichtige
gewiß! — daß z. B. beständige Ausschüsse mit landständischen Verfassungen


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[0186] Mecklenburg. Herr v. Oertzen. Er begründete zunächst die Pflicht zum Ein¬ schreiten des Bundes mit Art 26. der wiener Schlußacte („wenn in einem Bundesstaate durch Widersetzlichkeit der Unterthanen gegen die Obrigkeit die innere Ruhe unmittelbar gefährdet und eine Ver¬ breitung aufrührerischer Bewegungen zu fürchten oder ein wirk¬ licher Aufruhr zum Ausbruch gekommen ist und die Negierung selbst, nach Erschöpfung der verfassungsmäßigen und gesetzlichen Mittel den Beistand des Bundes anruft, so liegt der Bundesversammlung ob. :c."), da es unbestritten feststehe, daß die kurfürstlich hessische Negierung bei einer aus Veranlassung vou Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung der landständischen Verfassung entstandenen Widersetzlichkeit von Unterthanen gegen die Obrigkeit, namentlich bei Auflehnung der Behörden Legen die An¬ ordnungen der höchsten Staatsgewalt, die verfassungsmäßigen und gesetzlichen Mittel zur Wiederherstellung der Ordnung ..für erschöpft erklärt" und den Beistand des Bundes angerufen habe. Also die Widersetzlichkeit ist constatirt! Ob aber auch die Gefährdung der inneren Ordnung und die Befürchtung auf¬ rührerischer Bewegungen, was noch außer der Widersetzlichkeit zur Voraus¬ setzung des Einschreitens des Bundes gehört? Und deshalb sind die ver¬ fassungsmäßigen Mittel wirklich erschöpft, weil die Regierung, die eine Partei, sie für erschöpft erklärt? Diese Erklärung genügt zum Beweis? Und doch fuhr der Herr Berichterstatter selbst fort: die Frage, aus welcher der Streit in Kurhessen entsprungen, sei noch unentschieden! Diese Frage, dcducirte er. den Ausgangspunkt des Streits, habe der Bund auch gar nicht zu untersuchen, weil unter allen Umständen in einem monarchischen deut¬ schen Bundesstaat der Negierung das Recht und die Macht zustehen müsse, bei zweifelhaften Verfassungsbestimmungen — Herr v. Oertzen untersucht aber auch nicht einmal, ob die betreffenden Verfassungsbestimmungen nur im mindesten zweifelhaft sind — diejenige Auslegung, welche sie für richtig hält, so lange aufrecht zu halten, bis eine andere Auslegung auf verfassungsmüßigem oder bundesrechtlichem Wege zur Geltung gebracht worden, und daß ein factisch^' Widerstand der Unterthanen gegen die Obrigkeit unter keinen Umständen von Bundeswegen anzuerkennen sei. Das nenne ich doch probate Gründe, neben denen man anderer Gründe entbehren kann- Von den provisorischen Maßregeln der Commissarien kommt der Ausschuß auf die „Reform" der Verfassung und erklärt sich unter vollster Anerkennung der Gründlichkett, Unparteilichkeit und Sachkunde, womit diese schwierige Frage von den Commissarien bearbeitet sei. sowol mit den wesentlichen Principien, die sie befolgt, als auch mit ihren hauptsächlichen Resultaten einverstanden- Nur in einigen Punkten tritt er entgegen. Denn es sei historisch unrichtige gewiß! — daß z. B. beständige Ausschüsse mit landständischen Verfassungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/186>, abgerufen am 14.06.2024.