Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Hauses erwacht vom Scharren des Kehrbesens, benutzt aber, verschlafen wie
es Alle sind, nach den vielen Störungen in der Nacht jede kleine Pause. aber¬
mals einzunicken zur köstlichen Nachruhe.

Es poltert im Ösen. Kleider werden geklopft, der wache Morgen schreitet
immer dreister einher, dringt immer weiter vor in das Gebiet der Träume
und ruft endlich, das blendende Licht in der Hand- "Kinder steht auf!"

Endlich, endlich ist es Morgen. Morgen, der aber doch immer noch Nacht
ist, der einzige Morgen des ganzen Jahres, an dem auch die kleinsten der
kleinen Leute bei Lichte aufstehen -- dies allein schon ein Ereigniß. eine That,
ein Wunder und Glück -- das reine Märchen! Nicht selten müssen sehr kräf¬
tige Erwcckungsmittcl angewandt werden, um die fesselnde Kraft der "himm¬
lisch" warme" Bettchen zu überwinden. Heute fährt das gesammte Aufgebot
der Kinderbeine beim ersten Anruf zugleich heraus -- wie ein Bein, und die
Schnelligkeit des Ankleidens wird nur von der fröhlichen Verwirrung, die sie
erzeugt, übertroffen.

Endlich trotz aller Confusion fertig gekleidet, fügen sich die Kleinen, die
doch sonst nicht genöthigt zu werden brauchen, nur der kategorisch festgehalte¬
nen Weisung, erst noch ruhig zu frühstücken.

Welch ein Zauber für die Kinderseele, eben wieder erstanden aus dem
Schlummer, rein und klar wie der sternhelle Morgen, in der ganzen, unbe¬
rührten Frische eines neuen Tageölebens. an dem noch keine prosaische Er¬
innerung der Gewöhnlichkeit haftet, das noch kein, wenn auch mir in un¬
bewußter Trübung des Behagens nachwirkender, sebnellvergessener Streit, keine
paradiesaustreibende Unart entstellte -- der höchsten Freude des Jahres ent¬
gegen zu gehen! Welch ein Zauber in dieser Verschmelzung der Reize aller
Tageszeiten, und der entgegengesetztesten Stimmungen, in dieser Nachtdunkeh
strahlendes Kerzenlicht und Morgenweihc. Entzücken und Andacht in Eins ver¬
webenden zeitlos ideellen Wunderwelt! Welch ein Zauber, wenn beim wohl¬
bekannten Klänge des Silbe.glöckchens die Thürflügel aufgehen von unsicht¬
barer Hand bewegt, als wären es wirklich geflügelte Thüren, und die stürmt
Herbeigeeilten, geblendet von all dem Glänze, nun doch im ersten Augenblick
wie erstarrt auf der Schwelle stehen bleiben, bis der Eltern ermunternder ZU'
ruf zum Nähertreten auffordert -- welch ein Zauber, wenn nach der M"
Betäubung erster allgemeiner Frende die jubelnde Besitzergreifung der köstliche"
Gaben folgt, wenn ein jeder gerade das findet, was er "sich am meisten ge'
wünscht". -- Die Mädchen ihre Puppen, die sie gar nicht mehr aus den'
Arme lassen, die Knaben Trommeln und Trompetchen, deren lustiger sah^
dem Feste so wesentlich ist wie der Glockenklang des Frühgottesdienstcs
welch ein Zauber, wenn den Zweigen des Christbaumes jener eigenthüm>"b
würzige Duft entströmt, der, mit keinem andern Wolilgeruch vergleichbarnoch


Hauses erwacht vom Scharren des Kehrbesens, benutzt aber, verschlafen wie
es Alle sind, nach den vielen Störungen in der Nacht jede kleine Pause. aber¬
mals einzunicken zur köstlichen Nachruhe.

Es poltert im Ösen. Kleider werden geklopft, der wache Morgen schreitet
immer dreister einher, dringt immer weiter vor in das Gebiet der Träume
und ruft endlich, das blendende Licht in der Hand- „Kinder steht auf!"

Endlich, endlich ist es Morgen. Morgen, der aber doch immer noch Nacht
ist, der einzige Morgen des ganzen Jahres, an dem auch die kleinsten der
kleinen Leute bei Lichte aufstehen — dies allein schon ein Ereigniß. eine That,
ein Wunder und Glück — das reine Märchen! Nicht selten müssen sehr kräf¬
tige Erwcckungsmittcl angewandt werden, um die fesselnde Kraft der „himm¬
lisch" warme» Bettchen zu überwinden. Heute fährt das gesammte Aufgebot
der Kinderbeine beim ersten Anruf zugleich heraus — wie ein Bein, und die
Schnelligkeit des Ankleidens wird nur von der fröhlichen Verwirrung, die sie
erzeugt, übertroffen.

Endlich trotz aller Confusion fertig gekleidet, fügen sich die Kleinen, die
doch sonst nicht genöthigt zu werden brauchen, nur der kategorisch festgehalte¬
nen Weisung, erst noch ruhig zu frühstücken.

