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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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dann von Oldenburg baute um 1600 den über zweihundert Fuß hohen
Thurm, der in seinen verschiedenen Stockwerken als Leuchtthurm, Kirche und
Raum für Strandgut diente; denn was von dem Gute Schiffbrüchiger in die
Hände der Insulaner siel, galt diesen als rechtmüßige Beute; wobei natür¬
lich die Gefahr sehr nahe lag, daß die guten Wanger-Ogcr einem in Noth
befindlichen Schiff nicht zu Hilfe eilten, um dem Schicksal, das ihnen viel¬
leicht reiche Geschenke vorbereitete, nicht vorzugreifen. Es sind kaum achtzig
Jahre her, daß der Pfarrer von Wanger-Oge sonntäglich mit seiner Gemeinde
in aller Andacht "sür einen gesegneten Strand" betete. Solche insularische
Anschauungen über Mein und Dein erscheinen freilich dem Binnenländer selt¬
sam genug. Unter Johanns Negierung geschah es auch, daß alterthümliche
Münzen und Geräthschaften auf Wangcr-Oge ausgegraben wurden. Der Fund
wird dahin erklärt, daß der vom Sturm an die Küste der Insel verschlagene
Germ alticus hier verweilt habe, um seine Schiffe ausbessern zu lassen. Unter
Johanns Sohn Anton Günther war die Insel noch anderthalb Meilen lang
und eine Viertelmeile breit. Sie besaß noch immer viel schönes Weideland;
ja, man zählte 1730, also hundert Jahre später, noch 202 Matt fette Weide
und 70 Matt geringere.

Aber nun schritt das Verderben rasch heran, und je höher die Deiche des
Festlands wuchsen, desto schlimmer verfuhr die See mit den ungeschützten Inseln.
Die Weiden wurden mehr und mehr überhäutet, und die Viehzucht der Wanger'
Oger beschränkte sich auf immer kleinere Strecken.

Unterdessen war Jeverland an die Fürsten von Anhalt-Zerbst gekommen,
während sich die Grafschaft Oldenburg zu einer dänischen Provinz erniedrigt
sah. Fürst Friedrich August von Anhalt Zerbst suchte die Verödung Wanger-
Ogcs zu bekämpfen; quer durch die Insel zog er in Schlangenlinien Zäune
aus Strauchholz, um den Sand aufzufangen, und pflanzte den Sandhafer*)
an. welcher merkwürdige, viele Ellenlange Wurzeln mit Häkchen treibt, wodurch
man die Dünen fest zu machen und mit Vegetation zu bekleiden hoffte. Aber die
Gewalt des Elements erwies sich stärker als die Hand der Menschen: seit
1776 ist kein Heu mehr auf der Insel gemacht worden. Natürlich gerieth
hierdurch die Viehzucht in gänzlichen Verfall, und die Einwohner sahen sich
großer Armuth Preis gegeben. Um ihnen aufzuhelfen, schoß ihnen der Fürst Geld
zu Schiffen vor, und bis auf den heutigen Tag sind Frachtfahrten auf der
Nord- und Ostsee und auf den benachbarten Strömen die Hauptbeschäftigung
der Männer auf Wanger-Oge geblieben. Auch ließ er geräumige Kasernen
Herrichten und legte Soldaten auf die Insel. Als das Haus Anhalt-Zerbst 1793
ausstarb, kam die Herrschaft Jever als Kunkellehen an die Kaiserin Katha-



') Auch Seind Haargras, Helm oder Roth Wurzel (elz'wus ÄreiwriuL) genannt.

dann von Oldenburg baute um 1600 den über zweihundert Fuß hohen
Thurm, der in seinen verschiedenen Stockwerken als Leuchtthurm, Kirche und
Raum für Strandgut diente; denn was von dem Gute Schiffbrüchiger in die
Hände der Insulaner siel, galt diesen als rechtmüßige Beute; wobei natür¬
lich die Gefahr sehr nahe lag, daß die guten Wanger-Ogcr einem in Noth
befindlichen Schiff nicht zu Hilfe eilten, um dem Schicksal, das ihnen viel¬
leicht reiche Geschenke vorbereitete, nicht vorzugreifen. Es sind kaum achtzig
Jahre her, daß der Pfarrer von Wanger-Oge sonntäglich mit seiner Gemeinde
in aller Andacht „sür einen gesegneten Strand" betete. Solche insularische
Anschauungen über Mein und Dein erscheinen freilich dem Binnenländer selt¬
sam genug. Unter Johanns Negierung geschah es auch, daß alterthümliche
Münzen und Geräthschaften auf Wangcr-Oge ausgegraben wurden. Der Fund
wird dahin erklärt, daß der vom Sturm an die Küste der Insel verschlagene
Germ alticus hier verweilt habe, um seine Schiffe ausbessern zu lassen. Unter
Johanns Sohn Anton Günther war die Insel noch anderthalb Meilen lang
und eine Viertelmeile breit. Sie besaß noch immer viel schönes Weideland;
ja, man zählte 1730, also hundert Jahre später, noch 202 Matt fette Weide
und 70 Matt geringere.

Aber nun schritt das Verderben rasch heran, und je höher die Deiche des
Festlands wuchsen, desto schlimmer verfuhr die See mit den ungeschützten Inseln.
Die Weiden wurden mehr und mehr überhäutet, und die Viehzucht der Wanger'
Oger beschränkte sich auf immer kleinere Strecken.

