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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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wo der Trunkene sich zwar jedes gegenwärtigen Momentes bewußt ist, von
dem vorhergehenden aber schon nichts mehr weiß, und an den zunüchstfolgcn-
den durchaus nicht denkt. Als nun Turandot pathetisch zu declamiren begann'.


Wer ists, der sich aufs Neu vermessen schmeichelt
Nach so viel kläglich warnender Erfahrung -- --

sing unten der Marsch wieder um, denn daß er (Eulenstein) einen Marsch zu
spielen habe, saß fest bei ihm, daß er es aber eben gethan, hatte er bereits
wieder vergessen. Die erstaunte Prinzessin hielt natürlich mit ihrer Rede an.
Gemahl, das tiefere Princip nicht ahnend, welches den Künstler unten belebte,
raunte ihm leise hinab, daß der Marsch noch lange nicht, erst am Schlüsse
des Actes, zu wiederholen sei.

Das verstand nun Eulenstein im Augenblick vollkommen und hörte mit
Spielen aus. Wäre Turandot, diese Zeit benutzend, gleich und eilig recitircnd
eingefallen, so hätte sie vielleicht diesmal ihre erste Rede, die ja nur aus fünf
Zeilen besteht, ohne weiteres Hinderniß zu Ende gebracht, und das folgende
Ungemach wäre über die stärkere Natur des Kaisers Altona gekommen. Aber
die Frauen lernen den Werth der Zeit nie schätzen! Die Künstlerin hielt sich
durch Gemahls Erklärung vor weiteren Eingriff in ihr Redcrecht gesichert, und
verlor durch einiges Rüuspern und prinzeßliches Jnpositursetzen mehre kostbare
Minuten. Was war die natürliche Folge? Daß Turandot bei ihrem zweiten
Versuch uicht einmal so weit wie beim ersten kam, daß der zudringliche Marsch
ihr jetzt schon nach der ersten Zeile ins Wort siel und sie wiederum zum
Schweigen brachte.

Nunmehr stieg in Gemahl eine Ahnung auf. Er eilte abermals ans
Proscenium vor, und rief jetzt mit stärker betonter Stimme hinunter, zuerst in
Allegro-Tempo. "Um Gotteswillen, haben Sie nicht gehört?" alsdann in
Adagio-Tempo übergehend: "Der Marsch kommt erst am Ende des zweite"
Actes!" Er sprach die zweite Hälfte in lauter Spondeen, um den Gedanken
gewichtiger zu machen und tiefer in Eulensteins Gedächtniß hineinzuschlagen-

Auch diesmal noch begriff Letzterer, was man von ihm begehre, und zog
die Hände von dem Clavier zurück. Gemahl gab darauf der Prinzessin einen
Wink, noch einmal anzusaugen. In dieser war aber unterdessen eine große
Veränderung vorgegangen, sie hatte eiuen tiefen Fall gethan, -- aus ihrer
Rolle nämlich heraus, -- und zeigte nur noch die höchlichst gereizte Künstlerin-
Mit hochrothem Gesicht, eingekniffenen Lippen und leidenschaftlich wogendem
Busen dastehend, schien sie mit sich selbst zu kämpfen, ob sie dem Wink Ge¬
mahls folgen und sich der Möglichkeit einer neuen Einsprache des schrecklichen
Marsches aussetzen, oder gradezu von der Bühne gehen solle. Diese Ueber-
legung und der Entschluß, es noch einmal zu wagen, nahm allerdings nicht
so viel Zeit in Anspruch, als das Lesen hier in der Beschreibung erfordert,


wo der Trunkene sich zwar jedes gegenwärtigen Momentes bewußt ist, von
dem vorhergehenden aber schon nichts mehr weiß, und an den zunüchstfolgcn-
den durchaus nicht denkt. Als nun Turandot pathetisch zu declamiren begann'.


Wer ists, der sich aufs Neu vermessen schmeichelt
Nach so viel kläglich warnender Erfahrung — —

sing unten der Marsch wieder um, denn daß er (Eulenstein) einen Marsch zu
spielen habe, saß fest bei ihm, daß er es aber eben gethan, hatte er bereits
wieder vergessen. Die erstaunte Prinzessin hielt natürlich mit ihrer Rede an.
Gemahl, das tiefere Princip nicht ahnend, welches den Künstler unten belebte,
raunte ihm leise hinab, daß der Marsch noch lange nicht, erst am Schlüsse
des Actes, zu wiederholen sei.

Das verstand nun Eulenstein im Augenblick vollkommen und hörte mit
Spielen aus. Wäre Turandot, diese Zeit benutzend, gleich und eilig recitircnd
eingefallen, so hätte sie vielleicht diesmal ihre erste Rede, die ja nur aus fünf
Zeilen besteht, ohne weiteres Hinderniß zu Ende gebracht, und das folgende
Ungemach wäre über die stärkere Natur des Kaisers Altona gekommen. Aber
die Frauen lernen den Werth der Zeit nie schätzen! Die Künstlerin hielt sich
durch Gemahls Erklärung vor weiteren Eingriff in ihr Redcrecht gesichert, und
verlor durch einiges Rüuspern und prinzeßliches Jnpositursetzen mehre kostbare
Minuten. Was war die natürliche Folge? Daß Turandot bei ihrem zweiten
Versuch uicht einmal so weit wie beim ersten kam, daß der zudringliche Marsch
ihr jetzt schon nach der ersten Zeile ins Wort siel und sie wiederum zum
Schweigen brachte.

Nunmehr stieg in Gemahl eine Ahnung auf. Er eilte abermals ans
Proscenium vor, und rief jetzt mit stärker betonter Stimme hinunter, zuerst in
Allegro-Tempo. „Um Gotteswillen, haben Sie nicht gehört?" alsdann in
Adagio-Tempo übergehend: „Der Marsch kommt erst am Ende des zweite»
Actes!" Er sprach die zweite Hälfte in lauter Spondeen, um den Gedanken
gewichtiger zu machen und tiefer in Eulensteins Gedächtniß hineinzuschlagen-

Auch diesmal noch begriff Letzterer, was man von ihm begehre, und zog
die Hände von dem Clavier zurück. Gemahl gab darauf der Prinzessin einen
Wink, noch einmal anzusaugen. In dieser war aber unterdessen eine große
Veränderung vorgegangen, sie hatte eiuen tiefen Fall gethan, — aus ihrer
Rolle nämlich heraus, — und zeigte nur noch die höchlichst gereizte Künstlerin-
Mit hochrothem Gesicht, eingekniffenen Lippen und leidenschaftlich wogendem
Busen dastehend, schien sie mit sich selbst zu kämpfen, ob sie dem Wink Ge¬
mahls folgen und sich der Möglichkeit einer neuen Einsprache des schrecklichen
Marsches aussetzen, oder gradezu von der Bühne gehen solle. Diese Ueber-
legung und der Entschluß, es noch einmal zu wagen, nahm allerdings nicht
so viel Zeit in Anspruch, als das Lesen hier in der Beschreibung erfordert,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/210>, abgerufen am 21.05.2024.