Welch ein Zauber für die Kinderseele, eben wieder erstanden aus dem
Schlummer, rein und klar wie der sternhelle Morgen, in der ganzen, unbe¬
rührten Frische eines neuen Tageölebens. an dem noch keine prosaische Er¬
innerung der Gewöhnlichkeit haftet, das noch kein, wenn auch mir in un¬
bewußter Trübung des Behagens nachwirkender, sebnellvergessener Streit, keine
paradiesaustreibende Unart entstellte — der höchsten Freude des Jahres ent¬
gegen zu gehen! Welch ein Zauber in dieser Verschmelzung der Reize aller
Tageszeiten, und der entgegengesetztesten Stimmungen, in dieser Nachtdunkeh
strahlendes Kerzenlicht und Morgenweihc. Entzücken und Andacht in Eins ver¬
webenden zeitlos ideellen Wunderwelt! Welch ein Zauber, wenn beim wohl¬
bekannten Klänge des Silbe.glöckchens die Thürflügel aufgehen von unsicht¬
barer Hand bewegt, als wären es wirklich geflügelte Thüren, und die stürmt
Herbeigeeilten, geblendet von all dem Glänze, nun doch im ersten Augenblick
wie erstarrt auf der Schwelle stehen bleiben, bis der Eltern ermunternder ZU'
ruf zum Nähertreten auffordert — welch ein Zauber, wenn nach der M"
Betäubung erster allgemeiner Frende die jubelnde Besitzergreifung der köstliche"
Gaben folgt, wenn ein jeder gerade das findet, was er „sich am meisten ge'
wünscht". — Die Mädchen ihre Puppen, die sie gar nicht mehr aus den'
Arme lassen, die Knaben Trommeln und Trompetchen, deren lustiger sah^
dem Feste so wesentlich ist wie der Glockenklang des Frühgottesdienstcs
welch ein Zauber, wenn den Zweigen des Christbaumes jener eigenthüm>"b
würzige Duft entströmt, der, mit keinem andern Wolilgeruch vergleichbarnoch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0296" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108426"/>
          <p xml:id="ID_985" prev="#ID_984"> Hauses erwacht vom Scharren des Kehrbesens, benutzt aber, verschlafen wie<lb/>
es Alle sind, nach den vielen Störungen in der Nacht jede kleine Pause. aber¬<lb/>
mals einzunicken zur köstlichen Nachruhe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_986"> Es poltert im Ösen. Kleider werden geklopft, der wache Morgen schreitet<lb/>
immer dreister einher, dringt immer weiter vor in das Gebiet der Träume<lb/>
und ruft endlich, das blendende Licht in der Hand- &#x201E;Kinder steht auf!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_987"> Endlich, endlich ist es Morgen. Morgen, der aber doch immer noch Nacht<lb/>
ist, der einzige Morgen des ganzen Jahres, an dem auch die kleinsten der<lb/>
kleinen Leute bei Lichte aufstehen &#x2014; dies allein schon ein Ereigniß. eine That,<lb/>
ein Wunder und Glück &#x2014; das reine Märchen! Nicht selten müssen sehr kräf¬<lb/>
tige Erwcckungsmittcl angewandt werden, um die fesselnde Kraft der &#x201E;himm¬<lb/>
lisch" warme» Bettchen zu überwinden. Heute fährt das gesammte Aufgebot<lb/>
der Kinderbeine beim ersten Anruf zugleich heraus &#x2014; wie ein Bein, und die<lb/>
Schnelligkeit des Ankleidens wird nur von der fröhlichen Verwirrung, die sie<lb/>
erzeugt, übertroffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_988"> Endlich trotz aller Confusion fertig gekleidet, fügen sich die Kleinen, die<lb/>
doch sonst nicht genöthigt zu werden brauchen, nur der kategorisch festgehalte¬<lb/>
nen Weisung, erst noch ruhig zu frühstücken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_989" next="#ID_990"> Welch ein Zauber für die Kinderseele, eben wieder erstanden aus dem<lb/>
Schlummer, rein und klar wie der sternhelle Morgen, in der ganzen, unbe¬<lb/>
rührten Frische eines neuen Tageölebens. an dem noch keine prosaische Er¬<lb/>
innerung der Gewöhnlichkeit haftet, das noch kein, wenn auch mir in un¬<lb/>
bewußter Trübung des Behagens nachwirkender, sebnellvergessener Streit, keine<lb/>
paradiesaustreibende Unart entstellte &#x2014; der höchsten Freude des Jahres ent¬<lb/>
gegen zu gehen! Welch ein Zauber in dieser Verschmelzung der Reize aller<lb/>
Tageszeiten, und der entgegengesetztesten Stimmungen, in dieser Nachtdunkeh<lb/>
strahlendes Kerzenlicht und Morgenweihc. Entzücken und Andacht in Eins ver¬<lb/>