Unterdessen war Jeverland an die Fürsten von Anhalt-Zerbst gekommen,
während sich die Grafschaft Oldenburg zu einer dänischen Provinz erniedrigt
sah. Fürst Friedrich August von Anhalt Zerbst suchte die Verödung Wanger-
Ogcs zu bekämpfen; quer durch die Insel zog er in Schlangenlinien Zäune
aus Strauchholz, um den Sand aufzufangen, und pflanzte den Sandhafer*)
an. welcher merkwürdige, viele Ellenlange Wurzeln mit Häkchen treibt, wodurch
man die Dünen fest zu machen und mit Vegetation zu bekleiden hoffte. Aber die
Gewalt des Elements erwies sich stärker als die Hand der Menschen: seit
1776 ist kein Heu mehr auf der Insel gemacht worden. Natürlich gerieth
hierdurch die Viehzucht in gänzlichen Verfall, und die Einwohner sahen sich
großer Armuth Preis gegeben. Um ihnen aufzuhelfen, schoß ihnen der Fürst Geld
zu Schiffen vor, und bis auf den heutigen Tag sind Frachtfahrten auf der
Nord- und Ostsee und auf den benachbarten Strömen die Hauptbeschäftigung
der Männer auf Wanger-Oge geblieben. Auch ließ er geräumige Kasernen
Herrichten und legte Soldaten auf die Insel. Als das Haus Anhalt-Zerbst 1793
ausstarb, kam die Herrschaft Jever als Kunkellehen an die Kaiserin Katha-



') Auch Seind Haargras, Helm oder Roth Wurzel (elz'wus ÄreiwriuL) genannt.
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[0034] dann von Oldenburg baute um 1600 den über zweihundert Fuß hohen Thurm, der in seinen verschiedenen Stockwerken als Leuchtthurm, Kirche und Raum für Strandgut diente; denn was von dem Gute Schiffbrüchiger in die Hände der Insulaner siel, galt diesen als rechtmüßige Beute; wobei natür¬ lich die Gefahr sehr nahe lag, daß die guten Wanger-Ogcr einem in Noth befindlichen Schiff nicht zu Hilfe eilten, um dem Schicksal, das ihnen viel¬ leicht reiche Geschenke vorbereitete, nicht vorzugreifen. Es sind kaum achtzig Jahre her, daß der Pfarrer von Wanger-Oge sonntäglich mit seiner Gemeinde in aller Andacht „sür einen gesegneten Strand" betete. Solche insularische Anschauungen über Mein und Dein erscheinen freilich dem Binnenländer selt¬ sam genug. Unter Johanns Negierung geschah es auch, daß alterthümliche Münzen und Geräthschaften auf Wangcr-Oge ausgegraben wurden. Der Fund wird dahin erklärt, daß der vom Sturm an die Küste der Insel verschlagene Germ alticus hier verweilt habe, um seine Schiffe ausbessern zu lassen. Unter Johanns Sohn Anton Günther war die Insel noch anderthalb Meilen lang und eine Viertelmeile breit. Sie besaß noch immer viel schönes Weideland; ja, man zählte 1730, also hundert Jahre später, noch 202 Matt fette Weide und 70 Matt geringere. Aber nun schritt das Verderben rasch heran, und je höher die Deiche des Festlands wuchsen, desto schlimmer verfuhr die See mit den ungeschützten Inseln. Die Weiden wurden mehr und mehr überhäutet, und die Viehzucht der Wanger' Oger beschränkte sich auf immer kleinere Strecken. Unterdessen war Jeverland an die Fürsten von Anhalt-Zerbst gekommen, während sich die Grafschaft Oldenburg zu einer dänischen Provinz erniedrigt sah. Fürst Friedrich August von Anhalt Zerbst suchte die Verödung Wanger- Ogcs zu bekämpfen; quer durch die Insel zog er in Schlangenlinien Zäune aus Strauchholz, um den Sand aufzufangen, und pflanzte den Sandhafer*) an. welcher merkwürdige, viele Ellenlange Wurzeln mit Häkchen treibt, wodurch man die Dünen fest zu machen und mit Vegetation zu bekleiden hoffte. Aber die Gewalt des Elements erwies sich stärker als die Hand der Menschen: seit 1776 ist kein Heu mehr auf der Insel gemacht worden. Natürlich gerieth hierdurch die Viehzucht in gänzlichen Verfall, und die Einwohner sahen sich großer Armuth Preis gegeben. Um ihnen aufzuhelfen, schoß ihnen der Fürst Geld zu Schiffen vor, und bis auf den heutigen Tag sind Frachtfahrten auf der Nord- und Ostsee und auf den benachbarten Strömen die Hauptbeschäftigung der Männer auf Wanger-Oge geblieben. Auch ließ er geräumige Kasernen Herrichten und legte Soldaten auf die Insel. Als das Haus Anhalt-Zerbst 1793 ausstarb, kam die Herrschaft Jever als Kunkellehen an die Kaiserin Katha- ') Auch Seind Haargras, Helm oder Roth Wurzel (elz'wus ÄreiwriuL) genannt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/34>, abgerufen am 21.05.2024.