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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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winde unbillig sein. Toscana habe genug für die Civilisation, für deren
Fortschritt gethan, um sich den Anspruch auf Mitgenuß an deren Früchten zu
erwerben; aber nur in einem größeren Verbände könne im 19. Jahrhundert
ein Volk sich moralisch und materiell entwickeln. So vertrauen die Tosccmcr
auf den König Victor Emanuel, der sie nicht zurückweisen werde, sie vertrauen
auf die Gerechtigkeit und die Weisheit Frankreichs, Englands, Preußens und
Rußlands. Sollte aber ihr Vertrauen sie täuschen, sollte die menschliche Gerech¬
tigkeit sich ihrer nicht annehmen, so würden sie mit allen Mitteln ihre Rechte
und die Ehre ihres Landes wahren. Unterlagen sie dann auch, so würde ihnen
sicher der Trost bleiben, daß sie ihre Pflicht gethan hätten, ohne Kleinmuth
wie ohne Uebermuth. Die öffentliche Meinung und die Geschichte würden
dann entscheiden, auf welcher Seite Recht, Bürgersinn, Mäßigung, auf weicher
Unrecht, Verblendung und Gewaltthat gewesen seien.

Da wir Gelegenheit haben werden, auf die Stellung der Mächte zu der
Frage Mittelitaliens und namentlich die Stellung des Kaiser Napoleon des
weiteren zu kommen, verlassen wir -hier einstweilen die Toscaner und wollen
nun von Modena reden. Die Modenesen beschlossen unmittelbar nach dem
Frieden von Villafranca eine Deputation an die Höfe von Turin, Paris und
London zu senden, um dort ihre mit denen Tvscanas gleichlautenden Wünsche
und Hoffnungen auszusprechen. Ende Juli gab der sardinische Commissär
für Modena, Farini, abberufen seine Gewalt in die Hände des Gemeinderathes
zurück. Dieser aber sprach sich nun sofort für den Anschluß an Piemont aus,
übertrug Farini die Regentschaft und beschloß außerdem eine Repräsentanten-
Versammlung zu berufen. Farini nahm die ihm übertragene neue Stellung
an. Auf Vorwürfe, die deshalb dem König Victor Emanuel von Paris her
gemacht wurden, konnte dieser antworten, daß Farini nicht mehr in sardini-
schen Diensten sei. In der Proclamation, durch welche Farini den Modenesen
bekannt machte, daß er die zeitweilige Dictatur annehme, zeigte er zugleich
an, daß er sofort die Wahlversammlungen berufen werde, "denen es zustehe,
die Gewalt auf jene gesetzliche Grundlage des Nationalwillens zu stellen,
aus welche sich das mächtige und glorreiche französische Kaiserreich, die Re¬
gierung des stolzen und freien England und anderer civilisirter Länder der
Neuzeit gründen." Er versprach, die Ordnung mit Strenge aufrecht zu hal¬
ten und die Rüstungen fortzusetzen. Eine äußere Intervention werde Europa
nicht zugeben. Sollten die Diener des Fürsten sich regen, so würde
er diesen mit allen Mitteln begegnen. Am 15. August fanden die Wahlen
statt; unter den Gewählten war auch der piemontesische General Fanti. Am
16. August trat die Neprüsentantenversammlung zusammen und constituirte
sich. Farini eröffnete die Versammlung mit einer Anrede, in welcher er die
Vergehen der Fürsten des Hauses Este aufzählte, und zeigte, wie diese Fürsten


winde unbillig sein. Toscana habe genug für die Civilisation, für deren
Fortschritt gethan, um sich den Anspruch auf Mitgenuß an deren Früchten zu
erwerben; aber nur in einem größeren Verbände könne im 19. Jahrhundert
ein Volk sich moralisch und materiell entwickeln. So vertrauen die Tosccmcr
auf den König Victor Emanuel, der sie nicht zurückweisen werde, sie vertrauen
auf die Gerechtigkeit und die Weisheit Frankreichs, Englands, Preußens und
Rußlands. Sollte aber ihr Vertrauen sie täuschen, sollte die menschliche Gerech¬
tigkeit sich ihrer nicht annehmen, so würden sie mit allen Mitteln ihre Rechte
und die Ehre ihres Landes wahren. Unterlagen sie dann auch, so würde ihnen
sicher der Trost bleiben, daß sie ihre Pflicht gethan hätten, ohne Kleinmuth
wie ohne Uebermuth. Die öffentliche Meinung und die Geschichte würden
dann entscheiden, auf welcher Seite Recht, Bürgersinn, Mäßigung, auf weicher
Unrecht, Verblendung und Gewaltthat gewesen seien.

Da wir Gelegenheit haben werden, auf die Stellung der Mächte zu der
Frage Mittelitaliens und namentlich die Stellung des Kaiser Napoleon des
weiteren zu kommen, verlassen wir -hier einstweilen die Toscaner und wollen
nun von Modena reden. Die Modenesen beschlossen unmittelbar nach dem
Frieden von Villafranca eine Deputation an die Höfe von Turin, Paris und
London zu senden, um dort ihre mit denen Tvscanas gleichlautenden Wünsche
und Hoffnungen auszusprechen. Ende Juli gab der sardinische Commissär
für Modena, Farini, abberufen seine Gewalt in die Hände des Gemeinderathes
zurück. Dieser aber sprach sich nun sofort für den Anschluß an Piemont aus,
übertrug Farini die Regentschaft und beschloß außerdem eine Repräsentanten-
Versammlung zu berufen. Farini nahm die ihm übertragene neue Stellung
an. Auf Vorwürfe, die deshalb dem König Victor Emanuel von Paris her
gemacht wurden, konnte dieser antworten, daß Farini nicht mehr in sardini-
schen Diensten sei. In der Proclamation, durch welche Farini den Modenesen
bekannt machte, daß er die zeitweilige Dictatur annehme, zeigte er zugleich
an, daß er sofort die Wahlversammlungen berufen werde, „denen es zustehe,
die Gewalt auf jene gesetzliche Grundlage des Nationalwillens zu stellen,
aus welche sich das mächtige und glorreiche französische Kaiserreich, die Re¬
gierung des stolzen und freien England und anderer civilisirter Länder der
Neuzeit gründen." Er versprach, die Ordnung mit Strenge aufrecht zu hal¬
ten und die Rüstungen fortzusetzen. Eine äußere Intervention werde Europa
nicht zugeben. Sollten die Diener des Fürsten sich regen, so würde
er diesen mit allen Mitteln begegnen. Am 15. August fanden die Wahlen
statt; unter den Gewählten war auch der piemontesische General Fanti. Am
16. August trat die Neprüsentantenversammlung zusammen und constituirte
sich. Farini eröffnete die Versammlung mit einer Anrede, in welcher er die
Vergehen der Fürsten des Hauses Este aufzählte, und zeigte, wie diese Fürsten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/105>, abgerufen am 04.06.2024.