webenden zeitlos ideellen Wunderwelt! Welch ein Zauber, wenn beim wohl¬<lb/>
bekannten Klänge des Silbe.glöckchens die Thürflügel aufgehen von unsicht¬<lb/>
barer Hand bewegt, als wären es wirklich geflügelte Thüren, und die stürmt<lb/>
Herbeigeeilten, geblendet von all dem Glänze, nun doch im ersten Augenblick<lb/>
wie erstarrt auf der Schwelle stehen bleiben, bis der Eltern ermunternder ZU'<lb/>
ruf zum Nähertreten auffordert &#x2014; welch ein Zauber, wenn nach der M"<lb/>
Betäubung erster allgemeiner Frende die jubelnde Besitzergreifung der köstliche"<lb/>
Gaben folgt, wenn ein jeder gerade das findet, was er &#x201E;sich am meisten ge'<lb/>
wünscht". &#x2014; Die Mädchen ihre Puppen, die sie gar nicht mehr aus den'<lb/>
Arme lassen, die Knaben Trommeln und Trompetchen, deren lustiger sah^<lb/>
dem Feste so wesentlich ist wie der Glockenklang des Frühgottesdienstcs<lb/>
welch ein Zauber, wenn den Zweigen des Christbaumes jener eigenthüm&gt;"b<lb/>
würzige Duft entströmt, der, mit keinem andern Wolilgeruch vergleichbarnoch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0296] Hauses erwacht vom Scharren des Kehrbesens, benutzt aber, verschlafen wie es Alle sind, nach den vielen Störungen in der Nacht jede kleine Pause. aber¬ mals einzunicken zur köstlichen Nachruhe. Es poltert im Ösen. Kleider werden geklopft, der wache Morgen schreitet immer dreister einher, dringt immer weiter vor in das Gebiet der Träume und ruft endlich, das blendende Licht in der Hand- „Kinder steht auf!" Endlich, endlich ist es Morgen. Morgen, der aber doch immer noch Nacht ist, der einzige Morgen des ganzen Jahres, an dem auch die kleinsten der kleinen Leute bei Lichte aufstehen — dies allein schon ein Ereigniß. eine That, ein Wunder und Glück — das reine Märchen! Nicht selten müssen sehr kräf¬ tige Erwcckungsmittcl angewandt werden, um die fesselnde Kraft der „himm¬ lisch" warme» Bettchen zu überwinden. Heute fährt das gesammte Aufgebot der Kinderbeine beim ersten Anruf zugleich heraus — wie ein Bein, und die Schnelligkeit des Ankleidens wird nur von der fröhlichen Verwirrung, die sie erzeugt, übertroffen. Endlich trotz aller Confusion fertig gekleidet, fügen sich die Kleinen, die doch sonst nicht genöthigt zu werden brauchen, nur der kategorisch festgehalte¬ nen Weisung, erst noch ruhig zu frühstücken. Welch ein Zauber für die Kinderseele, eben wieder erstanden aus dem Schlummer, rein und klar wie der sternhelle Morgen, in der ganzen, unbe¬ rührten Frische eines neuen Tageölebens. an dem noch keine prosaische Er¬ innerung der Gewöhnlichkeit haftet, das noch kein, wenn auch mir in un¬ bewußter Trübung des Behagens nachwirkender, sebnellvergessener Streit, keine paradiesaustreibende Unart entstellte — der höchsten Freude des Jahres ent¬ gegen zu gehen! Welch ein Zauber in dieser Verschmelzung der Reize aller Tageszeiten, und der entgegengesetztesten Stimmungen, in dieser Nachtdunkeh strahlendes Kerzenlicht und Morgenweihc. Entzücken und Andacht in Eins ver¬ webenden zeitlos ideellen Wunderwelt! Welch ein Zauber, wenn beim wohl¬ bekannten Klänge des Silbe.glöckchens die Thürflügel aufgehen von unsicht¬ barer Hand bewegt, als wären es wirklich geflügelte Thüren, und die stürmt Herbeigeeilten, geblendet von all dem Glänze, nun doch im ersten Augenblick wie erstarrt auf der Schwelle stehen bleiben, bis der Eltern ermunternder ZU' ruf zum Nähertreten auffordert — welch ein Zauber, wenn nach der M" Betäubung erster allgemeiner Frende die jubelnde Besitzergreifung der köstliche" Gaben folgt, wenn ein jeder gerade das findet, was er „sich am meisten ge' wünscht". — Die Mädchen ihre Puppen, die sie gar nicht mehr aus den' Arme lassen, die Knaben Trommeln und Trompetchen, deren lustiger sah^ dem Feste so wesentlich ist wie der Glockenklang des Frühgottesdienstcs welch ein Zauber, wenn den Zweigen des Christbaumes jener eigenthüm>"b würzige Duft entströmt, der, mit keinem andern Wolilgeruch vergleichbarnoch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/296
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/296>, abgerufen am 22.05.2024.